Hauptbild
Foto: Bernd Uhlig
Foto: Bernd Uhlig
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Nur für die Vitrine? Smetanas „Die verkaufte Braut“ an der Staatsoper Berlin in deutscher Sprache

Publikationsdatum
Body

Eine Oper in deutscher Übersetzung, die Regel an der Komischen Oper Berlin, ist ungewöhnlich für die Staatsoper Unter den Linden, und auch im Schiller-Theater ein Novum. Begründen lässt sich dies damit, dass man den Wortwitz einer komischen Oper verstehen möge oder mit der langen deutschen Aufführungstradition, zunächst in der Übersetzung von Max Kalbeck seit dem Jahre 1893, dass auch Gustav Mahler diese Oper an der MET in deutscher Sprache dirigiert hat oder mit dem Hinweis darauf, dass Fridrich (Bedřich) Smetana selbst besser deutsch als tschechisch gesprochen habe.

Nach der von Walter Felsenstein angeregten textlichen Neufassung von Wilfried Höntsch und Carl Riha , die auch Harry Kupfer 1985 an der Komischen Oper in Szene gesetzt hat, kehrt die Staatsoper mit der jüngsten Berliner Neuinszenierung zur Übersetzung von Kurt Honolka aus dem Jahre 1958 zurück, ersetzt aber die gängigen deutschen Namen des Liebespaares, Marie und Hans, durch Mařenka und Jeník.

Gespielt wird – wenn auch mit veränderter Szenenabfolge – Smetanas vierte Fassung aus dem Jahre 1870, mit ihren auskomponierten Dialogen, die der erklärte Wagnerianer für seine dreiaktige Fassung nachkomponiert und an Stelle der ursprünglichen Dialoge gesetzt hat.

Zu den Retuschen gehört etwa in Kecals berühmter Arie im zweiten Akt die Veränderung der Zeile „Ich kenn’ ein Mädel, das hat Dukaten“ wurde im Genus inkonsequent verändert zu „die hat Dukaten“.

Die Optik dieser Neuinszenierung würde ob ihrer Versatzstücke sicherlich als antiquiert gewertet, hätte der Bühnenbildner Csaba Antal die dekorativ realistischen Versatzstücke nicht verkleinert, in einer Reihe von beleuchteten, begehbaren Glasvitrinen untergebracht. Diese dörflich-idyllische Welt der Zitate von Stall und Wohnküche bis Kirchlein mit Friedhof wird von rot gewandten Technikern gegeneinander verschoben, in einer die Bühne gewinkelt abschließenden, gigantischen und 3D-nahen Naturprojektion. So entsteht eine Versuchsanordnung von Biotopen, wie in einem Freilichtmuseum. Auch das spätere Brautpaar wird bei seinem ersten Auftritt in zwei Ausstellungskästen antizipierend in historischen Hochzeitsprunkgewändern zur Schau gestellt (Kostüme: Bettina Walter).

Eine Vitrine mit zwei Rehen und zwei Kitzen steht für die Familie Mischa mit den Halbbrüdern Jeník und Vašek (bekannter als Wenzel). Der sprechbehinderte Zweitgeborene, von Mischas zweiter Frau als Erbe und als Bräutigam Mařenkas vorgesehen, wird vom Vater brutal geohrfeigt. Vor den bohrend leitmotvischenen Stimmen seiner selbst, die aus dem Orchester erklingen, hält sich Vašek die Ohren zu und kriecht in den Schoß seiner Mutter.

Im Septett werden Vašek und Mařenka in die historischen Hochzeitstrachten eingekleidet, Mařenka aber endet ihre große dramatisch geführte Arie auf dem Gottesacker, auf dem Jeníks Mutter begraben liegt; aber sie entkleidet das sternenbeleuchtete Krippenbild der Dorfkirche, indem sie bei der letzten Wiederholung ihrer Worte „(o holder Traum), wie warst du schön“ den Stecker herauszieht.

Obgleich die Komparserie auch über drei Tanzpaare verfügt (Choreographie: Marat Aliev), erfolgen statt der wirkungsvollen Tänze Polka, Furiant und Springchor rhythmisch vollzogene Umbauten oder Pantomimen. In die Junggesellenstube des Jeník als einem weiteren Biotop (ohne Glasscheiben) drängt sich fast der gesamte Herrenchor zum Bier-Loblied. Dann schießen die Herren mit Gewehren auf die Frauen, deren Folklore-Kopfbedeckungen Geweihe zieren. Am Ende tanzt der von Eberhard Friedrich trefflich einstudierte Chor im heutigen Disco-Stil auf der Stelle.

Aber das Liebespaar findet im Finale nicht mehr zusammen. Die naive Malerei, die Vašek an die Glaswände jenes leeren Glasgevierts malt, das zuvor das Zirkuszelt beheimatete, scheinen Mařenka am Ende mehr zu interessieren als ihr Geliebter, dem sie doch ewige Liebe und Treue geschworen hatte. Aber dem Ehestand war vom Chor bereits in der Eröffnungsszene der Oper eine deutliche Absage erteilt worden.

Als Argumentationshilfe gegenüber Jeník, seine Braut zu verkaufen, findet Kecal Rock und Bluse Mařenkas, die diese strippend abgelegt hatte, um in einem kafkaesken Verführungsvorgang als vermeintlich Andere den potenziellen Bräutigam Vašek von sich selbst abspenstig zu machen.

Die schlüssige Dramaturgie von Katharina Winkler ist seitens der Ausstattung konsequenter umgesetzt als in der häufig wenig aussagekräftigen Personenführung und vorherrschenden Statik des Regisseurs Balázs Kovalik.

Originell ist jedoch Kovaliks Bebilderung der Ouvertüre: Hinter hüfthoch angehobener Courtine sind nur die Beine zu sehen: Folkloristen vertreiben eine  jungen Mann in Jeans (der Jeansträger erweist sich später als Vašek), sie sägen lautstark an einem Baumstamm, lassen die Hosen herunter und jagen Frauen mit Reisigbündeln Angst ein. Eine der Frauen dreht sich wie ein Kreisel um dann abzuheben, nach oben zu verschwinden.

Karl-Heinz Steffens am Pult der Staatskapelle Berlin bringt die lyrische Heiterkeit der Partitur Smetanas zum Leuchten und betont die Nähe zum Dramma giocoso Mozarts.

Wenn die Nebenfiguren Vašek und der Zirkusdirektor, den Karl Valentin in der Verfilmung der Oper verkörpert hat,  die herausragenden Protagonisten sind, stimmt die Gewichtung der Besetzung nicht. Alle Sympathien des Regieteams gehören Vašek, der im Stall vergeblich eine Kuh zu melken versucht, beim Fest einen Maßkrug aufgezwungen bekommt, den Inhalt verschüttet und mit einem Ziegenbock die Tafel leer fegt, um sich dann auf die Höhe eines Glockenturms zu retten. Seine stumme Orientierungslosigkeit in Bärenfell des Wanderzirkus gehört zu den stärksten Momenten.

Florian Hoffmann bringt das Psychogramm des behinderten Vašek mit klaren Tönen und sauberer Stimmführung zum Tragen, und der frühere Heldentenor Rainer Goldberg überbietet nuancenreich die Zauberkunststücke seiner Zirkustruppe (beachtlich darin Adriane Queiroz als pummelige Esmeralda).
Burkhard Fritz stemmt den Jeník mit Siegfried-Stimme, und Anna Samuil erweist in der sich zum Dramatischen steigernden Sopranpartie der Mařenka Steigerungsfähigkeit. Jedoch der Heiratsvermittler Kecal bedarf eines anderen Profils und anderer stimmlicher Farben, als sie Pavlo Hunka einbringt. Und unglücklich im doppelten Sinne erscheint das Elternpaar Krusina (Oscar Hillebrand, schleppend und brüchig) und Ludmila (Agnes Zwieriko, arg kehlig). Farblos bleiben auch der reiche Bauer Micha (Andreas Bauer) und  seine zweite Frau Háta (Daniela Denschlag).

Buhrufe noch vor Einsetzen des Schlussapplauses, dann eine ausgewogene Mischung von Pro und Contra.

Weitere Aufführungen:
22., 26., 30. November, 2., 5. Dezember 2011, 10., 15., 26. April, 20., 23. Juni 2012.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!