Preußen und Deutschland feiern den 300. Geburtstag Friedrich des Großen. In Berlin erklingen auch diverse eigene Kompositionen des großen Fritz, Orchesterwerke nicht nur mit Flöte, sondern im Konzerthaus auch eine Symphonie, in welcher der Monarch mit seinem Hofkomponisten Carl Heinrich Graun um Originalität wetteiferte. Der vermutlich 1703 geborene Graun komponierte für Friedrich II., König von Preußen, jenen Stoff, rund um das Ende der Aztekenherrschaft, der von Antonio Vivaldi (1733) bis Wolfgang Rihm (1992) immer wieder auf der Opernbühne erfolgreich war: „Montezuma“.
Friedrich II. sah in Montezuma den friedfertigen Aztekenkönig, im Gegensatz zu dem ihn brutal besiegenden Konquistador Fredinando Cortez. Friedrich gab nicht nur die Anregung zu diesem Stoff, sondern verfasste selbst – ohne Vorbild – das Prosa-Libretto, welches dann von Giampietro Tagliazucchi für die Komposition ins Italienische übertragen wurde. Während die Wahl der Sprache also der Operntradition gehorchte, erfolgte formale Innovation, denn als „Musikalisches Trauerspiel in drei Akten“ verzichtet diese Oper auf die zur Zeit der Uraufführung, 1755 in Berlin, und noch bis ins 19. Jahrhundert hinein gebotene Form des Lieto fine.
Wie aus den Briefen Friedrichs an seine Schwester Wilhelmine in Bayreuth hervorgeht, bestand der preußische Monarch auch darauf, die dreiteilige Dacapo-Arie durch zweiteilige Kavatinen zu ersetzen: „Sie sind unendlich viel schöner als die Airs und vergehen viel schneller.“
Die Opernhandlung wird in ausladenden Secco-Rezitativen erzählt. Diese wurden jedoch in der konzertanten Berliner Aufführung weggelassen und ersetzt durch verbindende Texte, die Detelf Griese linear zum Libretto verfasst hat. Der (Film-)Schauspieler Klaus Schreiber trägt sie, rezitierend und deklamierend, aber mit merklich fehlender Probenzeit vor. So findet das Drama, gerade das friederizianische, in Berlin derzeit nicht statt.
In seiner Inszenierung zum Preußen-Jahr, 1981 im Berliner Hebbel-Theater, hatte Herbert Wernicke die Handlung nach Sanccouci verlegt, in eine üppige Gartenarchitektur als Einheitsspielort, mit der Gleichsetzung von Montezuma und Friedrich II.
Wenig Gewicht bei dieser Opern hat der Chor. Der von Piotr Kupka einstudierte Staatsopernchor ist auch merklich zu groß besetzt, während sich die Staatskapelle an der Besetzung der damals maximal 40-köpfigen Hofkapelle orientiert, mit sechs ersten und zweiten Violinen, vier Bratschen und Violoncelli, zwei Kontrabässen, doppelten Flöten, Oboen, Fagotten und Hörnern, sowie dem von Harfe und zwei Theorben ausgeführten Continuo.
Klanglich müht sich die in Barockmusik noch kaum erfahrende Staatskapelle Berlin unter der Leitung von Michael Hofstetter redlich um Grauns in ihren dramatischen Effekten mehr als einmal Gluck vorwegnehmende Partitur, die hier mit Verve, aber wenig transparent erklingt. Das wirkungsvolle instrumentale Intermezzo, welches die Eroberung des mexikanischen Kaiserpalasts zeichnet, erklang als Pausenstück vor dem in den zweiten Akt verlagerten Einschnitt und dann noch einmal als Einleitung zum zweiten Teil des zweidreiviertelstündigen Abends.
In der Pause hatten bereits viele Besucher das Theater verlassen. Sie verpassten die Steigerung des zweiten und den in Inspiration und Ausführung weitaus trefflicheren dritten Akt.
Hier kam auch erst Vesselina Kasarova in der Titelpartie voll zum Tragen. Der Komponist greift ein seltsam vokalises Lachen des Herrschers erneut auf, das die bulgarische Mezzosopranistin im Ausdruck arios steigert. Mit samtig rauchigem Timbre neigt Karasova zur Übergestaltung der Tongebung, fasziniert aber in Montezumas Todesqualen und in einem fesselnden Accompagnato-Rezitativ als Reflexion des eigenen Schicksals und Handelns. Einzig Montezumas Gegenspieler Cortez ist hier (in Ersatz der nicht mehr vorhandenen Kastraten) mit einem Counter besetzt, einfarbig geglättet durch Michael Maniaci. Anstelle des erkrankten Tenors Pavol Breslik als Tezeuco sprang kurzfristig Kenneth Tarver ein, leicht und angenehm timbriert. Die kleine Partie des spanischen Hauptmanns Narvés wird durch die fesselnde schwedische Mezzosopranistin Ann Hallenberg zu einem besonderen Höhepunkt. Mit kernigem, dramatisch gewachsenem Sopran überzeugt Adriane Quieroz als Montezumas treue Dienerin Erissena.
Die gesanglichen Glanzlichter erfolgten jedoch durch die in Friedrichs Handlung hinzu erfundene Braut des Herrschers: als Eupaforice fasziniert Anna Prohaska mit brillanten Koloraturketten und einer geradezu wütend den Text spuckenden Gestaltung, wahrlich so etwas wie die Verkörperung der aztekischen, gefiederten Schlange Quetzalcoatl. Und ein Genuss an diesem – an Ensemblesingen raren Abend – war das Abschiedsduett von Eupaforice und Montezuma durch Anna Prohaska und Vessselina Kasarova.
Die 1519 in Mexiko spielende Handlung rund um den edlen Wilden, die Friedrichs politisches Handeln als Kriegsherr im Gegensatz zu seiner Kunstliebe zu entschuldigen versucht, blieb in der Staatsoper im Schillertheater beschränkt auf eine Laubprojektion auf dem Eisernen Vorhang. In Potsdam erfolgte hingegen vergangene Woche die Wiederaufführung einer in der vorangegangenen Spielzeit besonderes gefeierten, szenischen Produktion.
Für die fehlende Szenerie in Berlin entschädigt eine Ausstellung, „Friedrichs Montezuma. Macht und Sinne in der Preußischen Hofoper“, im Berliner Musikinstrumenten-Museum. In bewusstem Gegensatz zu ihrer Maxime, „Oper kann man nicht ausstellen“, hat die Kuratorin Ruth Müller-Lindenberg beachtliche Exponate zu Graun und Friedrich einerseits, zu den Azteken und zu ihrem König Moctezuma andererseits, wie auch zur Musik und Szenerie zur Zeit Friedrichs des Großen zusammengetragen. Als Besonderheit gibt es eine Geruchs-Installation: auf Knopfdruck kann der Betrachter riechen, wie säuerlich und beißend es im Königlichen Opernhaus in einer dreistündigen, unbelüfteten Opernaufführung gestunken hat – ein olfaktorisches Gemisch von Schweiß, Schminke und abgebrannten Feuerwerkskörpern. Was im Musikinstrumenten-Museum aufgeboten wird – mit Bezug zum Klang: Wind- und Donnermaschine, sowie ein barockes Bühnenmodell – ist allerdings ärmlich im Vergleich zu jenen Exponaten, die in diversen Ausstellungen in den vergangenen Jahren im Markgräflichen Opernhaus in Bayreuth zu bestaunen waren. Dieser Mangel verweist denn erneut auf die Notwendigkeit der Schaffung eines Theatermuseums für Berlin.
Weitere Aufführung: 28. Januar 2012