Das Bemühen, der Urversion von Fritz Langs zunächst erfolglosen und deshalb gleich nach der Uraufführung, am 10. Januar 1927, radikal gekürzten Stummfilms „Metropolis“ nahe zu kommen, durchzieht die 60-jährige Geschichte der Berlinale in immer wieder neuen Rekonstruktionen. Der im Jahre 2001 von der UNESCO ins Weltkulturerbe aufgenommene Film konnte nun, 83 Jahre nach der Uraufführung, erstmals wieder in annähernd originaler Länge gezeigt werden, nachdem in Buenos Aires eine 16 mm-Kopie entdeckt wurde, die nahezu der Version der Uraufführung entsprach.
Die Abfolge darin geht konform mit den Szenenangaben in der Partitur von Gottfried Huppertz. Damit werden zahlreiche Überlegungen zurück liegender Rekonstruktionen, inklusive der großen Fassung von 2001, ad absurdum geführt. Für diese aufwändige Rekonstruktion hatte die Bundesregierung den stolzen Betrag von zweihunderttausend Euro zugesteuert. Entsprechend festlich erfolgte die Uraufführung der von der Murnau-Stiftung vorgenommenen Rekonstruktion zeitgleich in der Alten Oper Frankfurt und im Berliner Friedrichstadtpalast, und von dort nicht nur europaweit live auf Arte-TV übertragen, sondern auch auf eine Großleinwand unter dem Brandenburger Tor, wo rund 2000 Menschen der Filmpremiere in klirrender Kälte zugesehen haben.
In der neuen Fassung wird die Geschichte des Schmalen (Fritz Rasp), der Freder (Gustav Fröhlich), dem Sohn des Herrschers der Oberstadt (Alfred Abel) nachspioniert, klar. Auch die Rivalität zwischen dem Herrscher und dem Erfinder Rotwang (Rudolf Klein-Rogge) um die an der Geburt Freders verstorbene Hel, kommt – u. a. mit einer vordem unbekannten Szene, dem „Raum der Hel“ – deutlich zum Tragen. Ebenfalls wird der Handlungsstrang des vom Herrscher entlassenen Sekretärs Josaphat (Theodor Loos), den Freder zum Freund gewinnt, erst in dieser Fassung nachvollziehbar, und der Genuss, die stilistische Vielfalt von Brigitte Helm als Maria und Antagonistin Maschinenmensch zu erleben, wird noch gesteigert. Insbesondere aber für das furios gebaute Finale, mit über 180 Schauspielern und 35.000 Komparsen, bedeuten die zusätzlichen 25 Minuten einen echten, musikdramaturgischen Gewinn.
Da die frühen Filme – offenbar aus Gründen der Kostenreduzierung – mit unterschiedlichen Kameraeinstellungen in den Verleih kamen, ergeben sich nunmehr, durch Auswahl der jeweils vollständigsten Szene, ungewöhnliche Bildfolgen. Die neu aufgefundenen Sequenzen heben sich nicht nur durch den anderen Bildausschnitt, sondern auch durch den – trotz digitaler Rekonstruktion – deutlich schlechteren Zustand ab.
Die Live-Aufführung ist pausenlos und entspricht in ihrer Dauer der Länge von „Rheingold“ oder der einaktigen Version des „Fliegenden Holländer“. Qualitative Diskrepanzen des Filmmaterials werden trefflich zusammen gehalten durch das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung von Frank Strobel, der diesem Film seit jungen Jahren (zunächst als Wunderkind-Live-Begleiter am Flügel) besonders verbunden ist und der nun auch – basierend auf der Partitur – entscheidend zur Rekonstruktion beigetragen hat.
Immer wieder verblüfft Strobel durch seine absolute Synchronität zum Bild, bis hin zu den Schlägen der Glocke. Sehr differenziert arbeitet er die Stilistika von Huppertz’ Partitur heraus, zwischen Weill-Ton und Leitmotivik der spätromantischen Orchestrierung, jähe Umschwünge von Bildschnitt und Komposition werden sinnfällig. Dabei kommt dem Dirigenten auch seine Opernerfahrung zugute, denn Huppertz – basierend auf Thea von Harbous Drehbuch und selbst eng integriert in die Dreharbeiten – collagiert in seiner Partitur diverse Operntopoi: Freder und seine halbnackten Gespielinnen in den „Ewigen Gärten“ alludieren Parsifal und die Blumenmädchen; die durch das Tor in dieses künstliche Paradies tretende Maria evoziert die Gänsemagd aus Humperdincks „Königskindern“ (wobei die Protagonistin anstelle der Gänseschar die Kinder der Armen umgeben, aber auch diverse exotische Vögel im Bildvordergrund die gesuchte Assioziation unterstützen); Bühnenrealisierungen von Franz Schrekers „Der ferne Klang“ dienten als Vorlage für die mit Lampions vagierenden Züge der Nachtclubbesucher, während Freders Traumsequenz, mit einem personifizierten Tod und dem gegen die Hure Babylon predigenden Mönch, an Max Reinhardts „Mirakel“ (auf Humperdincks Filmpartitur) erinnert.
Der Showdown, mit Marias Entführung übers Steildach der Kathedrale und den in der Höhe des Doms ringenden Gegenspielern Freder und Rotwang assoziiert auch klanglich Franz Schmidts „Notre Dame“. So wirkt die Live-Darbietung von Fitz Langs filmischem Meisterwerk wie aus einem Guss und auch – wie eine Oper ohne Worte.
Eingeleitet wurde der Berlinale-Festbeitrag durch Ansprachen von Staatsminister Bernd Neumann, Eberhard Junkersdorf von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung und von Festival-Direktor Dieter Kosslick, dessen lockere Begrüßungsrede auch Karnevaleskes („warum Fritz Lang keine Kurzfilme gedreht hat“) nicht aussparte. Unfreiwillig an Komik überboten wurde sie durch eine kleine Panne: der Rückblick auf frühere Berlinale-Ereignisse in „Wochenschau“-Ausgaben wurde überlagert mit Einblendungen eines intimen Live-Chats.