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Operette sich wer kann! Robert Lehmeier ruiniert in Mainz die „Fledermaus“

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Die „Fledermaus“ gilt eigentlich als unverwüstlich. Charme und Witz von Johann Strauß’ beliebtester Operette, meint man, sind nicht kaputtzukriegen. Doch Robert Lehmeier, bekannt geworden durch die Berliner Inszenierungen „Angela - eine Nationaloper“ und die schwule Version von Mozarts „Cosi fan tutte“, gelingt es am Staatstheater Mainz tatsächlich, das Stück gegen die Wand zu fahren.

„Ein hohes Maß an Komik und ironischer Brechung“ entdecke er in der  Fledermaus, heißt es in den Vorberichten der Lokalpresse. Doch am Abend der zweiten Aufführung im Großen Haus lassen die Lacher lange, sehr lange auf sich warten, man könnte sie an zwei Händen abzählen. Und ein Gutteil davon geht auf das Konto so subtiler Gags wie die, dass die von Bühnenbildner Harald Thor fingierte Ballsaaltreppe des 2. Aktes in Wirklichkeit eine Rutsche ist, auf der die Darsteller straucheln, oder dass eine dickliche Ballerina von einem Seil herabschwebt.

Schon im berühmten Terzett des 1. Aktes mit dem schwungvollen „O je, o je, wie rührt mich dies“, merkt man, dass in dieser Inszenierung kaum etwas zusammenstimmt. Dass der tänzerische Gestus der Musik die geheuchelten Worte der drei Protagonisten Lügen straft, bleibt unbemerkt, wenn der Dialog zähflüssig gesprochen wird, der Gesang kaum zu verstehen ist, die Bewegungsimpulse aus dem Orchestergraben ignoriert werden und die delikate Konstellation zwischen Hausherr, Ehefrau und Kammerzofe nicht entfaltet wird.

Ziemlich autistisch sitzen die Drei in einem neureichen Wohnzimmer voller folienüberzogener Möbel. Tatjana  Charalgina als Stubenmädchen Adele ist zwar kokett aufgemacht, doch singt sie ihre Partie im schwergewichtigen Stil einer Bühnen-Primadonna. Später, bei ihrer Arie im 3. Akt („Spiel ich die Unschuld vom Lande“), lässt sie der Regisseur eine Schönheitskönigin mimen. Das wirkt peinlich – nicht etwa, weil sie sich im Bikini nicht gut sehen lassen könnte, sondern weil sie sich nicht passend zur Musik zu bewegen weiß.

Zunehmend verzichtet Lehmeier darauf, das Stück überhaupt zu erzählen. Der Chor im zweiten Akt erscheint als eine geisterhafte Ansammlung schwachsinniger Spießer, die bei passenden und unpassenden Gelegenheit „Ah“ und „Oh“ schreien, vor einem despotischen Fürsten Orlowsky (beeindruckend in der Verfremdung: Patricia Roach) kuschen und wie auf Kommando dessen Bewegungen imitieren oder sich zum Publikum drehen. Eisenstein und Gefängnisdirektor Frank, als Franzosen getarnt, dürfen ausführlich französisch parlieren, obwohl beide doch gar kein Französisch können. Von dem gefährlichen Spiel zwischen Sein und Sein bleibt da nichts übrig, ebenso wenig von der Lust am Sich-Verstellen, Sich-Vergessen, Sich-Amüsieren, die für die Gattung Operette so typisch ist.

Tapfer bemüht sich das Programmheft um Sinnstiftung: Da werden die analytischen Beobachtungen des Operettenkenners Volker Klotz zitiert, von denen die Regie offensichtlich nichts wissen will. Da werden Parallelen im Lebensgefühl gezogen zwischen 1873 und 2009, von denen auf der Bühne nichts zu spüren ist. Und da wird auch die musikalische Einlage im Finale des 2. Aktes begründet: Bei der Verbrüderung im „Dui-du“ komme „das Treiben zum Stillstand“, und eine „Option der Veränderung“, eine „Grenzüberschreitung“ deute sich an. Was geschieht? Aus dem Lautsprecher erklingt – quasi als Vorbote einer anderen, besseren Welt – das Adagietto aus Gustav Mahlers 5. Sinfonie. Doch dem Regisseur fällt gar kein Bild dazu ein; die Darsteller lockern sich ein wenig, einige legen eine Zigarettenpause ein. Dann kommandiert Orlowsky „Schluss jetzt!“

Der dritte Akt beginnt mit den liegengebliebenen Hauptdarstellern auf den Trümmern des zweiten Aktes. Der Mainzer Kabarettist Lars Reichow spielt den Gefängniswärter Frosch, das heißt genauer: Er spielt ihn nicht, sondern er hat die Aufgabe, die großzügig gestrichene Handlung im Konjunktiv weiter zu erzählen und Stichworte für die verbliebenen Musiknummern zu liefern. Die wirken in diesem Kontext nur noch aufgesetzt. Reichow versteht ausgewiesenermaßen etwas von Musik, von Situationskomik und von Dramaturgie. Damit ist er in dieser Inszenierung natürlich fehl am Platz. Und so flüchtet er sich in brummige Bemerkungen. „Operette sich, wer kann,“ kalauert er und fragt „Interessiert das hier wirklich noch jemanden?“ Dass Generalmusikdirektorin Catherine Rückwardt im Orchestergraben den spritzigen Operettentonfall zu sinfonischer Klangentfaltung aufdreht, mag man ihr nicht einmal verargen, wo die Musik doch ohnehin ihren szenischen Sinn verloren hat.

Erstaunlich bleibt, wie schwer sich seit Jahren das Staatstheater der Karnevalshochburg Mainz mit der leichten Muse tut. Lang ist’s her, dass der Kabarettist Michael Quast im kleinen Haus mit der „Großherzogin von Gerolstein“ einen ebenso witzigen wie bissigen Offenbach auf die Bühne brachte.

 

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