In Interviews hat der Regisseur Jan Philipp Gloger von „Kompromissen“ seiner Bayreuther Inszenierungsarbeit gesprochen, welche die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Christian Thielemann nötig gemacht habe. Diese Kompromisse sind es wohl, die das Ergebnis der Bayreuther Neuinszenierung so unerquicklich machen.
Hinter verschlossenem Vorhang klingt die Ouvertüre von Richard Wagners Romantischer Oper aus dem verdeckten Orchester zunächst all zu sehr zurück genommen, dann retardiert der Dirigent merklich, um den nachkomponierten Erlösungsschluss abzusetzen, wobei hier erst das Festspielorchester die akustische Spezifik des Hauses einzulösen vermag.
Das Bühnenbild von Christof Hetzer zeigt dann auf schwarzem Hochglanzlackboden eine abstruse Konstruktion von Metallleitungen mit digital laufenden Zahlenketten: ohne Zweifel kein Ozean, sondern ein Meer von Kommerz und Börse. Karin Juds Kostüme – Anzug mit Krawatte – zeigen, dass die Handlung heute spielt. Unklar aber, warum dann Daland und der Steuermann in ihrem Bürodress in einer Nussschale von Boot sitzen. Daland nimmt ein Schlafmittel und verkriecht sich unter seinen Mantel. Der Steuermann hat seinem Mädel statt des besungenen „gülden[en] Band[es]“ ein Modellkleid aus der Boutique mitgebracht, und der ohne Schiff ankommende asiatische Fremde trinkt erst mal einen Coffee to go. Ihn umgeben einige seiner vorangegangenen Ehefrauen.
Die Schätze, die er Daland als Preis für dessen gepriesene Tochter anbietet, sind ein Rollykoffer voller Devisen, und so kommt es denn auch gleich zur Vertragsunterzeichnung. Anstelle einer Spinnstube fährt ein Geviert mit integrierter Drehbühne nach vorne, eine Verpackungsstelle für Ventilatoren. Erik ist der Hausmeister, der mit einer Silikonpistole auf einer Leiter repariert, während Senta das Verpackungsmaterial als Künstlerin zweckentfremdet. Inmitten einer ausgeschnittenen Umwelt aus Kartons, die sie flammend rot bemalt, hat sie sich eine rote Roboterfigur als ihr individuelles Bild des fliegenden Holländers geschaffen.
Während Sentas Ballade setzt sich Mary (Christa Mayer) ihre Brille ab, öffnet ihre Haarpracht und fiebert verjüngt einem Idealbild von Mann entgegen. Senta aber fügt den realen Holländer nahtlos in ihre Spielzeugwelt ein, sie lässt sich von ihm ihre vorgefertigten Papp-Engelsfügel umschallen und formt sich noch rasch aus Pappe eine Fackel. Wie eine Freiheitsstatue unter kommunistischen Sternen schwört sie dem Fremden mit erhobener Fackel die Treue. Nachdem Senta den Arm ihres Liebhabers mit roter Farbe bemalt hat und sie sich auch ausgiebig geküsst haben, besuchen sie Beiden Händchen haltend das Fest im Dorf:
Die uniform gekleideten Bürohengste werden vom Vordenker Steuermann gebrieft auf ein neues, vierstufiges Modell des Ventilators, das die herbei zitierten Fremden – kostümlich das identische Negativbild der Büroeinheit – abfackelt. Den sagenhaften Text, den der Chor dazu singt, hält der Steuermann auf großen Texttafeln bereit. Der Holländer verbrennt auch die versprochene Brautgabe. Anstelle eines Sprungs vom Felsen, rammt sich Senta wiederholt ihre Karton-Ausschneideschere in den Bauch und steht mit dem blutig überströmten Fremden in enger Umarmung auf ihrem Berg von Kartons.
Das bringt den Steuermann auf eine neue Geschäftsidee. Der Vorhang schließt sich. Wenn er sich mit dem Erlösungsmotiv wieder öffnet, verpacken die Frauen das neueste Exportmodell: einen Ventilator in Form des eng umschlungenen, blutigen Liebespaares.
Der mit Spannung erwartete russische Hauptdarsteller Evgeny Nikitin, mit Heavy Metal Vergangenheit, musste Bayreuth verlassen, da auf seiner Brust ein allerdings bereits schon lange übertätowiertes Hakenkreuz-Tatoo entdeckt wurde. Kurzfristig übernahm sein Cover Samuel Youn die Titelpartie, die er ohne Dämonie mit metallischer Mittellage souverän gestaltet. Adrianne Pieczonka ist im Kernstück der Senta, der Ballade, weniger ausdrucksstark als in der restlichen Partie, die sie lebendig mit vielen Nuancen verkörpert. Michael König singt einen stämmigen Erik, Franz-Josef Selig geschmeidig den Handelsherrn Daland und Benjamin Bruns das von der Regie aufgepeppte Idol eines Steuermanns neuer Geschäftsideen.
Trotz sicherer Führung von Solisten und Chor wirkt die erst dritte Operninszenierung des jungen Regisseurs Jan Philipp Gloger wie eine engagierte Schulaufführung. Ausgelöst wird dieser Eindruck durch Papprequisiten, wie auch durch die Diskrepanz zur Musik, in der Christian Thielemanns mit aufwärts gerichteter Eins um zackige Ordnung bemüht ist, aber doch diverse Wackler nicht verhindern kann.
Vor dem Wechsel vom Festspielhaus zum Staatsempfang im Neuen Schloss jubelt das stark mit Politik und Prominenz durchsetzte Premierenpublikum kurz und heftig, auch mit starken Unmutsäußerungen gegen das Regieteam.
Die nächsten Aufführungen: 31. Juli, 6., 12., 18. und 24. August 2012.