Die Kathedrale Notre-Dame in Paris wird im Dezember wieder eröffnet. Titularorganist Olivier Latry wird schon im Juni die ersten Register der großen Cavaillé-Coll-Orgel probe spielen.
Phoenix aus der Asche
Nun befindet sich das Instrument in den letzten Zügen der Restaurierung: Die fast 8.000 Pfeifen wurden kurz nach dem Brand ausgebaut und einzeln gereinigt und aufwendig behandelt. Seit etwa einem Jahr befindet sich die Orgel schon wieder in der Kathedrale, allerdings die meiste Zeit ohne Pfeifen, wie Olivier Latry im Mai im Gespräch erzählt – die sind erst seit etwa zwei Monaten wieder auf dem Weg zurück ins Instrument: „Früher war es nicht möglich, die Pfeifen zurückzubringen, wegen der vielen Gerüste überall in der Kathedrale.“ Zwar sei noch immer viel Gerüst in der Kirche, doch der Zugang zur Orgel und auch die Akustik seien schon wieder in einem Zustand, in dem die ersten Pfeifen eingebaut werden könnten. „Worauf die Orgelbauer allerdings achten müssen, ist die Temperatur“, erzählt Latry weiter. „Sie arbeiten nachts, wenn niemand sonst in der Kirche ist. Und wenn es im Sommer zu warm wird, machen sie eine Pause“ – die Pfeifen arbeiten schließlich wie alle anderen Materialien und dehnen sich beispielsweise aus, wenn es wärmer wird. Ein Einbau, geschweige denn eine vernünftige Intonation sei also vermutlich im Juli und August gar nicht möglich. „Deshalb geht es nach dem Juni erst im September weiter“, sagt Latry. Einbau und Intonation dauern dabei vermutlich insgesamt ein gutes halbes Jahr.
Das erste Mal die Orgel anspielen, mit den paar Registern, die bis dahin eingebaut werden konnten, wird Latry Mitte Juni, sobald er von seiner aktuellen mehrwöchigen Konzertreise nach Philadelphia und Montréal zurück ist. Den für Dezember angesetzten Wiedereröffnungstermin der Kirche hält er indes für realistisch – Präsident Emmanuel Macron hatte sich im Dezember vergangenen Jahres gegen die stückweise Öffnung der Kirche ab April und für einen großen offiziellen Akt Ende des Jahres entschieden. Stichtage sind dann der 7. und 8. Dezember: „Am 7. Dezember findet die offizielle Schlüsselübergabe durch Macron an den Bischof von Notre-Dame statt“, sagt Latry, „und dann wird er alleine in die Kirche gehen. Denn es ist seine Kathedrale.“ Dort werde er vermutlich alleine in Ruhe beten und anschließend mit Latry und den anderen Organisten nach und nach die Orgel in einer Zeremonie „aufwecken“ und segnen: „Er wird mit der Orgel sprechen“, sagt Latry, „indem er ein Gebet spricht, das in jeder Strophe einen anderen Aspekt hervorhebt“ – Sorgen, Sünde, Freude und so weiter. Latry und die anderen Organisten antworten dann mit acht bis zehn kurzen Improvisationen und lassen dabei nach und nach alle 115 Register erklingen.
Die offizielle Eröffnung der Kirche ist einen Tag später geplant, mit Publikum und Bischöfen aus der ganzen Welt – die erste Messe seit fünf Jahren. Latry spielt zu diesem Anlass kein auskomponiertes Werk, sondern improvisiert, ganz im Sinne der Tradition. Ob die Orgel dabei wieder genau so klingen wird wie vor dem Brand? „Das hoffe ich doch“, sagt Latry. Möglicherweise allerdings werde der Gesamtklang in der Kathedrale etwas heller sein, merkt er an, da das Innere gründlich gereinigt und von jahrhundertealtem Staub befreit wurde – „aber es ist die gleiche Orgel, die gleiche Kathedrale – und einige Millionen Touristen später hört man vermutlich keinen Unterschied mehr.“
Vom 8. bis 15. Dezember findet in der wiedereröffneten Kathedrale Notre-Dame dann jeden Tag eine Messe mit besonderem Thema statt.
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