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Beat Furrer. Foto: Manu Theobald
Beat Furrer. Foto: Manu Theobald
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Plädoyer für Live-Konzerte: Beat Furrer erhielt den Ernst-von-Siemens-Musikpreis 2018

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Aktuell fördert die Ernst-von-Siemens-Stiftung 115 ausgewählte Projektanträge mit einer Summe von 3,5 Mio. Euro. Am 3. Mai erhielt der österreichisch-schweizerische Komponist Beat Furrer im Prinzregententheater München den mit 250.000 Euro dotierten Ernst-von-Siemens-Musikpreis und trat selbst ans Pult des von ihm gegründeten Klangforum Wien. Die drei mit je 35.000 Euro dotierten Komponisten-Förderpreise gingen an Clara Iannotta, Oriol Saladrigues und Timothy McCormack.

Die Szene der Neuen Musik ist erstaunlich groß. Deshalb bleibt es nicht aus, dass Kompositionsaufträge und Förderungen stark begehrt und hart umkämpft sind. Vor allem die Ernst-von-Siemens-Musikstiftung ermöglicht eine Vielzahl von Projekten und Uraufführungen. „Ohne die Stiftungszuschüsse hätten wir weder die Uraufführung ‚Sacrifice‘ von Sarah Nemtsov noch ‚Mein Staat als Freund und Geliebte‘ von Johannes Kreidler stemmen können.“ bestätigt zum Beispiel Michael von zur Mühlen, Dramaturg und Regisseur an der Oper Halle, wo Intendant Florian Lutz in jeder Spielzeit seiner Amtsperiode eine große Uraufführung herausbringen will.

Fast tastend beginnt Michael Krüger, Vorsitzender des Stiftungsrates und Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, seine Begrüßung. Der von ihm durchweg angewandte Konjunktiv überwölbt die derzeitige Scheu vor ethischen Konflikten bei Auszeichnungen in der Klassischen Musik. Doch es ist wenig wahrscheinlich, dass die Empfänger der Komponistinnen-Förderpreise und des Hauptpreises für populistische Vereinnahmungen nutzbar werden könnten. Denn dazu sind sie zu elaboriert und zu experimentell.

Für das aufmerksame Publikum wird es fürwahr nicht ganz einfach. Doch vor allem ist die Verleihung ein eindrucksvolles und gewichtiges Plädoyer für das direkte Erleben von Musik: Die Partituren der geehrten Komponisten wirken als unmittelbares Liveerlebnis, sind vielleicht mit Ausnahme von Beat Furrers „Canti della tenebra“ zu subtil für die Wiedergabe in Medien oder von Tonkonserven.

Die drei Videoporträts über die Empfänger der Komponisten-Förderpreise bilden deren philosophische Fragestellungen und persönlichen Antriebsmomente ab. Thomas Macho, Direktor des internationalen Forschungszentrums Kulturwissenschaften Wien, vermeidet in seiner Laudatio auf Beat Furrer tiefer zielende Beschreibungen von dessen Musik. Neue Musik bannt man hier in sehr sensible, behutsame Worte.

Die Italienerin Clara Iannotta (geb. 1985) liefert gleich zu Beginn den radikalsten Beitrag. Die Musiker schwingen sich für sie zu Beginn in einen gemeinsamen Puls, eine Choreographie der Tonerzeugung. Die Leiterin der Bludenzer Tage für zeitgemäße Musik liefert sich dem eigenen Perfektionsstreben rückhaltlos aus. Ihr Werk reiht Mikrostrukturen an der Schwelle zwischen Ton und Geräusch, fordert ungewöhnliche Nutzung von Instrumenten und lässt diese Klänge für sich wirken, ohne sie in ein erkennbares satztechnisches System zu bringen. Dieser ganz eigene Kosmos wird schon durch das leiseste zufällige Geräusch im Zuschauerraum gefährdet, könnte deshalb aus der Balance fallen. Ein weiteres Strukturmerkmal von Clara Iannottas „troglodyte angels clank by“ (2015) sind die enggeführten Intervalle.

Bei dem aus Barcelona stammenden Oriol Saladrigues (geb. 1975) werden die Motivfragmente zu stärkerem Speed und gewinnen ein untergründiges Flirren, das fast Saladrigues‘ Zweifel an der Zeit als zuverlässigem Parameter widerlegt. Die Uraufführung „tempo sospeso“, dem er als Programm das selbstverfasste Poem „Time never stops“ beigibt, wirkt vitaler durch die Verwendung von Pizzicati, Tremoli und glissandoartigen Bewegungen. Doch nichts ist verlässlich, weil Oriol Saladrigues an die Möglichkeit glaubt, aus der Unvollkommenheit von Informationen den Funken zu etwas Vollendetem schlagen zu können.

Den am meisten vitalen Beitrag leistet der Amerikaner Timothy McCormack (der erfolgreich sein Geburtsjahr verheimlicht) mit einem Ausschnitt aus seinem Opus „karst survey“. Timothy McCormack pulsiert in Welt und Umwelt, holt seine Hörer für Perspektivenwechsel in der Wahrnehmung zwischen Totale und Mikrodetails ab. Seine Tongebilde haben dynamische Bewegtheit, die umso mehr auffällt, weil Clara Iannotta und Oriol Saladrigues in Tönen aus allerfeinstem Sand innehalten und tatsächlich die Zeit zum Stehen bringen, indes Timothy McCormack tänzerische Impulse aufgreift.

Hauptpreisträger Beat Furrer hat die musikalische Leitung der Werke seiner jungen Kollegen übernommen und tritt auch für seine „Canti della tenebra“ auf Poeme von Dino Campana, die in enger Beziehung zu seiner Oper „La bianca notte/Die helle Nacht“ (Hamburg 2014) entstanden, ans Pult. In der Laudatio für ihn rühmt Thomas Macho die immer wieder neuen Strategien Beat Furrers, der in jedem seiner Bühnen- und Vokalwerke um eine unmittelbar sinnstiftende Ausdrucksform ringt, dabei „immer wieder den Umgang mit Form, Klang, Sprache und Szene grundlegend hinterfragt“ (Stiftungsrat). In diesen fünf Liedern findet sich auf engem Raum eine Enzyklopädie kammermusikalischer Ausdrucksmittel und vor allem, ebenso wichtig, ein musikalischer Aktionsraum für großen Mezzosopran: Tanja Ariane Baumgartner macht die ausladenden Anforderungen durch Beat Furrer schlichtweg vergessen und wird zur mindestens ebenbürtigen Partnerin des Klangforum Wien, bringt die rezitativischen Kantilenen zum versatilen Schillern. Erst am Ende fällt auf, dass es an diesem Abend an keiner Stelle um das geht, was früher als Anlass und Wirkung von Musik galt: Affekte, Gefühle, Emotionen. Doch dafür zeigt sich eine neue Bedachtsamkeit und in ihrer Zielgerichtetheit eindrucksvolle Ökonomie der künstlerischen Mittel. Weniger ist Mehr.

Die Preisverleihung wurde live auf www.evs-musikstiftung.ch und www.br-klassik.de übertragen.

 

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