Wie ein bizarres Ufo thront die Bonner Oper am Ufer des Rheins, direkt neben der Kennedybrücke im Herzen der Beethovenstadt. Silbrig glänzt die Fassade, eindrucksvoll spiegelt sich die Silhouette der Stadt in den großen Fensterfronten des spitz in Richtung Stadt zeigenden Entrées. Der von den Architekten Klaus Gessler und Wilfried Beck-Erlang für die damalige Bundeshauptstadt entworfene Bau ist ein markantes architektonisches Statement, 1965 vollendet und immer noch ein repräsentativer Hingucker, auch ohne Hauptstadtbonus.
Der Bau ist aber auch ein Sanierungsfall. Auf der Rückseite mussten bereits Gerüste aufgebaut und Netze gespannt werden, um die Eingänge der Werkstattbühne vor herabfallenden Fassadenteilen zu schützen und nicht nur an der Außenhülle des Bühnenturms nagt deutlich sichtbar der Zahn der Zeit. Im Innern ist nicht nur die Patina der Erbauungszeit an jeder Ecke zu spüren. Auch die Gesetzeskonformität des Brandschutzes stand wie die von der Zwangsstillegung bedrohte Bühnentechnik in den letzten Jahren immer wieder auf der Kippe.
Diese Probleme sind mittlerweile behoben, doch kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Bonn ein großer Rundumschlag fällig ist. Sanierung oder Neubau lautete lange Zeit die Frage, bei der sich das Pendel mehr und mehr zu Ersterem neigt, doch harrt diese Frage genauso einer definitiven Beantwortung wie die zahlreichen Details, die im Falle eines Falles Stück für Stück abgearbeitet werden müssen. Und dass sich daran etwas ändert, ist in nächster Zeit nicht zu erwarten. Das weitere Verfahren wurde auf Initiative von OB Ashok Sridharan nämlich bis auf weiteres auf Eis gelegt.
Nach dem Desaster um das WCCB-Kongresszentrum, bei dem die Stadt wider besseren Wissens von einem betrügerischen Investor um Millionen geprellt wurde, und der finanziell wie zeitlich völlig aus dem Ruder gelaufenen Sanierung der Beethovenhalle ist man in Bonn in eine Art Schockstarre verfallen. Generalintendant Bernhard Helmich bleibt einstweilen nichts Anderes übrig, als das Schlimmste mit den nötigsten Maßnahmen zu verhindern. Viel mehr kann er im Hinblick auf den bedenklichen baulichen Zustand seines Hauses derzeit nicht tun.
Desaster mit Ansage
Vielleicht ist das derzeit ohnehin das Beste, was er tun kann, denn erst jüngst hat ein Bericht des städtischen Rechnungsprüfungsamtes über die Sanierung der Beethovenhalle den Kollegen vom Gebäudemanagement ein in jeder Hinsicht vernichtendes Zeugnis ausgestellt. Zu passiv, zu langsam, zu inkompetent und zu intransparent habe man dort agiert, so lautet dessen Quintessenz. Kurzum: die städtische Verwaltung war in jeder Hinsicht überfordert. Das überaus komplexe Bauvorhaben der Sanierung der Beethovenhalle war von Anfang an eine Katastrophe – und zwar mit Ansage.
„Man räumte die Stühle raus und fing an mit der Baustelle. Ohne abgeschlossene Bauplanung, ohne solide Bauwerksanalyse, ohne solide Bestandsanalyse und das fiel dann natürlich auf die Füße. Man hatte die Vision entwickelt, dass man baubegleitend planen kann. Und das ist die eigentliche Katastrophe gewesen.“ Dieser Satz steht nicht etwa im Gutachten des Bonner Rechnungsprüfungsamtes, er stammt aus dem Mund des kulturpolitischen Sprechers der Linken und Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses Berliner Staatsoper, Wolfgang Brauer (zitiert nach einem Bericht des Deutschlandfunks von 2016). Auf das Vorgehen der Bonner Stadtverwaltung passt er jedoch haargenau. Hier wie dort folgte ein Baudesaster, im Falle der Staatsoper mit einer Kostensteigerung von geplanten 239 Millionen auf mehr als 400 Millionen Euro. In Bonn wartet man in Sachen Oper deshalb lieber ab, bis das Beethovenhallendesaster – hoffentlich – lückenlos aufgeklärt ist.
Nicht besser als in Bonn läuft es in Köln. „Wenn die Planprüfung mit allen Details hinter uns liegt, haben wir das Projekt auf ein neues Fundament gestellt: Annahmen können durch Daten ersetzt werden, Prognosen durch Fakten. Wir kennen die zu bewältigenden Herausforderungen nun genau, die planerischen Risiken sind damit signifikant gesunken.“ So beschrieb Bernd Streitberger, der Technische Betriebsleiter der Sanierung, im Juni 2019 den damaligen Stand bei der Vorstellung der aktualisierten Kosten- und Terminprognose für die Sanierung der Bühnen der Stadt Köln.
Zwar ist es nicht ungewöhnlich, dass Baukosten bei einer Altbausanierung steigen, doch ähnlich wie in Bonn waren die vor Baubeginn erfolgten Planungen zu mangelhaft, zu lückenhaft und gingen schlichtweg von zu optimistischen Prognosen hinsichtlich Bausubstanz und -aufwand aus. Das allerdings scheint ein Grundproblem von Planungen der öffentlichen Hand zu sein, Fälle wie Bonn, Köln und Berlin sind schließlich kein Einzelfall. In Köln etwa hätte man längst fertig sein sollen, doch sind Kosten und Zeitrahmen ebenfalls völlig aus dem Ruder gelaufen.
Um Transparenz bemüht
Von 571 Millionen Euro reinen Baukosten geht man dort mittlerweile aus, gestartet war man bei 253 Millionen. Während die Bauzeit mit gut drei Jahren angesetzt war, ist man jetzt bei zehn, wenn die Schlüsselübergabe wie geplant im dritten Quartal 2023 stattfindet. Immerhin ist man bei der Stadt Köln um Transparenz bemüht. Auf der Website „sanierung.buehnen.koeln“ wird die Baugeschichte detailliert aufgeschlüsselt, regelmäßig gibt es Berichte über alle Details des Baufortschrittes. Auch über eine eventuelle Aufstockung des Gesamtbudgets inklusive aller eventuellen Risiken auf dann insgesamt 599 Millionen Euro (Stand 30.6.), falls etwa die Corona-Krise zu Beeinträchtigungen führen sollte. Aktuell sorgt der Einbau der Haustechnik für die Oper am Offenbachplatz für Schlagzeilen. Es zeichnet sich zum einen ab, dass die Verhandlungen zwei Monate länger dauern werden als geplant. Zum anderen liegen die bisherigen Angebote deutlich über den bisherigen Kalkulationen der städtischen Bühnen. Sollte es nicht möglich sein, die Kosten zu drücken, könnte sich die Fertigstellung der Opernsanierung durchaus noch einmal verteuern – und verzögern.
Köln und Bonn sind einerseits Extremfälle, andererseits aber auch Warnungen. Viele deutsche Bühnen sind in die Jahre gekommen, Standards in Bezug auf Brandschutz, Arbeitsschutz und Energieverbrauch sind enorm gestiegen und oft politisch motiviertes Anspruchs- und Prestigedenken mancher Lokalgranden führt direkt hinein ins Finanzdebakel, wie Falk Jaeger in einem Artikel im Berliner Tagesspiegel im Februar dieses Jahres ausführt. Sein Fazit ist bitter: „Investition und Betrieb sind im Theaterbereich aus dem Gleichgewicht geraten, wie übrigens auch im Museumswesen. Es kann nicht angehen, dass ungebremstes Anspruchsdenken zu hypermodernen und kaum mehr bezahl- und beherrschbaren Kulturmaschinen führt und andererseits die Kulturschaffenden mit wenigen Ausnahmen mangels auskömmlicher Etats ein prekäres Dasein fristen.“ Ein Umdenken sei nun angesagt: Pragmatik, Realitätssinn – und weniger Spendierhosen bei den Politikern seien nun gefordert.
Andernorts steht man erst vor wegweisenden Entscheidungen: In Frankfurt etwa ringt man derzeit noch um einen passenden Standort für einen Neubau des Opern- und Schauspielhauses, in Stuttgart diskutiert man gerade Zeitpläne, Ausweichquartiere und Kosten der fast an der Milliardengrenze kratzenden Sanierung der Staatsoper. Dort ist es somit noch früh genug, um die Probleme zu vermeiden, die man derzeit auch in Augsburg hat. Denn auch dort wird die Sanierung des erst jüngst zum Staatstheater erhobenen Hauses – wen wundert’s – teurer als geplant. 190 Millionen Euro waren dort zunächst veranschlagt worden, mittlerweile geht die Stadt aber von rund 280 bis 320 Millionen aus. Die Fertigstellung ist für Mitte 2026 geplant.
Wie so oft gibt es auch hier zwei kostentreibende Faktoren: die stetig steigenden Baupreise und den Denkmalschutz. So ist der gesamte Komplex des Opernhauses in der Augsburger Innenstadt geschützt, auch die Foyers aus den 1950er-Jahren müssen im Sinne des Denkmalschutzes erhalten werden. Die Grundsubstanz des Gebäudes stammt aus der Gründerzeit und in dieses Korsett muss nun ein hochmodernes Opernhaus samt allen aktuellen baurechtlichen Vorgaben hineingezwängt werden. In Augsburg hat man dies unter anderem durch An-, Um-, und Neubauten zu lösen versucht, ehrgeizige Pläne die man unlängst angesichts der Kostenexplosion wieder abspecken musste. 125 statt ursprünglich 75 Millionen sollten allein die neuen Räume für Werkstätten und Probebühnen plötzlich kosten, zu viel des Guten. Ein freistehender Orchesterprobensaal soll nun in den Bau integriert werden, was die Kosten mit weiteren Einsparungen auf gut 115 Millionen Euro deckeln soll. Das Signal, das der Stadtrat trotz dieser Kostensteigerung aussendete, war dennoch unmissverständlich: an der Sanierung soll festgehalten werden. Natürlich ist selbige nicht nur wegen der Kosten nicht unumstritten. Peter Grab, Stadtrat und ehemaliger Kulturreferent, sagte jüngst in der Stadtzeitung: „Das Theater wächst der Stadt Augsburg über den Kopf.“ Er plädiert aber nicht für einen Baustopp, sondern für eine vollständige Übernahme der Betriebskosten durch den Freistaat.
Zumindest um den Denkmalschutz braucht man sich in Frankfurt weniger als anderswo zu sorgen. Eine Sanierung der noch Elemente des Schauspielhauses von 1902 integrierenden, in ihrer heutigen Form auf die 60er-Jahre zurückgehenden und seitdem immer wieder umgebauten und erweiterten Anlage ist so teuer und im Hinblick auf die betrieblichen Erfordernisse so suboptimal, dass man sie zugunsten von Neubauten verworfen hat. Um die Frage des Standorts wird aber heftig gerungen: Während verschiedene Varianten beide Häuser entweder zusammen oder an getrennten Standorten nach wie vor in unmittelbarer Zentrumsnähe verorten wollen, favorisiert eine Variante ein Gelände am Hafen, deutlich entfernt vom Stadtkern. Aus Sicht der Kulturdezernentin, Dr. Ina Hartwig, muss jedoch mindestens eine Spielstätte weiterhin am Willy-Brandt-Platz verbleiben; an dem Ort, an dem das kulturelle Herz der Stadt schlage.
Frankfurt dürfte auf absehbare Zeit die prominenteste der Theaterbaustellen sein, es gibt jedoch noch viele weitere: Im Theater Altenburg wird unter anderem am Brandschutz, der Barrierefreiheit und der Ertüchtigung der Bühnen gearbeitet. Eine Wiedereröffnung ist für Frühjahr/Sommer 2021 geplant. Doch ob der Termin gehalten werden kann, könnte wegen Verzögerungen bei der Ausschreibung von Gewerken fraglich sein. Die Staatstheater in Karlsruhe und Nürnberg stehen am Beginn beziehungsweise in den Startlöchern zu einer Generalsanierung, ebenso das Nationaltheater Mannheim. Bei letzterem geht man von einem Gesamtvolumen von zirka 240 Millionen aus, die über einen Zeitraum von fünf Jahren verbaut werden sollen. Stichtag für den Sanierungsstart ist in Mannheim spätestens Ende 2022, dann läuft die Betriebserlaubnis des Theaters wegen Brandschutzmängeln aus.
Am Theater Osnabrück startet die Sanierung frühestens ab der Spielzeit 2024/25. Hier ist man wie in vielen Häusern schon im Vorfeld sehr rege und kommunikativ, hat die Planungen in einer Broschüre detailliert beschrieben und auch die Kosten den Planungen anderer Häuser entgegengestellt. Als Ergänzung dazu kann man auf der Homepage sogar eine virtuelle 360°-Führung durch das sanierungsbedürftige Haus machen, die zahlreiche gut aufbereitete Informationen bietet, eine insgesamt wirklich vorbildliche Aufbereitung so eines komplexen Unterfangens. Wann man am Theater Lübeck loslegt, steht noch nicht genau fest. Gelder hat man bereits beim Land Schleswig-Holstein und beim Bund eingeworben; sobald positive Bestätigungen vorliegen, sollen die Sanierungspläne umgesetzt werden.
Was im täglichen Betrieb gerne untergeht, sind die Unterhaltungsarbeiten, die in nahezu jeder Spielzeitpause stattfinden. Am Musiktheater im Revier etwa ist das derzeit eine Sanierung der Heizungsanlagen im gesamten Gebäude sowie die Installation einer neuen Lüftungsanlage. Größeres steht am kurz vor der Erhebung zum Staatstheater stehenden Mainfranken Theater in Würzburg an. Der Rohbau eines Erweiterungstraktes wurde gerade fertiggestellt, die Fassadensanierung steht neben weiteren Arbeiten unmittelbar bevor. Der Wiedereinzug in den frisch sanierten und erweiterten Bau ist nach derzeitigem Stand für die Saison 2022/23 vorgesehen.
Am Theater Dortmund plant man derzeit eine Sanierung des Schauspielhauses, einen Neubau des Orchesterprobenzentrums, neue Räumlichkeiten für die Akademie für Theater und Digitalität sowie die Junge Bühne und plant die Erneuerung von technischen Anlagen, die je nach Gebäudeteil zirka 55 bis 115 Jahre alt sind. Auch am Staatstheater Kassel plant man: „Um die Spielfähigkeit des Theaters langfristig zu sichern und die Anforderungen an Gesundheitsschutz, Betriebssicherheit und Energieeffizienz aus gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen“ muss man dort die Bühnenmaschinerie des Opernhauses, das Datennetzsystem, die Kantine sowie die Portal- und Vorbühnenanlage im Schauspielhaus erneuern und ganz grundsätzlich das Raumangebot erweitern. Darüber hinaus ist eine energetische Sanierung von Dach, Fassaden und Fenstern geplant.
Man könnte die Liste weiter fortsetzen, es tut sich ständig was. Oder, wie Johannes Weigand, der Intendant des Anhaltischen Theaters Dessau, es auf den Punkt bringt: „Die Liste wird abgearbeitet.“ Gerade an seinem Haus mit einer technischen Ausstattung, die teilweise Museumswert habe, sei eine kontinuierliche Erhaltung wichtig. Da könne er sich auf seine ausgezeichnete Technische Abteilung und den Technischen Direktor verlassen. Hier wie in vielen anderen Häusern hat man die Corona-Krise zudem genutzt, anstehende Arbeiten vorzuziehen. In Dessau etwa hat man den Zuschauerraum des kleinen, 120 Plätze fassenden Hauses überarbeitet. Damit alles parat ist, wenn das Publikum wieder ins Haus kommen darf.