Hauptrubrik
Banner Full-Size

«Polski Blues» - Spitzen-Musiker und Bremer Schüler planen Großprojekt im Zirkuszelt

Publikationsdatum
Body

Kuznice ist ein kleines polnisches Dorf. «Irgendwo im Nirgendwo», sagt der Regisseur Alexander Hauer. Derzeit holt er das Dorf in die Gesamtschule Bremen-Ost, wo der Kölner gemeinsam mit Musikern der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, Schülern und Stadtteilbewohnern verschiedener Kulturen Fragen der eigenen Identität nachgeht. Die Vorlage zum dritten Großprojekt des Orchesters bildet Janosch' Roman «Polski Blues». Premiere hat das Werk am 5. Mai im Zirkuszelt inmitten der Hochhauskulisse des Stadtteils.

«Jeder hat die Möglichkeit, sich im Leben zu etablieren und seine Identität zu finden, ohne einem Superstar nachzueifern», sagt Hauer. Das ist eine Botschaft aus dem Roman über den polnischen Regisseur Staszek, der sein Jugendidol, den Jazztrompeter Koziol, in Kuznice wiederbegegnet. Staszek wird von dem Schüler Daniel Komierczak aus der 11. Klasse gespielt. Viele Gefühle und Gedanken Staszeks kann er gut nachvollziehen. «Das ist meine Familie, meine Kultur», sagt der 16-jährige gebürtige Pole.

Als das international renommierte Bremer Orchester sich vor vier Jahren entschloss, sein neues Probendomizil in einer Schule einzurichten, ernteten die Musiker zunächst vor allem Skepsis. Insbesondere, weil es sich in Osterholz-Tenever niederließ, einem Stadtteil, der als sozialer Brennpunkt gilt. Gut 70 Prozent der Bewohner haben einen Migrationshintergrund, mehr als 60 Prozent beziehen staatliche Transferleistungen. Die Musiker, die bereits seit Jahren erfolgreich mit Schülern zusammenarbeiten, kamen aber mit einer Vision. «Wir wollen mithilfe des Katalysators Musik neue Perspektiven eröffnen», sagt Orchester-Geschäftsführer Albert Schmitt. Vier Jahre später ist die Skepsis großer Anerkennung gewichen.

Mit Musik gegen Armut
«Zukunftslabor» nennt das Orchester seine Zusammenarbeit mit den Schülern unterschiedlicher kultureller Wurzeln. Der polnische Komponist Tomasz Praszczalek, der derzeit in Tenever mit Schülern die Musik zu «Polski Blues» kreiert, bringt auf den Punkt, worum es auch den Musikern geht: «Die Kunst ist die gemeinsame Heimat.» Nach «Faust II» und einem Afrika-Projekt ist Polen das dritte große Vorhaben im und mit dem Stadtteil. Weit über 10.000 Menschen habe man bereits erreicht. Schmitt freut sich, dass auch die Arbeit der Musiker dazu beigetragen habe, dass Osterholz-Tenever im jüngsten Bremer Armutsbericht erstmals die rote Laterne abgeben konnte.

Mehr als 300 Schüler sind bei «Polski Blues» eingebunden. Als Musiker, als Darsteller, als Kulissenbauer oder Kostümbildner. Viele Kulturen haben viel zu bieten, sagt Schulleiterin Annette Rüggeberg. Viel habe sich am Geist der Schule getan, seitdem das Orchester dort eingezogen sei. «Alle Projekte tragen unterschiedliche Impulse in die Schule, das ist großartig.»

Im Zukunftslabor wird derweil bereits an weiteren Vorhaben experimentiert. Großprojekte zu Asien, Amerika und dem Nahen Osten sind geplant. Jetzt geht die Reise zunächst in die polnische Kultur. Die sei der deutschen ähnlich, aber doch ein bisschen anders. Schräg, bizarr und mit großer Lust an allem, meint Hauer. «Wir wollen ein Freudenfeuer anzünden und zeigen, dass jeder sein Glück finden kann», sagt der Regisseur.

 

Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen in fünf Daten
- Im Jahr 1980 gründet sich das Orchester als Zusammenschluss von Musikstudenten; 1987 erfolgte die Institutionalisierung als professionelles Kammerorchester in Frankfurt/Main.

- Seit 1992 hat die Deutsche Kammerphilharmonie ihren Sitz in Bremen.

- Das Orchester ist als Unternehmen organisiert; die Musiker sind Gesellschafter des Orchesters und haften für dessen Ergebnisse.

- Künstlerischer Leiter ist seit 2004 der estnische Dirigent Paavo Järvi.

- 2007 wurde das Orchester mit dem Zukunftsaward für Soziale Innovation und 2008 mit dem Deutschen Gründerpreis ausgezeichnet.

 

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!