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Gesang im Bühnennebel. Aerosole ohne Ende. Foto: Hufner
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Proben mit professioneller Distanz: Forschungsstand und praktische Auswirkungen

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Blasinstrumente sind keine Virenschleudern – Abstand halten tut dennoch Not. So kann man verschiedene Studien zusammenfassen, die sich aktuell mit der Frage beschäftigen, mit welchen Schutzmaßnahmen größere Ensembles und Orchester in Zeiten der Corona-Pandemie den Probenbetrieb wieder aufnehmen könnten. Patrick Hahn mit einer Übersicht zum Stand der Forschung und der Empfehlungen:

Leise rieselt das Mehl. Dr. Matthias Bertsch von der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien hat für einen kleinen Youtube-Film den Trichter seiner Trompete ausnahmsweise mit Mehl gefüllt, um sichtbar zu machen, wie viel Luft aus der Trompete herauskommt, bläst man in sie hinein. Das Ergebnis mag den Laien überraschen. Entgegen der naiven Annahme, dass große Lautstärke und strahlender Klang mit der Bewegung großer Luftmassen einhergehen müsse, kommt die in das Instrument geblasene Luft mit sehr geringer Geschwindigkeit aus der Stürze, nachdem sie die knapp 1,5 Meter gewundenen Messingrohres passiert hat. Keinen großen Unterschied macht das Experiment mit einer Posaune: Nachdem der beinahe doppelt so lange Rohrweg passiert wurde, rieselt auch hier nur ein trauriges Stäubchen aus der Posaune.

Grund für diese ungewöhnlichen Stopftechniken des Wiener Musikers und Musikwissenschaftlers ist eine Sorge, die gegenwärtig wohl viele Musikerinnen und Musiker, Arbeitgeber, Veranstalter, Musikliebhaber und potentielle Konzertbesucher umtreibt: Wie gefährlich ist das Musizieren in Zeiten von Covid-19? Blasinstrumente, geht das Gerücht, seien „Virenschleudern“. Gar einem Selbstmord gleich komme das Chorsingen: „Wenn Singen tötet“, titelt die NZZ und erzählt die tragische Geschichte des Skagit Valley Chorale im US-amerikanischen Mount Vernon, in dem sich 45 der 60 in einer Probe Anfang März anwesenden Sängerinnen und Sänger infizierten und von denen zwei Chormitglieder inzwischen Covid-19 erlagen.

Fragwürdige „Handlungshilfe“ der VBG

Gerüchte sind, wie jeder Virus, bekanntlich ansteckend. Gefährlich wird er insbesondere, wenn er sich in den Köpfen von Arbeitsmedizinern und Juristen manifestiert – und damit weit reichende Konsequenzen für eine ganze Branche hat. Wie für zahlreiche andere Berufsfelder, von den Bestattern bis zu den Friseurbetrieben (eine gute Übersicht des Landesinstituts für Arbeitsgestaltung NRW findet sich hier), hat nun die Verwaltungsberufsgenossenschaft (VBG), der größte Träger der gesetzlichen Unfallversicherung in Deutschland, am 27.4.2020 eine „Branchenspezifische Handlungshilfe“ mit Empfehlungen für den Arbeitsschutzstandard für die Branche „Bühnen und Studios“ herausgegeben (Link zur PDF-Datei). Sie wurde auf Grundlage des vom Bundeskabinett verabschiedeten SARS-CoV2-Arbeitsschutzstandards verfasst und ist eine erste Formulierung von Rahmenbedingungen für die Wiederaufnahme des Probenbetriebs in Bühnen und Studios. Nicht zuletzt aufgrund von Haftungsfragen kommt dieser Handlungshilfe eine große Bedeutung zu: Sie dient als Richtschnur zur Auslegung des Arbeitsschutzgesetzes und ist Bestandteil der Gefährdungsbeurteilung des Arbeitgebers bei Pandemievorkehrungen auf der betrieblichen Ebene.

Ob die VBG ihrem Ziel „eine schnelle Wiederaufnahme des Probenbetriebes unter dem Aspekt der Prävention“ gerecht werden kann, erscheint fragwürdig, gibt sie den Orchestern und Chören doch einen Maßstab in die Hand, der einen sinnvollen Proben- und Konzertbetrieb (auf der Bühne) weiter verunmöglicht. Auf 12 Meter legt sie in der Veröffentlichung vom 27. April den Abstand fest, der vor einem Blasinstrument in Blasrichtung einzuhalten sei und von 3 Meter zur Seite. Bei der Formulierung dieser Festlegung wurden offenkundig weder die unterschiedlichen Abstrahlrichtungen von Blasinstrumenten bedacht, noch liegen dieser Richtlinie wissenschaftliche Daten zugrunde. Schmallippig verweist die VBG auf Nachfrage „auf wissenschaftliche Studien zur Tröpfcheninfektion“ und den „engen Austausch mit Arbeitsmedizinerinnen und -medizinern aus der Branche“.

Neue Forschungsergebnisse

Es wird Zeit, dass die VBG diesen Austausch intensiviert und ihre Handlungshilfe dem Stand der Forschung anpasst, denn diese hat in den vergangenen Wochen nicht geschlafen. Neben dem Freiburger Institut für Musikermedizin, das als erstes Institut eine durch wissenschaftliche Überlegungen gestützte Risikoeinschätzung veröffentlicht hatte, sind inzwischen auch die Berliner Charité und die Universität der Bundeswehr München mit eigenen Stellungnahmen hervorgetreten. Gemeinsam ist den Studien, dass sie den eingangs zitierten Befund des mit Hausmitteln durchgeführten Tests bestätigen: Die Sorge, dass Blasinstrumente in hohem Maße infektiös wirken könnten, scheint übertrieben. Eine Grundlage für einen Abstand von 12 Metern sehen die Autoren übereinstimmend nicht.

Das Freiburger Institut stützt seine Einschätzung auf Messungen, die von den Professoren Claudia Spahn und Bernhard Richter in Zusammenarbeit mit einer Firma für Strömungstechnik bei den Bamberger Symphonikern durchgeführt worden sind. Während die Messergebnisse sich noch in der Auswertung befinden, haben sie ihre Risikoeinschätzung in ihrem Update vom 6.5.2020 dahingehend angepasst, dass sie unterstreichen, dass in 2 Metern Abstand von den Bläser*innen und Sänger*innen kein Unterschied zur normalen Luftströmung messbar war. „Aufgrund unserer neuesten Messergebnisse erscheint es nicht notwendig, den Abstand mit 3-5 Metern deutlich überzuerfüllen.“

Die Mediziner der Universitätsmedizin Berlin haben in ihrer Stellungnahme mit den Orchestervorständen und Intendanzen von sieben großen Berliner Sinfonieorchestern zusammengearbeitet (Link zur PDF-Datei). Auch sie empfehlen einen Stuhlabstand für Bläser von 2 Metern sowie den Einsatz von zusätzlichem Plexiglasschutz, wie er vielerorten auch bereits zum Gehörschutz eingesetzt wird. Für alle anderen Musiker wird ein Stuhlabstand von 1,5 Meter empfohlen. Ein zusätzliches Problem stellt die Reinigung und die Entsorgung der Kondensflüssigkeit aus den Instrumenten dar, die nicht wie bislang üblich auf den Boden Tropfen gelassen werden soll, um die Ansteckungsgefahr zu verringern.

Darüber hinaus gelten alle weiteren Empfehlungen und Schutzstandards weiterhin: Mund- Nasenschutz hinter der Bühne, Nies- und Hustetikette und Händedesinfektion werden mutmaßlich fester Bestandteil der Arbeitsschutzmaßnahmen sein, die Arbeitgeber nun in Rücksprache mit Betriebsärzten, Sicherheitsbeauftragen und Personalräten erarbeiten.

Die Universität der Bundeswehr München empfiehlt darüber hinaus auch noch eine Art „Mundnasenschutz“ für Blasinstrumente“ und hält es für „sinnvoll, ein sehr dünnes und dicht gewebtes Seiden- oder ein Papiertuch vor der Öffnung der Instrumente zu befestigen“, um damit Tröpfen abzufangen. „Befindet sich der Schutz in einem Abstand von 20 cm vor dem Schalltrichter des Instruments […] oder dem Anblasloch der Flöte […], so wird weder der Strömungswiderstand beim Musizieren noch die Schallausbreitung beeinflusst und daher auch nicht das Klangerlebnis“. Diesen Rat macht sich auch die Arbeitsgruppe Gesundheit und Prophylaxe der Deutschen Orchestervereinigung zu eigen. Diese Maßnahme erscheint den Medizinern der Berliner Charité jedoch vor dem Hintergrund der aktuellen Studien zur Luftstrommessung bei Blasinstrumenten nicht erforderlich.

Ein weiteres wichtiges Thema ist die Größe der Räume. Grundsätzlich kann gesagt werden: je größer höher der Raum, desto besser. Die von der VBG vorgenommene Festlegung auf eine Mindestquadratmeterzahl von 20 qm pro anwesender Person überträgt hier offenkundig  die für den Einzelhandel festgelegte Grundfläche – mit dem Unterschied, dass sich Kunden im Supermarkt bewegen, Musiker auf der Bühne hingegen eher nicht. Die Berliner Charité erachtet dieses Festlegung daher ebenfalls als „nicht anwendbar“.

Die Geselligkeit ist der Feind

Wer nun sein Heil darin suchen möchte, im Freien zu musizieren, für den hat die Bundeswehr-Universität noch einen wichtigen Rat: „Wenn die Musik im Biergarten oder einem Festzelt eher im Hintergrund spielt, um beispielsweise eine gemütliche Atmosphäre zu schaffen, sollte die Musik nicht zu laut sein. Laute Musik bewirkt, dass diejenigen Menschen, die sich gerne unterhalten wollen, sehr laut reden und sich zusätzlich annähern. Beides ist bei der drohenden Gefahr einer Tröpfcheninfektion fatal, denn die Anzahl und Größe der Tröpfchen, die beim Sprechen entstehen, nimmt mit der Lautstärke stark zu.“ Dies ist jedoch schon für die andere Seite der Bühne gedacht. Und dies müssen wieder andere Handlungsempfehlungen regeln …

Aber halt, was ist nun mit dem Chorsingen? Auch, wenn die empfohlenen Abstände zwischen den Sängern hier ebenfalls aufgrund der jüngsten Messungen nach unten korrigiert worden sind, gibt die Wissenschaft hier grundsätzlich keine Entwarnung. Realistisch beurteilt die Charité, dass einerseits „aufgrund der Mitgliederzahl häufig eine Umsetzung des Abstandsgebotes nicht möglich“ sei. Zudem seien die Verweildauer in den Räumen hoch und diese auch gerade im Laienbereich häufig im Verhältnis zur Teilnehmerzahl weder groß noch gut belüftet. Überdies sei das permanente Tragen eines Mund-Nasenschutzes während des Singens eher fragwürdig zu beurteilen.

Volksnah erweist sich hier wiederum die Universität der Bundeswehr, die nach ihren Messergebnissen die Frage stellte, „ob nicht das Sozialverhalten der eigentliche Ursprung der Infektion ist. Wenn besonders kontaktfreudige Menschen andere Chormitglieder mit Umarmung und Küsschen begrüßen, sich in der Pause angeregt unterhalten, nach der Probe noch in geselliger Runde abendessen oder einen Wein miteinander trinken, bevor sie sich herzlich verabschieden, kann davon ausgegangen werden, dass dieses Sozialverhalten im Falle einer Infektion kritischer ist als das Singen selbst.“ Nicht das Musizieren also, die Geselligkeit ist der wahre Feind der Pandemiebekämpfung.


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