„Das seltsam bedrückte Schweigen der Klangkörper“, so in ganz anderer Weise vielsagend titelte Gerhard Rohde in der nmz (02/12) seinen bitteren Kommentar zur Lage der deutschen Rundfunkorchester, noch bevor der Fusionsplan des SWR bekannt wurde, den der Sender seinen beiden Orchestern in Baden-Baden und Freiburg sowie in Stuttgart einsparbedingt „anzupassen“ drohte. Nun hat die nmz-Redaktion sich abermals diese Lage vorgenommen. Da die Absichten des SWR nun hinlänglich bekannt sind, hat sie die anderen ARD-Anstalten kurz und knapp nach der näheren Zukunft der übrigen elf Orchester gefragt, sieben Chöre und vier Big-Bands in ihrer Verantwortung: ob Einsparungen bzw. Stellenabbau bevorstehen, nach der Rolle der Neuen Musik sowie nach weiteren Programmschwerpunkten. Bojan Budisavljevic kommentiert die auf Seite 13 abgedruckten Antworten:
Um es vorab zu sagen: Das Schweigen ist ein halbes Jahr später beredter geworden, allerdings auch umso deprimierender. Deprimierend allein schon deswegen, weil die Schwergewichte WDR, ROC GmbH (für die Berliner Rundfunkorchester und -chöre) und NDR bis heute nicht geantwortet haben, was mit dem SWR gut zwei Drittel der ARD ausmacht und also auch gut zwei Drittel der jährlich rund 160 Mio. Gebühren-Euro für die Rundfunkklangkörper. Stille also in der Musikstadt Köln am Standort des einzigen Senders mit Sinfonie-, Unterhaltungsorchester, Chor und Big Band zugleich; Ruhe um die Elbphilharmonie, in die sich (ab wann?) die NDR Sinfoniker als orchestra in residence eingemietet haben; nichts aus der Bundeshauptstadt, wo den je zwei Rundfunkorchestern und -chören ab dem kommenden Jahr 1,5 Mio. Euro weniger von Seiten des Deutschlandradio zur Verfügung stehen werden. Alles golden, oder was? Das ist angesichts der kaum einmaligen Sparpläne des SWR ebenso wenig anzunehmen, wie anhand der sparsamen Antworten, die die nmz bekam.
Da wird davon geredet, dass beim MDR „in den nächsten vier Jahren ein strukturelles Defizit in zweistelliger Millionenhöhe zurückzuführen“ sei, ein Prozess, bei dem die Ensembles „ihren Teil zu den Sparvorgaben leisten“ müssen. In Frankfurt, wo beim hr kein Stellenabbau unmittelbar bevorsteht, werden Orchester und Big Band, „wie alle Betriebsteile und Programme einbezogen, wenn es um Überlegungen geht, wie die finanziellen Herausforderungen der nächsten Jahre bewältigt werden können“. Und in Saarbrücken bestätigt man, dass man bei der 2007 gemeinsam mit dem SWR fusionierten Deutsche Radiophilharmonie das alles erst mal hinter sich hat. Einzig beim BR müssen die Klangkörper, zwar bei seit 2009 eingefrorenen Etats, allein die „branchenüblichen Kostensteigerungen“ auffangen, und nicht den Popanz eines angeblich bevorstehenden Gebühreneinbruchs mit Einführung der Haushaltsabgabe ab Januar 2013.
Niederschmetternd an den Antworten ist jedoch das weitgehende Fehlen klarer inhaltlicher Positionierung und programmatischer Perspektive für diese Kronjuwelen öffentlich-rechtlicher Musikkultur. Klar, „innovative Formate“ und „Vermittlungsprojekte“ der Ensembles, wie sie auch außerhalb des Rundfunks gang und gäbe sind, werden genannt, und auch die Rolle der zeitgenössischen Musik wird ebenso betont wie die der Jugend; da ist den Rundfunkakteuren das Bemühen um „neue Bahnen“ keineswegs abzusprechen, wie es im übrigen auch die Verpflichtungen von Thomas Hengelbrock beim NDR und Kristjan Järvi beim MDR zeigen. Allein, die papierenen Verlautbarungen aus den Etagen der Geschäftsführungen offenbaren deutlich, wie die Musik ihre eigene „innere Führung“ hat abgeben müssen. Von der herausragenden Bedeutung der Rundfunkklangkörper, die fast immer einen Tick besser, gewagter, moderner waren als die übrigen öffentlichen Orchester, ist nirgendwo die Rede; kein Ton davon, dass sie die Musikkultur im Nachkriegsdeutschland entscheidend geprägt haben und dass sie dies (wer sonst?) unter den heutigen, sozial wie medial veränderten Bedingungen der Kunstmusik auch weiterhin zu tun beabsichtigen – in Erinnerung an § 11 des Rundfunkstaatsvertrags, als „Medium und Faktor“, als journalistischer Vermittler und Verfertiger von Kunst und Kultur. Stattdessen findet die Führung von oben statt, stellt Gleichrangigkeiten her oder schiebt etwas vom Kern an den Rand der Aufgaben, misst dem mehr, anderem weniger Wert zu, verordnet dem entsprechend „Anpassungen“ wenn notwendig und so fort
Da wird sich im besten Sinne des Wortes wie „im Endeffekt“ nicht auszahlen, dass vor Zeiten die Orchester aus ihren redaktionellen und also inhaltlich-programmatischen Zusammenhängen im Hörfunk herausgerissen wurden, um unter eigenen Hauptabteilungen als quasi „normale“ Orchester auf dem Musikmarkt zu agieren. Denn, nachdem die einst geschändeten und dann zerbombten Rundfunkarchive wieder aufgefüllt und die Moderne eingeholt worden waren, fehlte anscheinend ein Leitbild, das man auf dem Markt neu zu finden hoffte. Das gelang in der Regel mehr oder weniger, jedoch bedeutete dies auch den Verlust des Alleinstellungsmerkmals zugunsten eines Allerweltsbetriebs. Wozu ein Rundfunkorchester unterhalten, wenn’s die örtlichen Symphoniker oder Philharmoniker doch genauso tun, internationale Tourneekapellen zudem mit mehr Glamour?
Was als Frage in den 80ern nicht so virulent war, ist es heute umso mehr, da der Rundfunk, trotz weniger Ausnahmen, sich immer weniger in der Lage sieht, mit den eigenen Produktionen anständig umzugehen, sie beispielsweise zu senden, geschweige denn aus ihnen weiteren kulturellen „Mehrwert“ zu schlagen. Dabei gäbe es dafür gerade im Zeitalter der Digitalisierung und globalen Verfügbarkeit nahezu sämtlicher Inhalte eine Überfülle an Möglichkeiten für die breite und vielfältige Wahrnehmung gerade unverwechselbarer musikalischer Qualitäten. Diese haben die Klangkörper des Rundfunks gerade noch, und ihre Sender haben die entsprechenden Möglichkeiten für alle realen und denkbaren Formen der „Übermittlung“ von Musik – eben nicht nur trimedial, sondern auch und vor allem live! Das allerdings vergisst ein an der Unterhaltungsindustrie orientiertes Denken der Sender habituell – und die Klangkörper dementsprechend auch. Dass und wie diese vierfache Medialität jedoch beispielhaft zu nutzen wäre für eine neue, vielschichtige, offene und zugleich qualitätsbewusste öffentliche Musikkultur, das wäre allerdings ein Argument für kommende Gebührendebatten und könnte sich so für den Rundfunk in Spiel- wie für das Publikum in Erfahrungsräumen auszahlen. Vereinzelt, siehe oben, taucht Neues in diesem Sinne auch auf. Wenn solche Stimmen aber in der Fläche ausbleiben, dann ist das Schweigen besorgniserregend. Allein deswegen wird weiterhin darauf zu hören sein.
Bojan Budisavljević
(Künstlerischer Leiter des Netzwerk Neue Musik der Bundeskulturstiftung)