Schwetzingen - Für die Heirat des Erzherzogs und späteren Kaisers Joseph II. mit Maria Josepha von Bayern im Jahr 1765 schrieb Christoph Willibald Gluck die Oper «Telemaco». Doch nach der Uraufführung geriet das Werk schnell in Vergessenheit. Jetzt bringen die Schwetzinger SWR Festspiele die Oper in Zusammenarbeit mit dem Theater Basel zurück auf die Bühne.
Gluck war berühmt dafür, anders zu komponieren als seine Kollegen. «Er wollte im Verbund mit avantgardistischen Intellektuellen seiner Zeit weg vom überflüssigen Zierrat in der Musik hin zu einer in Musik übertragenen Sprache», erklärt Professor Thomas Seedorf von der Musikhochschule Karlsruhe die Bedeutung des Komponisten. «Viele von Glucks Stücken sind von einer emotional bewegenden Schlichtheit. Sein Stil fand überall Nachahmer.»
Oper ohne Happy End
Regisseur Tobias Kratzer hat seine eigene Theorie, warum «Telemaco» gleich nach der Uraufführung 1765 in der Versenkung verschwand: «Für eine Hochzeit ist dieses Stück nicht festlich genug», sagt er: «Es gibt eigentlich kein Happy End, die Oper endet mit der Verwüstung der Zauberinsel von Circe.» Dramatisch sei «Telemaco» näher an Wolfgang Amadeus Mozart als an Georg Friedrich Händel.
Kratzer geht es in seiner Inszenierung um die verschiedenen Ebenen der Handlung. Vordergründig betrachtet scheint es eine typische «Coming of age Story», eine Geschichte an der Schwelle des Erwachsenenalters, zu sein: Telemaco zieht los, um seinen seit 17 Jahren vermissten Vater Odysseus zu suchen. Er findet ihn auf der Insel der Zauberin Circe, die Odysseus gefangen hält, weil sie sich in ihn verliebt hat. Telemaco verliebt sich in Asteria, die Dienerin Circes, und gemeinsam gelingt ihnen die Flucht von der Insel. Circe bleibt allein zurück.
Neue Rahmenhandlung eingefügt
Der Regisseur sieht in der Oper aber noch mehr und hat sich für einen anderen Blickwinkel entschieden. Er erzählt die Geschichte aus der Sicht von Penelope, die seit 17 Jahren auf die Rückkehr ihres Mannes Odysseus wartet. «Wir haben die wartende Penelope als Rahmenhandlung installiert», sagt Kratzer. «Sie verliert sich in Träumen, was Odysseus und ihr Sohn Telemaco in der Ferne tun und erleben, während sie zur Untätigkeit verdammt ist und darüber neurotisch wird.» In ihren Visionen nehme Penelope die Charakterzüge von Circe an, bis beide Frauen am Ende zu einer Figur verschmelzen. Das sei das psychologisch Moderne an dem Stück.
«Es ist keine gemütliche nette Oper für einen lauen Sommerabend», sagt die schwedische Sopranistin Agneta Eichenholz. Sie hat die Doppelrolle der Penelope/Circe übernommen, was sowohl Schauspiel- wie Gesangskunst erfordert. «Man muss alle Energie in diese Figur stecken, um deren dramatische Wirkung zu unterstreichen», betont Eichenholz: «Sie hat keine ruhigen, gefühlvollen Arien, bei jedem ihrer Auftritte ist Circe voller Wut, und das heißt, Ton und Ausdruck vom ersten Moment an zu treffen.»
Sehr farbenreiche Musik
Die musikalische Seite der Oper ist die Aufgabe von Anu Tali. Die estnische Dirigentin hat mit dem Freiburger Barockorchester seit über sechs Wochen die Musik zu «Telemaco» erarbeitet. «Es ist eine sehr farbenreiche Musik», meint die Dirigentin. Ausgetretene musikalische Pfade gibt es nicht, denn das Stück wurde seit seiner Uraufführung nur zwei Mal wieder gespielt. Daher hat Anu Tali die Wiedergabe von Grund auf neu entwickelt. «Ich muss als Dirigentin beweisen, dass diese Oper auch heute auf der Bühne funktioniert», sagt die Dirigentin. Sie weiß, wie schwierig es für den Zuschauer von heute ist, das Revolutionäre in Glucks Musik zu empfinden.
Was ist «Telemaco» nun - eine spätbarocke Zauberoper oder ein moderner Psychothriller? Regisseur Kratzer meint: «Zeit spielt keine Rolle, die Charaktere sind entscheidend. Die Zuschauer dürfen sich ihre eigenen Gedanken machen.» Am Samstag hat «Telemaco» im Rokokotheater des Schwetzinger Schlosses Premiere, weitere Aufführungen folgen am 22., 24. und 26. Mai in Schwetzingen sowie im Juni im Theater Basel.