Afrika, als Wiege der Menschheit geheimnisumwittert, durchlebt eine undurchschaubare Gegenwart; die Zukunft des „Schwarzen“ Kontinents steht in den Sternen. Die Gutmenschen dieser Welt, der vermeintlich ersten, geben sich als Bono-Tiere und spendieren immer mal medienwirksame Beträge. Der Effekt ist meist nicht zu benennen. Von den Politikern ist gleich noch weniger zu erwarten. Das gilt leider auch für die meisten afrikanischen Vertreter dieser billig zu habenden Spezies.
Ungleich gehaltvoller geht es da in zwei Bühnenshows zu, die noch bis Mitte März durch Deutschland touren und einmal nicht den Blick auf Armut, Diktatur, Glaubenskämpfe, Hunger, Krieg und Korruption, nicht auf Umweltsünden, Völkermord und andere Verbrechen lenken, sondern von kultureller Vielfalt, künstlerischem Können und menschlicher Schönheit künden.
„Afrika! Afrika!“ gilt als magisches Zirkusereignis vom Kontinent des Staunens. So hat es Ideengeber und Initiator André Heller umschrieben. Der Allroundkünstler aus Wien, dessen blüten-, farben- und formenreiches Domizil am Lago di Garda ohnehin vital von Kunst und Vielfalt kündet, schuf als sein jüngstes Projekt den Versuch einer Wiedergutmachung an der geschundenen Wurzel der Zivilisation. Ausgerechnet er, der Hauptstadt des Morbiden entstammend, verneigt sich respektvoll vor dem angeboren artifiziellen Überlebenswunsch des schillernden Kontinents. Dies als Zeichen hat er der Welt geschenkt. Ein geschichts-, gesichts- und geschichtenreiches Vielvölkergemisch! Und diesem Kontinent, Afrika, hat er mit einem neuerlichen Gesamtereignis die Welt zu Füßen gelegt. Ähnliches gelang dem treffsicheren Magier schon früher, etwa mit kunstvollen Hinwendungen zu China oder zum indischen Subkontinent.
Die Show „Afrika! Afrika!“ hat seit ihrer Premiere Ende 2005 mehr als drei Millionen Menschen begeistert. Das Resultat eines gigantischen Engagements. Zunächst war das Ereignis in einer kleinen Zeltstadt zu erleben, die durch Europas Metropolen zog. Der Aufwand dafür war immens, die Eindrücke freilich bleiben unvergesslich. Doch inzwischen gibt es als kostengünstigere Variante (für bisherige Umzüge waren an die hundert Sattelschlepper vonnöten!) zwei einträgliche Ableger von „Afrika! Afrika!“, die als Bühnenshow unterwegs sind. Darin sind je etwa achtzig Mitwirkende, die aus allen Teilen Afrikas Entdeckungen gleich für das schillernde Gesamtereignis verpflichtet wurden. Gastspielfreundliche Abstecher sind nun auch in kleinere Orte möglich, in den kommenden Tagen noch in Braunschweig, Ulm und Graz. Mir bot sich im Abstand weniger Tage der Vergleich zu „Mother Africa“, dem „Circus der Sinne“ von Winston Ruddle. Der ehemalige Artist und Clown stammt aus Tansania und erreichte mit seinem Programm seit Dezember 2006 immerhin ein Halbmillionenpublikum. Eine kleine Handvoll Protagonisten übrigens kann auf Erfahrungen in beiden Unternehmen verweisen.
Beinahe metaphorisch – Keimzelle Afrika – verfügen beide Unternehmen über dieselben Wurzeln. In der heraufquellenden Umsetzung gabelten sich die weiteren Wege – und wohl auch die perspektivischen Möglichkeiten. Siehe oben! Wiege der Menschheit…
Die gute Absicht ist beiden Unternehmen gemein und steht außer Frage. Insbesondere der Schulbildung von Kindern und Jugendlichen in Äthiopien verschreibt sich „Mother Africa“ und gibt pro verkauftem Ticket 50 Cent an die Hilfsorganisation „Menschen für Menschen“. Bei „Afrika! Afrika!“ steht erklärtermaßen der kulturelle Aspekt im Vordergrund. Heller will Augen und Ohren öffnen für diesen wundersamen Kontinent, will wieder Respekt im Umgang mit den so genannten Fremden und lässt der unbändigen Lebensfreude freien Lauf. Mit erheblicher Ansteckungsgefahr!
Denn kaum, dass dieses Ereignis beginnt, beherrschen Magie und Erstaunen die Säle. der Bühne scheint jedwede Grundlage von Physik und Physiognomie außer Kraft gesetzt. Selbst Schwerkraft wirkt inexistent, über den menschlichen Körperbau und dessen Funktionsgrenzen ist fortwährend wundersam Neues zu erfahren. Wie sich der Spinnenmann Yoga Yoga alias Michael Elias Mondosha aus Tansania voller Eleganz windet und biegt, wie die Südafrikanerin Nokulunga Buthelezi ihren Körper in erotische Kaskaden versetzt, das alles lässt am Vorhandensein von Knochenbau, Bandscheiben, Gelenken zweifeln. Nicht minder verzaubern Jonglagen von Bällen, Schüsseln und Tischen, wird auf hohen Einrädern balanciert und wie nebenbei noch exzellent Ball gespielt, werden waghalsig Pyramiden aus bildschön kraftstrotzenden Leibern getürmt, Menschen lächelnd in die Lüfte geworfen und nach einigen Saltos wieder gefangen – eindrucksvoll, atemraubend, auch dramaturgisch perfekt.
Fraglos zieht auch die Musik in ihren Bann und lässt die Gesamtshow zu einer einzigen Abfolge von kunstvoller Schönheit geraten. Das deutsche Publikum wird sich der eigenen Steifheit bewusst, findet aber nicht mal die Zeit zur Beschämung, denn schon explodiert die nächste Überraschung aus herzhafter Lebenslust vom Kontinent des Staunens.
Das Parallelunternehmen „Mother Africa“, als Circus der Sinne angepriesen, wirkt da doch ein klein wenig hölzerner, was sicherlich nicht auf die sparsame Dekoration zurückzuführen ist, zu der tatsächlich holzschnittartige Tierfiguren aus Steppe und Savanne drapiert worden sind. Was Heller naturgemäß circensisch gelingt, hat bei Ruddle eher den Nummerncharakter von Zirkus. Gewiss nicht unsympathisch wird das Publikum verbal aufgeheizt und erliegt dem südafrikanischem Charme der später auch brillant singenden Moderatorin. Bei so fulminanten Inhalten sollte Stimmungsmache doch aber verzichtbar sein. Ansonsten sind teilweise ähnliche Arrangements – das Jonglieren gewaltiger Töpfe, Artistik und Akrobatik, Steppkunst und extreme Gelenkigkeit – zu besichtigen wie bei den afrikanischen Kulturbotschaftern Hellers. Beide Programme werden von Künstlerinnen und Künstlern zelebriert, die aus verschiedenen Staaten des Kontinents stammen, dort teils von der Strasse, teils aus etablierten Einrichtungen für diese sehens- und hörenswerten Ereignisse zusammengestellt worden sind.
Termine:
„Afrika! Afrika!“: 6./.3. Braunschweig, 8./.3. Ulm, 10./11.3. Graz
www.afrika-afrika.com
„Mother Africa“: 5.3. Ingolstadt, 6.3. Schmellenberg, 7.3. Merzig, 8.3. Alsdorf, 10.3. Bern, 11.3. Basel, 12.3. Biberach, 13.3. Reutlingen
www.circus-mother-africa.com