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Spektakuläre Behutsamkeit: Claude Debussys „Pelléas et Mélisande“ in Robert Wilsons trunken schöner blauer Bildwelt an der Pariser Opéra Bastille

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Paris feiert seinen Debussy. Bevor in 2013 auch hier Verdi und Wagner zum Doppeljubiläumsjahr ausgiebig gehuldigt wird, gedenkt man an der Opéra Bastille derzeit des 1862 geborenen Impressionisten – mit „Pelléas et Mélisande“ in Regie und Bühnenbild von Robert Wilson. Die ursprünglich für die Breitwandbühne des Großen Festspielhauses von Salzburg konzipierte Inszenierung passt wunderbar hierher, nicht zuletzt, weil sie dem ästhetischen Empfinden der Franzosen, die allzu krasser Regietheater-Verfremdung wenig Zuneigung entgegenbringen, so sehr entgegenkommt.

Doch dieser Abend geht auch unabhängig des einen oder anderen Regie-Geschmacks vollends auf, denn hier ist eine musikalisch-visuelle Synthese errungen, die das Ideal eines symbolistischen Musiktheaters perfekt in die Tat umsetzt. Da sind Robert Wilsons den Farbton „Blau“ fast unmerklich variierenden, trunken schönen Bildwelten, dazu seine typischen stilisierten Slow-Motion-Gesten, die für diese absolut antidramatische, die Affekte mehr andeutende als diese aussprechende Oper wie geschaffen wirken.

Und da ist Philippe Jordans berückende Pianissimo-Zurücknahme, durch die sein glänzend disponiertes Orchestre de l’Opéra National de Paris den weichen Konturen auf der Bühne traumwandlerisch ihr musikalisches Pendant beimischt: Dieses sanfte Glühen, dieses ewige Fließen und Changieren der Harmonien und Klangfarben kommt so ohne jede falsche Direktheit des Klangs aus dem Graben. Allein die galante Unschuld, mit der uns die Holzbläser in die Innenwelt von Pelléas und Mélisande hineinspielen, wäre eine Reise nach Paris wert. Welche Wonne, dass die fortschreitende Globalisierung des Orchesterklangs vor diesem herausragenden Klangkörper noch Halt macht.

Die Musikerinnen und Musiker verfügen offensichtlich über ein Empfinden für den genuin französischen Charakter dieser Musik, das deutschen Orchestern allzu oft abgeht. Die Differenziertheit, Transparenz und Klarheit, mit der sie spielen, scheint geradewegs die Worte des Pelléas in Musik zu übersetzen, der seiner Mélisande in Maurice Maeterlincks verzückter Diktion in der Grotte vom Zauber der „clarté du ciel“ und der „clarté de la mer“ zuraunt: „Oh! Voici la clarté!“ mochte man angesichts dieser hinreißenden Orchesterleistung mit Pelléas gemeinsam ausrufen.

Die Sängerbesetzung beglaubigt die spektakuläre Behutsamkeit der orchestralen Leistung. Allen voran Elena Tsallagova. Die Russin gibt eine kleinemeerjungfrauliche Mélisande. Wie sie ihren Körper tänzerisch zu dehnen versteht und damit Wilsons choreographische Umsetzung gleichsam übererfüllt, und wie sie ihr Leise-Singen mit edler lyrischer Substanz füllt, das hat eindringliche Magie. Stéphane Degout mit leicht ansprechendem hellem und hohen Bariton steht ihr als Pelléas fast gleichrangig zur Seite, Vincent Le Texiers dunkler gefärbter Golaud-Bariton kontrastiert dazu markig. Weiterer Luxus: Anne Sofie von Otter in der kleinen Rolle der Geneviève und Wagnersänger Franz Josef Selig als seine Basswucht drosselnder König Arkel.

À propos Wagner: Philippe Jordan gibt in diesem Sommer sein Debüt auf dem Grünen Hügel – mit dem „Parsifal“. Wenn er dabei nur ein wenig vermitteln würde, wie viel Debussy schon in Wagner steckte, wäre das eine kleine Sensation. Die ausdrücklichen „Parsifal“-Zitate in Debussys Partitur zeugen von der Verehrung des Franzosen für den Deutschen und sollten Anreiz sein, einmal auszuleuchten, wie nah sich die beiden Klangwelten doch eigentlich sind.

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