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Edith Haller (Euryanthe) und Christiane Libor (Eglantine) in Roland Aeschlimanns Karlsruher „Euryanthe“-Inszenierung. Foto: Jacqueline Krause-Burberg/Badisches Staatstheater
Edith Haller (Euryanthe) und Christiane Libor (Eglantine) in Roland Aeschlimanns Karlsruher „Euryanthe“-Inszenierung. Foto: Jacqueline Krause-Burberg/Badisches Staatstheater
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Tiefenpsychologische Selenreise: Carl Maria von Webers „Euryanthe“ in Karlsruhe

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Carl Maria von Webers „Euryanthe“ auf der Bühne – kann das gut gehen? Folgt man dem einschlägigen Urteil der Fachleute, natürlich nicht. Fast überall ist zu lesen, We-bers Oper sei voller musikalischer Kostbarkeiten, aber dank ihres krausen Textbuches völlig ungeeignet für das Theater. Der arme Weber sei zum Opfer seiner dilettantischen Librettistin Helmina von Chézy geworden.

Da ist sie, die alte Männer-Leier: Was soll man schon von einer Frau Vernünftiges erwarten? Ungeachtet dessen, dass diese Helmina von Chézy eine der ersten deutschen Journalistinnen war und 1801 mit nur 18 Jahren nach Paris ging, wo sie von 1803 bis 1807 vier Jahre lang eine eigene Zeitschrift herausgab. In Berlin stand sie in enger Verbindung mit Friedrich und Dorothea Schlegel, mit Adalbert von Chamisso und August Wilhelm Schlegel. 1816 kritisierte sie öffentlich die menschenunwürdigen Zustände in den preußischen Lazaretten. Das trug ihr eine Beleidigungsklage von Seiten der zuständigen Invaliden-Prüfungskommission ein. Freigesprochen wurde sie von einem couragierten preußischen Kammergerichtsrat namens Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann, der sich in seinem Nebenberuf als Schriftsteller Ernst Theodor Amadeus Hoffmann nannte.

Es ist schon ein wenig verwunderlich, dass sich die „gender“-bewegte deutsche Musikwissenschaft noch nicht dieser Frau und ihres geistigen Umfeldes angenommen hat. Und ebenso irritierend ist, dass anscheinend kaum jemand auf die Idee gekommen ist, das „Euryanthe“-Textbuch im Kontext der deutschen Frühromantik zu untersuchen oder gar eine Beziehung herzustellen zur Welt des Unheimlichen und Geisterhaften einerseits, der Satire und Karikatur andererseits, wie sie E.T.A. Hoffmann in seinen Dichtungen entwickelte. Und dies nicht einmal, obwohl der Komponist selbst darauf bestand, dass der Auslöser aller schicksalhaften Verwicklungen in der mittelalterlichen Erzählung von Adolar und Euryanthe nicht – wie in der Vorlage des Librettos - ein verratener Leberfleck sein sollte, sondern die Preisgabe eines traurigen Familiengeheimnisses. Während Adolar nämlich noch auf der Rückreise von einem königlichen Kriegszug ist, verrät seine vereinsamte Verlobte Euryanthe einer falschen Freundin das unglückliche Schicksal von Adolars Schwester Emma: Diese hatte sich selbst vergiftet, nachdem ihr Bräutigam in der Schlacht gefallen war. Selbstmord aber heißt damals Todsünde und zugleich Familienschande; und während Emmas Seele keine Ruhe findet, möchte Adolar den Fall unter allen Umständen geheim halten.

Für das Leid von Frauen und Verlobten gefallener Männer dürfte die Librettistin durch ihre Lazarett-Tätigkeit während der Befreiungskriege sensibilisiert worden sein. Aktuell fordert nun der Afghanistan-Krieg seine Opfer, und Psychologen wenden sich der Frage zu, welche seelischen Spätfolgen der Zweite Weltkrieg in Deutschland ausgelöst hat. Insofern lenkt Webers Oper den Blick auch auf ein heute verdrängtes Problem. Die von Roland Aeschlimann verantwortete Karlsruher Inszenierung verzichtet indessen auf sichtbare Aktualisierung, sondern versucht eher, die Aktualität des frühromantischen Zugangs zur menschlichen Psyche herauszuarbeiten: „Man versuchte,“ heißt es im Programmheft, „die dunklen Welten des Unbewussten zu erfassen. Träume, Schlafwandel, Hellsehen, Doppelgängerei, praktisch das ganze Gebiet, das später in der Tiefenpsychologie den Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen bildete, wurde künstlerisch beleuchtet.“

In der Opernhandlung stößt die Intrige der beiden „dunklen“ Gegenspieler Lysiart und Eglantine auf gute Voraussetzungen: Die gegenseitige Idealisierung der beiden Liebenden verhindert die rechtzeitige Verständigung über die beiderseitigen Schwächen. Es herrscht ein rigider männlicher Ehrenkodex mit einem zwischen Verklärung und Verachtung pendelnden Frauenbild. Und es gibt eine Hofgesellschaft, die nach Sensation und Erlebnis giert, und einen wohlwollenden, aber schwachen Regenten, der die Vorgänge nicht durchschaut. Weber erspürt hier durchaus den satirischen Unterton, der an E.T.A. Hoffmann denken lässt: Der „Jägerchor“ der „Euryanthe“ etwa hat gegenüber seinem Pendant im „Freischütz“ die liedertafelnde Gemütlichkeit abgestreift und ist virtuos zur skizzenhaften Karikatur überzeichnet. Faszinierend ist auch der schrille Hochzeitsmarsch für Lysiart und Eglantine, der eine „Ästhetik des Hässlichen“ erkennen lässt, die über das Unheimliche des „Freischütz“ noch hinausgeht. Daneben stehen aber auch – mehrfach und nuancenreich, teils in abgerundeter Form, teils in fragmentarischer Andeutung – die Facetten des Romantisch-Sehnsuchtshaften, des Idyllischen und des Tragischen. Und zumindest musikalisch spielt auch die verstorbene Emma eine Hauptrolle: Mitten in der Ouvertüre erklingt ein sphärisch entrücktes „Phantom-Thema“ (um Ulrich Schreiber zu zitieren), das bei der glücklichen Wiedervereinigung der beiden Liebenden am Ende wiederkehrt. Auch seine tote Schwester, fühlt Adolar, ist nun wieder mit ihrem Udo vereint.

Weber hatte seinerzeit erwogen, Emmas Geist in der Ouvertüre auftreten zu lassen. In Karlsruhe nimmt Aeschlimann diese Idee wieder auf. In Gestalt der Schauspielerin Tina Eberhardt kriecht die Verstorbene aus der auf der Vorderbühne angesiedelten Familiengruft und begleitet aus unterschiedlicher Distanz das auf einer zerklüfteten dunklen Treppenlandschaft sich abspielende Geschehen. Man muss weder der packenden Inszenierung noch dem instruktiven Programmheft in allen Einzelheiten folgen, um zu erkennen, dass in „Euryanthe“ die innere Wahrscheinlichkeit an die Stelle einer äußerlichen Handlungslogik tritt. Unter der märchenhaften Oberfläche verbirgt sich eine tiefenpsychologische Seelenreise. Besonders faszinierend ist die Deutung der bedrohlichen Riesenschlange in der Wald-Szene des 3. Aktes als Inkarnation der gefährlichen Intrigantin Eglantine und der durch sie symbolisierten dunklen Energien.

Auch musikalisch steht die Aufführung auf hohem Niveau. Die Badische Staatskapelle unter der Leitung von Christoph Gedschold entfaltet den musikalischen Farbreichtum der „Euryanthe“ auf beeindruckende Weise – bis hin zu langen und exponierten Solopassagen in Horn und Fagott. Ihren anspruchsvollen Partien werden die Sängerinnen und Sänger musikalisch und darstellerisch voll gerecht. Zu nennen sind hier vor allem Bernhard Berchtold als Adolar, Edith Haller als Euryanthe, Armin Kolarczyk als Lysiart, Christiane Libor als Eglantine und der von Ulrich Wagner einstudierte Staatsopernchor mit Extrachor. Die Artikulation gerät so deutlich, dass es der deutschen Übertitelung nicht unbedingt bedürfte. Diese hat jedoch hat den Vorzug, dass sie den Blick für Nuancen schärft: Wo Euryanthe noch arglos einen Satz auf „klar“ endet, setzt Weber – kommendes Unheil kündend – einen verminderten Septakkord darunter.

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