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Der Leipziger Opernchor in Verdis „Macbeth“. Foto: Andreas Birkigt
Der Leipziger Opernchor in Verdis „Macbeth“. Foto: Andreas Birkigt
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Un mezzo di Macbetto oder: Ein mörderischer Arbeitstag in Hexenhausen: Verdis „Macbeth“ an der Oper Leipzig

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Während aus Moskau neueste Nachrichten eingingen, die vom Erwachen des russischen Volkes kündeten, das zahlreich gegen den Ex-KGB-Spitzel Putin im Präsidentenamt demonstrierte, erhob sich in Leipzig ein anderer Despot, um sich an die Macht zu morden. Das zeitgleiche Aufeinandertreffen war Zufall, die Gedankenstränge vermochten aber Realpolitik und Theatererlebnis nicht so ganz voneinander zu trennen. Schon die Vorlage zu Giuseppe Verdis „Macbeth“, das gleichnamige Drama von William Shakespeare, ist doch gruselig genug, um als ideales Abbild für den Politproll von heute zu gelten.

Was für Parallelwelten tun sich da auf?! Während die Erde sich am 10. Dezember so zwischen Sonne und Mond eintrudelt, dass ihr Schatten partiell auf den Trabanten fällt und vom deutschen Osten aus bestens zu sehen ist – obendrein ist noch Vollmond gewesen! –, bereiten die Hexen aus Verdis „Macbeth“ an der Oper Leipzig ihr lustvolles Treiben vor. Premiere ist angesagt, während Regisseur Peter Konwitschny in Graz, wo er dieses höchst dramatische Stück Musiktheater 1999 erstinszenierte, eine Phase der Überarbeitung hoffentlich gut auskuriert. Dort hatte er nur kurz zuvor Tschaikowskis „Pique Dame“ stemmen wollen und mit den eigenen Kräften möglicherweise nicht klug genug haushalten können.
Die „Macbeth“-Umsetzung nach Leipzig lag daraufhin in den Händen der Regieassistentinnen Heide Stock und Verena Graubner. Die musikalische Leitung übernahm Leipzigs Generalmusikdirektor Ulf Schirmer, der seit dieser Saison auch Intendant dieser zweitältesten deutschen Oper ist.

Befremdlich erdenschwer mutete schon die Ouvertüre an, da war nichts von luftiger Italianità zu spüren. Kein Klangzauber, nur wenig Dramatik, obwohl die Partitur so viel an spannungsvollen Gestaltungsmöglichkeiten bereithält. Jede Menge an südländischem Esprit, die Gewandhauskapellmeister Riccardo Chailly dem Orchester inzwischen doch eingeimpft haben sollte, wurde sträflich vermisst. Wo zunächst alles im Mezzo gehalten wurde, blieb nicht mehr viel dynamischer Steigerungsraum. Trotz moderat gewählter Tempi haperte und klapperte es zwischen Bühne und Graben – einer alten und durch nichts bewiesenen Theaterweisheit zufolge muss die Generalprobe wohl mehr als perfekt gewesen sein. Umso fragwürdiger geriet die Premiere.

Selbst der an diesem Haus sonst zumeist gut präparierte Opernchor war diesmal nicht nur ein holpriges Zugpferd des Gewandhausorchesters, obendrein schluderte er viel zu oft auch noch mit der Intonation, blieb mitunter in den eigenen Reihen inhomogen. Spielerisch freilich wuchs das Ensemble in einigen Szenen fast über sich selbst hinaus. Schon das Eingangsbild einer Hexenküche – die große Bühne wurde dazu eng begrenzt und in diesem kleinen Ausschnitt mit Unmengen an schmuddeligem Zierrat vollgestopft – verlangte den Damen einiges an darstellerischer und Auftrittsflexibilität ab. Aus Kühlschrank und Waschmaschine, aus Herden und Rauchfängen kamen sie zum Vorschein, die langnasigen Hexen mit dem Getier auf den Schultern.

Ihr meuchelndes Tagwerk wird auf einer Kreidetafel angezeigt: Sechzehn Striche sind es zunächst, die vom Opferableben künden. Im Laufe der vier Akte – für die Hexen wird daraus ein verlängerter Arbeitstag – kommen zehn weitere Leichen hinzu. Strich um Strich.

Mörder müssen Heuchler sein

Natürlich forciert Lady Macbeth dieses Treiben, sie wird nicht als Oberhexe gezeigt, sondern als machtgeiles Weib, das erst sehr spät, zu spät, so etwas wie Gewissensbisse erkennen lässt. Vorher legt der Regisseur, nein: der Gatte Macbeth, seinen Kopf in ihren Schoß. Ein hilfloses Häuflein Elend, das wohl am liebsten nach einer starken Mutter schreien würde.

Das aber darf auf dem Weg zur Krone nicht sein. Unter blauen und roten Baretten stolzieren die Mannen in Kampfuniformen drauflos, verkörpern mal wieder das männliche Prinzip des feldherrenhaften „Nach mir die Sintflut“. Diese Inszenierung soll Sinn stiften und aufrütteln, ganz klar, sie verzichtet dabei weder auf Klamauk noch auf Grusel – die Hexen spielen Fange mit der Königskrone, Banquo steigt wie von allein in seinen Sarg, aus dem er dann mit blutroten Händen den Angstmörder Macbeth erschrickt.

Eine wirklich ergreifende Szene gibt es auch, wenn nämlich die potenzierte Blutrünstigkeit in einer Massenhinrichtung gipfelt. MG-Salven legen sich auf die Musik, was zwar stört, aber dann mit aufgedrehtem Saallicht sagen soll: Das geht euch alle an! Dieses Mittel hatte Konwitschny seinerzeit häufig verwendet.
Und tatsächlich konnte zur Stunde der „Macbeth“-Premiere in Leipzig noch kaum jemand absehen, wie nachrichtenhaft solche Bilder mit Moskau, Kairo, Durban, Damaskus … (die Kette ließe sich fortsetzen) übereinstimmen würden oder nicht. 1999 sind es die Straßenschlachten im Kongo gewesen, im Libanon sowie im Kosovo und andernorts. Konwitschnys Theater hat mit Betroffenheit zu tun. Da kann die Haut dünn werden, auch wenn sich innere Widersprüche auftun.

Alles in mezzo?

So eng die Hexenküche im Bühnenbild von Jörg Kossdorff gebaut ist, so licht scheint der Wald von Birnam auf der schräg gestellten Drehbühne. Die Kostümwelt von Michaela Mayer-Michnay schafft einen Kontrast zwischen beigen Wüstenkriegssöldnern und Hexentanzplatz in bunt. Über weite Strecken enttäuschend blieb die vor allem auf Kraftprotz und Lautstärke setzende Musik, ein reichlich deutsch intonierter Verdi. Erst nach der Pause gönnte GMD Schirmer dem italienischen Maestro auch anmutige Parts, fand zu Verhaltenheit in der Dynamik und  gestattete Inbrunst im Piano. Für den Gesamteindruck war das schon zu spät, da half auch alle gewollte Beifallsstimmung nicht mehr.

Uneingeschränkten Jubel heimste Marco di Felice für die Gestaltung des Titelparts ein. Statuarisch mit sanglicher Strahlkraft agierte er unanfechtbar, gab sich auch von seelischen Nöten sichtbar gezeichnet. Sein begehrenswert ansehnliches Weib Lady Macbeth wurde von Amarilli Nizza gegeben, die sich zunächst hörbar anstrengen musste, erst später zu souverän psychologischer Feindeutung fand. General Banquo als erst einmal tumber Gefolgsmann und dann bald tödlich getäuschter Rivale war mit einem sicher durch seine Partie gehenden James Moellenhoff besetzt, der Macduff Giuseppe Varanos hingegen klang heftig gepresst. Als erstaunlich gelungen blieben drei Chorsoli im Ohr, die sich neben den überwiegend eingekauften Solisten gut zu behaupten verstanden.

Diese Opernpremiere blieb also optisch wie auch akustisch ein arg disparates, ein eher arges Ereignis. Die allerletzten Takte des Finales freilich hört man aus einem alten Radio vom Küchentisch. Nach einem blutvollen Arbeitstag dürfen die Hexen sich endlich die Nachtruhe gönnen. Für das Gewandhausorchester ist an dieser Stelle schon vorzeitig Schluss. Da dürfte diesmal – trotz teils glänzender Instrumentalparts – niemand etwas vermisst haben.

Aufführungen: 15. Dezember 2011, 4. Februar, 14. und 27. April 2012

 

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