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Regisseut Martin Mühleis und Dominique Horwitz in der Gläsernen Manufaktor in Dresden. Foto: Michael Ernst
Regisseur Martin Mühleis und Dominique Horwitz in der Gläsernen Manufaktor in Dresden. Foto: Michael Ernst
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Unsterblicher Ahab - Melvilles „Moby Dick“ mit Dominique Horwitz als Galionsfigur

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Zwei Romane haben die sächsische Stadt Dresden an diesem letzten September-Wochenende beherrscht. Zwei adaptierte Romane. Das Staatsschauspiel brachte die mit musikalischen Interruptionen versehene Bühnenfassung des bei seinem Erscheinen mehr oberflächlich diskutierten als gründlich gelesenen Dickbuchs „Der Turm“ von Uwe Tellkamp heraus, die Staatskapelle musizierte zu einer „AHAB“-Projekt genannten Fassung von Herman Melvilles Hauptwerk „Moby Dick“. Zwei Tausendseiter, die aus unterschiedlichsten Zeiten und Welten stammen, fürs Theater nun kräftig eingekürzt und mehr oder weniger mit Musik versehen worden sind.

Weltliteratur und Wenderoman. Einerseits bis heute nicht vollends ausgelotete Metaphorik, andererseits der verknappte Blick unter die bedeutsame Autorenmütze. „Moby Dick“ hatte es bei seinem Erscheinen sehr schwer, dann aber viel Zeit zum Reifen gehabt. „Der Turm“ wurde so eilig so heftig gelobt, dass Kritiker mit Widerspruchsgeist schon fast um ihren Ruf bangen mussten. Im Ergebnis steht dieses Buch selbst als Parabel und spätestens nach der von Armin Petras und Jens Groß besorgten Bühnenfassung wird das kritische Ahnen spruchreif: Der hat ja gar nichts an! Ergo nach der 100. Inszenierung von Regisseur Wolfgang Engel: Ein Roman ist ein Roman und ein überschätzter Roman ist ein überschätzter Roman.

So knapp kommt die jüngste Aneignung des weißen Wals freilich nicht davon. Ihr sind ja längst diverse Hörbilder und Filmstücke vorangegangen. Das Wagnis einer neuerlichen Adaption war also hoch. Doch weder Martin Mühleis als Regisseur und Produzent noch Komponist Libor Síma ließen sich davon abschrecken. Auch die Sächsische Staatskapelle und deren wohl wichtigster Partner, die Gläserne Manufaktur von Volkswagen – Produktionsstätte des nach dem himmelstürzenden Griechengott Phaeton bezeichneten Fahrzeugs – setzten sich entschlossen mit ins Boot. Als dessen Galionsfigur wurde der österreichische Schauspieler Klaus Maria Brandauer gewonnen (wir berichteten davon) und zur Taufe wurde dem Vorhaben der Name „AHAB“ übergestülpt, gleichsam ein Abgrenzen von „Moby Dick“ wie vom erzählenden Ishmael. Dem einzig Überlebenden des Desasters.

Als „Sinfonische Parabel für einen Schauspieler und Orchester“ ist die Weltpremiere angekündigt gewesen, doch eben dieser Schauspieler sprang gut eine Woche vor der Uraufführung ab und überließ die verbleibende Mannschaft ihrem Schicksal. Ein echter Kapitän würde so etwas nie tun. Das Projekt schien zum Scheitern verurteilt, bevor es sich überhaupt seiner Vorzüge und/oder Nachteile erweisen konnte. Aber Titanen lassen nicht locker. So wie sich Melvilles Ahab verbissen an jenem weißen Wal Moby Dick rächen will, der ihm einstens ein Bein abgekaut haben soll – der damalige Mastbruch des Käptns könnte auch ganz freudianisch gedeutet werden und würde den Rachefeldzug zur See zum Trauma gedemütigter Manneskraft stempeln –, so ähnlich besessen wollten Mühleis und Síma nun an ihrem Vorhaben festhalten. Doch wer sollte einen Brandauer ersetzen?!
Dominique Horwitz, der in Deutschland lebende Sänger-Schauspieler aus Paris, er sollte und wollte sich der Herausforderung stellen. Wohl wissend, „zweite Wahl“ zu sein und bis zur Premiere nicht mal eine Woche Zeit zu haben, stürzte er sich in diesen Wahnsinn. Zwischen längst geplanten Verpflichtungen in Niedersachsen, die sich mit Goethes „West-östlichem Diwan“ ganz anderer Thematik widmeten, studierte er Text und Musik, pendelte sich auf die stürmische Ozeanreise gen Sachsen ein. Das Orchester entfachte unter der musikalischen Leitung von Sebastian Weigle ein Klangkaleidoskop aus Símas effektvoll arrangierter Zitatensammlung, die mal an dramatischen Opernstoff und mal an Bernstein-Story erinnerte. Vom Frosch im Hals bis zur Harpune im Wal steigerte sich das Unterfangen durch Sturm und Taifun, um Klippen und Untiefen metaphorisch über die Weltmeere hinweg.

Dass Brandauer anders klingen, die Szene anders beherrschen würde, war nach den ersten Minuten vergessen – und wohl sowieso der Grund seines vorzeitigen Aufgebens. Wie Horwitz klang und die Szenen beherrschte, das war Anlass, ihm heftigst zu applaudieren. Und was das Orchester aus den illustren Tonpassagen machte, ließ beim Zuhören Bilder reifen, die wie mit kräftigem Strich gezeichnete Animationen des Moby-Dick-Stoffes wirkten. In jedem Publikumskopf mag das anders ausgesehen haben, doch die zwei Abende in der Gläsernen Manufaktur wurden kräftig beklatscht, eine weitere Vorstellung folgt am 29. September im Festspielhaus Baden-Baden, und wenn das mitgeschnittene Tonmaterial taugt, gibt es auch eine CD. Ahab scheint einfach unsterblich zu sein.

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