In der 11. Ausgabe unserer „unübersehbaren“ Rubrik empfehlen wir der geneigten Leser*innenschaft Opern- und Konzert-Streams aus Mannheim, Berlin, Würzburg, Antwerpen und Halle. Die nmz-Online-Redaktion wünscht spannende Stunden mit diesen Netz-Musiken!
Ab 9. Juli
Mannheimer Sommer – Internationales Festival für Musik und Theater von Mozart bis heute
9. bis 19. Juli 2020
Live-Video-Streams auf der Homepage des Nationaltheaters Mannheim
Die Biennale „Mannheimer Sommer“ kann man mit Recht als das kulturelle Sommerereignis der Rhein-Neckar-Region, wenn nicht darüber hinaus, beschreiben. Dieses Jahr muss man weder in Mannheim wohnen noch verreisen, um daran teilzuhaben. Das Nationaltheater Mannheim verlegt sein Festival ins Internet. In 11 Tagen finden Opern, Konzerte, Filme, Performances, Installationen, Diskussionen und Musiktheater für Kinder online und eintrittsfrei statt. Ein paar musikalische, vielversprechende Programmpunkte:
„War Sum Up“ ist eine Geschichte des Kriegs und der Menscheit. Die dänische Regisseurin Kirsten Dehlholm mit ihrer Gruppe Hotel Pro Forma erzählt in einem Bildertheater mit Musik, Bild und Kostüm davon. Für den Mannheimer Sommer haben Hotel Pro Forma einen Mitschnitt der Produktion dramaturgisch neu gefasst und präsentieren eine gekürzte Fassung des Stückes. (Fr, 10.07.2020, 19.30 Uhr)
Und selbstverständlich gibt der Mannheimer Sommer, der einst „Mozartsommer“ hieß, eine Mozartoper: „Die Entführung aus dem Serail“. Die Inszenierung verlagert das bekannte Geschehen in eine globalisierte Welt. Es wird ein Videomitschnitt der Koproduktion des Nationaltheater Mannheim mit dem Grand Théâtre de Genève und dem Grand Théâtre de Luxembourg aus Genf gezeigt. Musikalische Leitung: Fabio Biondo, Regie Luk Percefal. (Sa, 11.07.2020, 19.00 Uhr)
Mit dem Vortrag „Exotismus in der Oper“ von meLê yamomo geht der Mannheimer Sommer auf ein bis heute bestehendes Problem ein. Der Theatermacher, Komponist und Musikwissenschaftler auf den aktuellen Stand im Musiktheater ein, welche Herangehensweisen es für Opernhäuser gebe, wie ein aufgeklärter Umgang aussähe, ob es Änderungen im Repertoire bräuchte und welche Rolle die Regie dabei spielt. Daran angeschlossen ist eine Podiumsdiskussion mit u.a. der NTM-Diversitätsreferentin Sophie Kara und dem Direktor des musikalischen Bereichs am NTM Thomas Hermann. (Fr, 17.07.2020, 19.00 Uhr)
Die bildende Künstlerin Katrin Bethge und der Musiker John Eckhardt bilden das Künstler-Duo "Basswald und Lichtung", welches für ein Konzert auf dem Vorplatz des NTM angefragt war. Nun werden sie vom Hof des Ateliers Bethges streamen: Eckhard am Plattenspieler mit dunklen Beats und Bethge am Diaprojektor. (Sa, 18.07.2020, 18.30 Uhr)
[Juana Zimmermann]
10. Juli
Heroines of Sound 2020
Freitag, 10. Juli, 19:00 bis 24:00 Uhr
Live-Video-Streams bei arte.tv/unitedwestream
Die Heldinnen des Klangs in der siebten Ausgabe diesmal notgedrungen an einem Abend, live gestreamt aus dem Berliner Radialsystem (19:00 bis 24:00 Uhr). In Kooperation mit unitedwestream und ARTE Concert gibt es in diesem Jahr unter der bewährten künstlerischen Leitung von Bettina Wackernagel ein kompaktes Programm mit einem guten Dutzend internationaler Künstlerinnen, die für diverse Spielformen elektronischer Musik einstehen. Besonders im Fokus: Dorit Chrysler, die mit Sabine Sanio auch als Kuratorin verantwortlich zeichnet, vor allem aber als New Yorker Theremin-Ikone in Erscheinung tritt. Zum 100. Geburtstag des futuristischen Instrumenten-Klassikers ist sie u. a. mit Donna Maya im berührungslosen Schwingungsfeld unterwegs, Letztere auch mit neuer Platte anwesend. Mit Aspekten des noch relativ jungen Live-Coding und Algorave (vereinfacht gesagt: eine tanzbare Echtzeit-Improvisation via algorithmischer Musik-Software) kann man sich in der Performance von Alexandra Cárdenas vertraut machen. Turntablistin JD Zazie verspricht in „Memory Loss“ Mischungen von elektroakustischen Traditionen mit experimentellem DJing, während die japanische Komponistin und Performerin Midori Hirano ein Ambient-Set für Klavier und Elektronik aus ihrem neuen Album „Invisible Island“ vorstellt. Das Improvisations-Trio The LIZ (Liz Kosack, Liz Albee und Korhan Erel) schließlich verbindet Elektronik, Jazz und Text-/Stimmperformance in düsterer Hybris.
[Dirk Wieschollek]
Bis 28. Juli
HfM Würzburg: Gustav Holst – „Savitri“ und Christian Jost – „Heart Sutra“
Video-Streams auf der Homepage der Hochschule
Zwei kürzere Kammeropern hatte die Opernschule der Hochschule für Musik Würzburg im Sommersemester trotz erschwerter Bedingungen erarbeitet und stellt die Aufzeichnungen dieser ebenso sehens- wie hörenswerten Produktionen, zusammen mit einer knapp zehnminütigen Einführung, nun bis Ende Juli zur Verfügung. Der fernöstliche Kulturkreis und die Themen Paarbeziehungen und Familie – idealisiert in Holsts „Savitri“, dysfunktional in Josts „Heart Sutra“ – verbinden die Einakter miteinander. Die konzentrierte, mit verbindenden Elementen in der Ausstattung arbeitende Regie (Katharina Thoma) und die ausgezeichneten sängerischen Leistungen verleihen den Mitschnitten eine beachtliche Dichte und Intensität. Im Falle Holsts tut auch die reine Klavierfassung anstelle der kleinen Instrumentalbesetzung der Wirkung keinen Abbruch, bei Jost sorgen Malletts, zwei Streicher und Klavier für eine der dramatischeren Vokalbehandlung angemessene Begleitung.
[Juan Martin Koch]
Bis 1. September
Opera Vlaanderen Antwerpen: Jacques Fromental Halévy – „La Juive“
Bis 1.9.2020, 12:00 Uhr
Video-Stream bei Operavision
Beeindruckend scharf zwischen Sentiment und despektierlicher Denunziation behandelte Peter Konwitschny, der sich einer Phase der Altersweisheit um jeden Preis zu entziehen gedenkt, die Figuren der großartigen Grand opéra von Jacques Fromental Halévy, einem der beeindruckendsten Kunstwerke gegen den Antisemitismus des 19. Jahrhunderts. In der gekürzten Produktion aus dem Jahr 2019 denkt Antonino Fogliani am Pult allerdings nicht daran, Konwitschnys latenter und letztlich kalter Abneigung gegen diesen Operntypus zu folgen. Ehrlich ist die Aufzeichnung der Produktion darin, dass sie die Ambivalenz des Publikums zwischen musikalischem Schwelgen und kritischem Interesse zeigt, da ausgedehnte Szenen wie das große Duett zwischen Rachel und Léopold im Zuschauerraum spielen. Kultverdächtig ist dank Konwitschnys wachsendem Drang zu Slapstick und Comedy der erste Auftritt von Nicole Chevalier als Eudoxie: Mehr lässt sich in sieben Minuten nicht erspielen an Liebe, erotischer Gier, Schmuck- und Champagnersucht, Dominanz und Zickigkeit. Da perlen nicht nur die Koloraturen wie Laufmaschen. Also schafft es Konwitschny doch wieder, mit einer Mixtur aus Kälte, handwerklicher Meisterschaft und inzwischen methodisch überraschungsfreier Geradlinigkeit zu überzeugen.
[Roland H. Dippel]
Bis auf weiteres verfügbar
Oper Halle – diverse Produktionen
Video-Streams auf der Homepage der Bühnen Halle
Spätestens ab Mitte Juli gehen auch die Opernhäuser, die seit März mit ihren Angeboten älterer oder neuerer Inszenierung mehr oder weniger offensiv im Netz präsent waren, in die digitale Sommerpause. Die aus der Not geborenen Chance zum Nachholen von Verpasstem ist für interessierte Zuschauer damit erstmal vorbei. Eine Schlussfolgerung aus den letzten Monaten dürfte in allen Häusern eine stärkere Orientierung auf eine fürs Streaming kompatible Art der Aufzeichnung ganzer Inszenierungen und eines Drumherums sein, das über Werbetrailer hinaus geht. Meistens findet man im Netz noch die mit notorischem Optimismus geplanten Verweise auf die Projekte der kommenden Spielzeit. Die Oper in Halle hat ihre, zwar mit etwas Verzögerung angelaufene digitale Sparte, jetzt durch die Liveübertragung der Pressekonferenz zur kommenden Spielzeit (ausschließlich) mit den amtierenden künstlerischen Spartenleitern der einzelnen Sparten abgerundet.
Man findet aber auch, neben den Konzertangeboten und etlichen erklärenden Einführungsvideos bei YouTube immer noch, neben dem hier schon empfohlenen Messe da Requiem, etwa Johannes Kreidlers ambitioniert, aber treffend so benannte „Oper für Chor, Video, einen Schauspieler, einen dramatischen Tenor, Ballett, Orchester und Elektronik“ unter dem Titel „Mein Staat als Freund und Geliebte“ – eine Produktion, die durch die Übertragung auf den Schirm sogar gewonnen hat. Ebenso bleibt die von der Percussion-Komposition Ivo Nitschkes getragene Uraufführung des hauseigenen Balletts „Groovin’ Bodies“ eine Gelegenheit, sich an die faszinierende Blick- und Erlebniserweiterung durch die mit dem FAUST honorierte Raumbühne Heterotopia in Erinnerung zu rufen. Schade, dass die Rechtesituation im Falle der Dschihad-Oper „Sacrifice“ es offenbar nicht zulässt, die gesamte Produktion „nachzusehen“.
Zum Finale seiner Intendanz in Halle will Florian Lutz einige der spektakulären Raumbühnen-Erlebnisse noch einmal aufleben lassen. So jedenfalls der Plan.
[Joachim Lange]