Ob Sie Ihre nächsten gepflegten Stream-Abende im Markgräflichen Opernhaus, in der Elbphilharmonie oder doch lieber im Gefängnis verbringen wollen, wissen wir nicht. Vorsichtshalber haben wir das wöchentliche Paket noch um einige Angebote aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen ergänzt. Gebührend würdigen, bitte! [jmk]
3. Oktober
WDR Rundfunkchor: Sing mit! digital – Lobgesang
Samstag, 3.10.2020, 19:00 Uhr – Infos und Livestream auf der Webseite des WDR Rundfunkchores
Singen in diesen Zeiten ist bekanntlich zwar nicht verboten, aber in engen Gruppen und ungelüfteten Räumen mit den ganzen sozialen Interaktionen – das ist nicht so chic. Der WDR hat zum 3. Oktober ein schönes Mitsingprojekt aufgelegt. „Lobgesang“ von Felix Mendelssohn Bartholdy steht auf dem Programm. Dafür gibt es Online-Proben zum Mitmachen und die nötigen Noten zum Download. Tolle Idee, und wer schon jetzt vorbeischaut, kann sich mit einsingen und den Profis beim Proben zuschauen. Halsey als Chorleiter, eine Wucht. Die Musik sowieso.
[Martin Hufner]
Ab 4. Oktober
SWR Fernsehen – Drei Sonntage für zeitgenössische Musik: Das Experimentalstudio
Fernsehausstrahlung am Sonntag, 4. Oktober 2020, 8:15 Uhr (Teil 1) und 9:00 Uhr (Teil 2), anschließend in der ARD Mediathek verfügbar.
Das SWR Fernsehen zeigt an drei Sonntagen bis Dezember Konzertmitschnitte und Filmdokumentationen über Hans Zender, Helmut Lachenmann und – als erster Termin am Sonntag, den 4. Oktober – über das SWR Experimentalstudio, das im kommenden Jahr sein fünfzigjähriges Bestehen feiert.
Teil 1 – „Klänge aus anderen Räumen“ begleitet Aufführungen von Boulez‘ „Répons“, Nonos „Prometeo“ und Stockhausens „Mixtur 2003“. Teil 2 – „Die Ohrenzeugen“ begleitet Proben und Aufführungen in Ljubljana, ein Konzert beim Festival „Acht Brücken / Musik für Köln“ sowie die Uraufführungen der Opern „ARGO“ von José Maria Sánchez-Verdú bei den Schwetzinger SWR Festspielen und „Heart Chamber“ von Chaya Czernowin an der Deutschen Oper Berlin.
Die drei Sonntage im Überblick:
Das Experimentalstudio Teil 1: „Klänge aus anderen Räumen“
Sonntag, 4. Oktober 2020, von 8:15 bis 9 Uhr im SWR Fernsehen
Das Experimentalstudio Teil 2: „Die Ohrenzeugen“
Sonntag, 4. Oktober 2020, von 9 bis 9:45 Uhr im SWR Fernsehen
„Konzert für Hans Zender“
Sonntag, 8. November 2020, von 8:15 bis 8:45 Uhr im SWR Fernsehen
„Hans Zender – Mit den Sinnen denken“
Sonntag, 8. November 2020, von 8:45 bis 9:45 Uhr im SWR Fernsehen
„Helmut Lachenmann – Wahnsinn mit Methode“
Sonntag, 6. Dezember 2020, von 8:15 bis 9:45 Uhr im SWR Fernsehen
Ab dem Tag der Ausstrahlung jeweils auch auf ARDMediathek.de
[Juan Martin Koch]
Bis 10. Oktober
„Gundermann“ – ein Film von Andreas Dresen
Videostream on demand, in der ARD Mediathek verfügbar bis 10.10.2020, 22:15 Uhr
Andreas Dresens Film über den DDR-Liedermacher Gerhard Gundermann gehört zu den besten deutschen Filmen der letzten Jahre. Unser Autor Thomas Otto hat hierzu in der nmz vom Oktober 2018 ein ausführliches Feature geschrieben. Wer Alexander Scheers überragend Performance als Schauspieler und Sänger bisher verpasst hat, kann dieses Erlebnis noch bis 10. Oktober nachholen.
[Juan Martin Koch]
Bis 31. Oktober
„Fidelio“ aus dem Gefängnis
Videostream on demand, bis 31.10.2020 verfügbar bei rbb Kultur
Die Adaption des Gefangenentheaters aufBruch (sic) der JVA Tegel brachte Beethovens Rettungs- und Befreiungsoper mit dem Education-Programm der Berliner Philharmoniker, Stipendiat*innen der Karajan-Akademie, Student*innen der HfM Hanns Eisler sowie Vsevolod Silkin und dem Regisseur Peter Atanassow in der leerstehenden Teilanstalt III zur Aufführung (siehe nmz 3/2020) und den Bad Blog of Musick). Nach der Premiere im Februar 2020 musste die letzte Vorstellung wegen des Lockdowns entfallen. Das Ensemble nimmt Beethovens Musik sowie das Textbuch Sonnleithners und Treitschkes als Steinbruch, der mit verblüffend stringenter Deutlichkeit seine Ernsthaftigkeit bewahrt. Ein provokativer Ansatz, auch weil er die Oper aus den durch Konventionen und Rituale geschützten Räumen der Opernhäuser dorthin versetzt, wo der Stoff unter durchaus polarisierenden Bedingungen an drastischer Relevanz und massiver Innenspannung zulegt. Ein spröder Beitrag zum Beethoven-Jahr, aber gerade dadurch packend und diskussionswürdig!
[Roland H. Dippel]
Bis auf weiteres verfügbar
„Nächste Ausfahrt: Lunar Plexus“ – ein Kinderkonzert aus der Elbphilharmonie
Videostream on demand auf der Webseite der Elbphilharmonie
„Nächste Ausfahrt: Lunar Plexus“ ist eine musikalisch-szenische Erzählung für Kinder ab 8 Jahren. Ein Streichquartett, ein Beatboxer und ein Live-Elektroniker reisen in einem Raumschiff durch das Polyversum. Geleitet werden sie dabei durch ihren Navigationscomputer Tipsy, der sich nur bei Bach-Musik auf das Navigieren konzentrieren kann. Und sich trotzdem manchmal vertut. Komponiert und konzipiert wurde das 45-minütige Stück vom Musiker, Komponisten und Hörspielmacher Felix Kubin, der selbst mit auf der Bühne des Kleinen Saals der Elbphilharmonie steht. Gemeinsam mit Mark Boombastik und dem Ensemble Resonanz geht es auf eine intergalaktische Mission. Eines Tages erhalten sie den Auftrag, Klänge für das Plexifon, eine kosmische Musikmaschine, zu sammeln. Dafür müssen sie zum Wasser-Planeten, Spiegel-Planeten und 7-Schieben-Planeten. Dabei erklingen Alte und Neue Musik, Elektronik, Beats bis zu funkartigen Klängen. Sehr gute Unterhaltung, die ihr Publikum ernst nimmt.
[Juana Zimmermann]
Bayreuth Baroque Opera Festival: Nicola Antonio Porpora – „Carlo il Calvo“
Videostream on demand bei YouTube (Teil 1 und Teil 2)
In Bayreuth fielen in diesem Jahr die Richard-Wagner-Festspiele der Pandemie zum Opfer. Dafür war das neue Bayreuth Baroque Opera Festival im Markgräflichen Opernhaus ein voller Erfolg. Multitalent Max Emanuel Cenčić ist hier nicht nur Intendant, sondern war auch Regisseur einer Barock-Ausgrabung und mehrfach selbst Protagonist.
Auf der Facebook-Seite des Festivals sind Trailer-Resümees der Programmfolge mit diversen Protagonisten-Interviews abrufbar, die einen Eindruck der musikalischen Angebote vermitteln, die zwischen dem 3. und 13. September über die Bühne gingen. Sie reichen von der deutschen Erstaufführung von Leonardo Vincis, u.a. mit drei Countern besetzten Polenoper „Gismondo, Re di Polonia“ über einen Auftritt von Joyce DiDonato bis zu Jordi Savall und seinen Musikern.
Den Höhepunkt des Festivals gab es allerdings gleich zu Beginn: Nicola Antonio Porporas Oper „Carlo il Calvo“ aus dem Jahre 1738 hatte Cenčić in Athen vorbereitet und für das barocke Opernhaus par excellence maßgeschneidert und mit einer Riege von Stars ausgestattet. Widrigen Umständen abgetrotzt, reduziertem Publikum, voller Orchesterbesetzung, und Bühnenpersonal auf Tuchfühlung und alles im Fünfstundenformat (siehe nmz Online vom 6.9.2020). Wie sich Cenčić selbst, seine Counter-Kollegen Franco Fagioli, Bruno de Sá, Tenor Petr Nekoranec, Julia Lezhneva, Suzanne Jerosme, Nian Wang und George Petrou mit den Musikern seines Orchester Armonia Atenea schlagen, das lässt sich auf YouTube in zwei Teilen nachprüfen. Und genießen. Siehe – mit deutschen Untertiteln: Teil 1 und Teil 2.
Für den kommenden Jahrgang lohnt es sich auf jeden Fall, die Homepage des Bayreuth Baroque Festivals im Auge zu behalten. Dann wird, soviel war schon zu vernehmen, auch eine Wiederbegegnung mit der unterhaltsamen Inszenierung von „Carlo di Calvo“ möglich sein.
[Joachim Lange]