2021 ist da und aus gegebenem Anlass versorgen wir Sie weiterhin mit bemerkenswerten musikalischen Angeboten aus der Netzwelt. Los geht’s mit Jazz aus Köln, einem die Lage in Belarus reflektierenden „ästhetisch-politischen Hallraum“, jeder Menge Oper und einem alten Bekannten, den wir hinter uns gelassen glaubten. Auf ein neues, Ludwig! [jmk]
8. und 9. Januar
Winterjazz Köln
Freitag, 8.1. und Samstag, 9.1.2021, jeweils ab 20:30 Uhr
Live-Videostreams über die Festivalwebseite
Jetzt die zehnte Ausgabe des „winterjazz“, das rund um den Stadtgarten in Köln musikalisch und besuchstechnisch chaotische Verhältnisse garantierte. Schlange stehen in Kälte vor den Türen garantiert. Jetzt also im Stream im Warmen und im Radio live auf WDR die besondere Ausgabe 2021. Kostenlos war der Eintritt schon immer. Manchmal auch hoffnungslos. „10 Gäste aus europäischen Nachbarländern und quer aus der Republik sind eingeladen, ihre Musik mitzubringen und mit Kölner Musiker*innen zu performen. Lucia Cadotsch, Jozef Dumoulin, Robert Lucaciu, Emilene Wopana Mudimu, Jelena Kuljić, Lucas Niggli, Maria Portugal, Otis Sandsjö, Ignaz Schick und Gina Schwarz werden am 8. und 9.1.21 mit ihren Bands in der großen WINTERJAZZ STREAMVAGANZA aus dem Kölner Stadtgarten zu hören und sehen sein.“
[Martin Hufner]
Bis 3. Februar
Komische Oper Berlin: Georg Friedrich Händel – „Semele“
Video on demand via OperaVision
Mit beachtlichem Tempo steuert man mit einer Kamerafahrt von der Baustellen-Pracht-Straße Unter den Linden auf die Komische Oper zu, stürmt durchs Foyer die Freitreppe hoch zur Foyertage und wird dort vom Intendanten und Regisseur Barrie Kosky mit offenen Armen zur Showtime begrüßt. Fast so wie immer. Und dass bei dem Australier Showtime nicht nur für sein Lieblingsgenre Operette gilt, sondern auch für Händel, versteht sich von selbst. Der opulent unterhaltende Teil des Musiktheaters ganz gleich welcher Couleur kommt bei ihm nie zu kurz. Dass das Oratorium „Semele“ längst wie eine Oper behandelt wird, ist nicht zuletzt das Verdienst der nachhaltigen Händelpflege vor allem in den drei Festspielhochburgen Göttingen, Halle und Karlsruhe, die (normalerweise) jedes Jahr mit Festspielen unter dem musikalischen Patronat des Barockmeisters glänzen. Allein in den zwanzig Jahren nach der Jahrhundertwende ist die Beinahe- oder besser: Eigentlich- doch Oper „Semele“ weltweit über 50 Mal mit einer Premiere aufgetaucht!
Ein Haus wie die die Komische Oper mit ihren ihre Barockmeriten darf da nicht fehlen. Harry Kupfer etwa kehrte 2019 für die letzte Inszenierung seines Lebens noch einmal an „sein“ Haus und mit Händels „Poros“ zurück. Stefan Herheim entfesselte einen schillernd aufgepeppten „Xerxes“. Und 2018 (als die Opernwelt noch in Ordnung war, wie man beim Blick in den vollbesetzten Zuschauerraum sieht) nun „Semele“, diese göttliche Lovestory in der Regie des Hausherrn.
Am Pult des Orchesters der Komischen Konrad Junghänel, der im Haus an der Behrensstraße schon Händels „Giulio Cesare“ und „Xerxes“ dirigiert hat und musikalische vom Graben aus den szenische Sexappeal in Bietos Inszenierung von Glucks „Armida“ musikalisch komplettierte. Auch bei den Protagonisten führt Koskys Star Nicole Chevalier in der Titelpartie ein handverlesenes Ensemble an. Semele will ihren Liebhaber in seiner göttlichen Gestalt als Jupiter erblicken, überlebt das nicht. Ehefrau Juno siehts mit Genugtuung. Kosky liebt die Show – aber seine Begrüßung vom Anfang trifft es diesmal nur im übertragenen Sinne. Denn er ist nicht nur ein Zirkusdirektor in der Opermanege – er kann sich erwiesenermaßen auch ganz ernsthaft einem Werk widmen. Was in diesem Falle zu einem Blick auf die dunklen Seiten der Liebe führt und von Selbsttäuschung berichtet. Dazu passt der barocke Salon mit seinen verkohlten Wänden.
Von dieser bemerkenswerten Produktion wurde schon die die Premiere im Mai 2018 gestreamt. Jetzt ist sie erneut für einen Monat auf OperaVision zu sehen. (Verfügbar bis 3.2.21, 12.00 Uhr)
[Joachim Lange]
Bis auf weiteres verfügbar
Echoes – Voices from Belarus
Videos on demand auf der Projektwebseite
Maria Kalesnikava war zum Gesicht des zivilen Widerstandes in Weißrussland avanciert, als die Machthaber sie gewaltsam von der medialen Bildfläche zerrten. Seit September 2020 befindet sie sich, weitestgehend abgeschottet von der Außenwelt, für unbestimmte Zeit in „Untersuchungshaft“. Doch die Proteste gegen das Lukaschenko-Regime gehen weiter und haben inzwischen auch künstlerische Ventile gefunden. Was nicht allgemein bekannt sein dürfte: Die Hoffnungsträgerin der Demokratiebewegung ist Flötistin, Komponistin und Medienkünstlerin im Bereich zeitgenössischer Musik und war in diesen Funktionen eng mit dem Stuttgarter ECLAT-Festival und Musik der Jahrhunderte verbunden. Unter dem Dach von ECLAT entstand nun die audiovisuelle Plattform „Echoes – Voices from Belarus“: Ein ästhetisch-politischer Hallraum, in dem belarussische und internationale (Musik-)Künstler*innen kooperieren und mit kurzen Video-Statements fortlaufend auf die gegenwärtige Lage in Weißrussland Bezug nehmen werden. Nicht zuletzt, um dem Schicksal Maria Kalesnikavas eine dauerhaftere Aufmerksamkeit zu sichern, als es das mediale Tagesgeschäft könnte und wollte. Das Video-Konvolut wächst dann Anfang Februar beim ECLAT-Festival als Performance-Installation erstmals in größerem Rahmen zusammen.
Die bisher sichtbaren Beiträge geben sich keineswegs vordergründig politisch, sondern offenbaren existentielle Transformationen ästhetisch ganz unterschiedlicher Natur: Katya Zhynhiarouskaya und HuiHui Cheng begaben sich zu mystischen Selbsterkundungen in die Einsamkeit des winterlichen Waldes („Forest echoes – I wake up and feel the fall of darkness“); Carola Bauckholt hat mit „Scratches“ ein dramatisches Mini-Vokal-Theater beigesteuert; Ales Pushkin und Gareth Davis haben den Ereignissen der Straße eine ganze Serie abgelauscht, die atmosphärisch eindrucksvoll Elektroklang, Feldaufnahmen, Zeichnungen und Texte zu intensiven Klang-Bildern zwischen Melancholie und Hoffnung montiert. Weitere Kurz-Produktionen folgen in beinahe täglichem Rhythmus u. a. von Alexandra Kononchenko, Andreas Frank, Anton Baton, Antonina Slobodchikova, Clemens K. Thomas, Grigory Horoneko, Malte Giesen, Marina Naprushkina, Nadya Sayapina, Oscar Bianchi, Polina Dobrovolskaya, Pony Says, Raed Yassin, Sergej Newski, Vasilisa Palianina, Zhanna Gladk. Also regelmäßig reinschauen!
[Dirk Wieschollek]
Königliches Theater Kopenhagen: Carl Nielsen – „Maskarade“
Video on demand auf der Theaterwebseite (in dänischer Sprache)
Carl Nielsens „Maskarade“ ist wohl die beliebteste Oper der Dän*innen, sie bezeichnen sie als „nationalklenodiet“ [nationaler Schatz]. Wer die Handlung nicht kennt, dem sei sie hier kurz zusammengefasst: Zwei junge Menschen treffen sich auf einem Maskenball und verlieben sich ineinander. Die Väter hatten aber beide schon anderweitig versprochen, was folglich zu eklatanten Konflikten in den Familien führt. Doch am Ende geht alles gut aus. Um 1905 schrieb Nielsen seine Oper in drei Akten. Die Geschichte spielt 1723 in Kopenhagen und beruht auf einer Komödie des dänisch-norwegischen Schriftstellers Ludvig Holbergs. Musikalisch ist sie für die Interpret*innen anspruchsvoll, für die Hörer*innen vor allem heiter. Die Fans von Verdi und Wagner werden mit Nielsen vermutlich wenig anzufangen wissen. Wem Operette zu frivol ist, aber dennoch Musiktheater mag,, der wird sich hier sehr gut unterhalten fühlen. Kasper Holten und Dirigent Michael Schønwandt, die schon oft zusammengearbeitet haben, bringen Nielsens komische Oper in einer aktuellen Ausgabe in die bessere Bourgeoisie unserer Zeit. Außerhalb Dänemarks kann man „Maskarade“ nur selten sehen, um so besser, dass sie nun online verfügbar ist.
[Juana Zimmermann]
20 Shots of Opera – Irish National Opera
Video on demand seit Ende Dezember 2020 auf der Theaterwebseite
Als die Neuproduktion vom Rossinis „Guillaume Tell“ wegen Corona nicht stattfinden konnte, vergab Fergus Sheil, Direktor der Irish National Opera, an 20 Komponist*innen Aufträge zu Kurzopern mit einer Dauer von sechs bis neun Minuten. Über 160 der Institution verbundene Künstler*innen und Mitarbeiter*innen waren an den explizit für das digitale Format und nicht für Bühnenaufführungen gedachten Produktionen beteiligt, die seit Ende Dezember im Netz zu sehen sind. Ein innovativer Kunstakt, der die Miniopern zu Essays und Podcasts über die wesentlichen Debatten des vergangenen Jahres macht. Es geht um Corona, Kontaktstörungen, philosophische Fragestellungen und den bevorstehenden ökologischen Totalkollaps. Search-Untermenüs bieten Blöcke zu den Themen „political“, „life and death“, „drama“ und „relationships“, ein Feld zur „keyworld research“ befindet sich darüber. Überwiegend entschieden sich die Macher für ernste Themen, die visuelle Gestaltung reicht von Smartphone-Verbindungen über anspruchsvolle Animationen zu virtuellen Verfremdungen. Aber immer stehen fragende, verstörte, von Gefühlen attackierte, ratlose Menschen und deren Emotionen im Mittelpunkt. Die verschiedenen Tonsprachen und Kamera-Haltungen fügen sich zu packenden und nachdenklich machenden kleinen Gesamtkunstwerken.
[Roland H. Dippel]
Ludwig van – Der Beethoven-Kanon auf ARTE Concert
Videos on demand in der ARTE Mediathek
Das Beethoven-Jahr ist vorbei – höchste Zeit, wieder ein wenig Beethoven zu hören! Und eine Initiative von ARTE zu würdigen. Der Begriff „Beethoven-Kanon“ ist zwar zu hoch gegriffen, aber dies ist eine üppige Sammlung mit vielen guten bis herausragenden Interpretationen, wobei die Streichquartette mit dem Quatuor Ebène und die Violinsonaten mit Leonidas Kavakos und Enrico Pace herausstechen. Leider ist die Gliederung der vielen Videos nicht unbedingt schlüssig, außerdem fehlt die Möglichkeit, Werke gezielt zu suchen und innerhalb eines mehrteiligen Videos Werke und Sätze im Player direkt anzusteuern. Aber bis zum 200. Todestag ist ja noch ein wenig Zeit…
[Juan Martin Koch]