Psychology of Perception – Psychologie der Wahrnehmung. Guter Name für eine experimentelle Improvisationscombo. Bevor wir uns deren „Avantgarde-Trance“ hingeben, können wir uns bei einer Runde von Ensemble Resonanz und ZKM diskursiv vorbereiten, den „Remix“ des Ensemble Modern verfolgen, eine gelungene Zemlinsky-Inszenierung begutachten oder einfach nur talentierten Nachwuchsmusiker*innen lauschen. Freie Wesen im Einklang? Hoffentlich! [jmk]
29. Januar
Ensemble Resonanz/ZKM: Einklang freier Wesen (Symposium und Showcase)
Freitag, 29.01.2021, 17:00 Uhr
Live-Videostream via ZKM-Homepage; Link zum Programm
Dass sich die Produktion von Kunst und Musik immer stärker ins Virtuelle verlagert, ist kein Geheimnis und nicht erst eine Folge pandemischer Restriktionen. Die aber haben Phänomene, die Peter Weibel in seinem Essay „Virus, Viralität, Virtualität“ beschreibt, inzwischen auf die Spitze getrieben. Sie sind zum Medium einer Krise mutiert, die zuvorderst eine existentielle ist, aber auch eine Krise der Wahrnehmung schlechthin. Die Situation ist ja auf interessante und zugleich prekäre Weise ambivalent: Öffentliche Produktion, also wirkliche Begegnung von Mensch und Kunst, kann nicht stattfinden, andererseits ermöglichen die Vernetzungspotenziale des Digitalen, das überhaupt etwas passieren und kommuniziert werden kann, ansonsten wäre das Vakuum total. Dass unter diesen Bedingungen in letzter Zeit eine bemerkenswerte Aktivität freigesetzt wird, beweisen nicht zuletzt die Veranstaltungen des Ensembles Resonanz:
Über die Grenzen und Möglichkeiten digitaler Kunst- und Musikerfahrung diskutieren am 29. Januar im Resonanzraum Hamburg Vertreter*innen internationaler Ensembles, des ZKM | Karlsruhe sowie Veranstalter*innen im konkreten Bezug zur Praxis. Das Podium hat es in sich: Ole Baekhoj (Pierre Boulez Saal), Marco Blaauw (Ensemble Musikfabrik), Ludger Brümmer (ZKM), Christian Fausch (Ensemble Modern), Matthew Gold (Talea Ensemble), David-Maria Gramse (Ensemble Resonanz), Georg Friedrich Haas (Komponist), Malte Müller (WAF GmbH), Tobias Rempe (Ensemble Resonanz), Steven Walter (Beethovenfest Bonn), Peter Weibel (ZKM), Bas Wiegers (Dirigent), Bernhard Zachhuber (Klangforum Wien).
Als Beispiel virtueller Praxis wird das digitale Kooperationsprojekt „Einklang Freier Wesen“ des ZKM und Ensemble Resonanz vorgestellt. Dabei handelt es sich um ein „interaktives Audiointerface“, das gleich mal live mit einem Stück von Georg Friedrich Haas getestet wird! Der führt selbst ein in „Einklang freier Wesen“ (1995), eine Ensemblekomposition, die sich aus 10 flexiblen Solostimmen zusammensetzt, die von den Zuhören interaktiv per App koordiniert werden können (Freischaltung am 29.1.). „Das digitale Audiointerface ermöglicht es, sich auf eine Entdeckungsreise durch das Werk zu begeben, indem Sie den Solist*innen der fünf Ensembles Stimme, Raum und Klang geben, sie im digitalen Raum platzieren und die Konstellation wählen. So wird das Zusammenspiel aktiv erfahrbar, das Musikerlebnis interaktiv“, versprechen die Veranstalter. Wie heißt es so schön in Hölderlins „Hyperion“: „Was wär auch diese Welt, wenn sie nicht wär ein Einklang freier Wesen? Wenn nicht aus eignem frohen Triebe die Lebendigen von Anbeginn in ihr zusammenwirkten in ein vollstimmig Leben, wie hölzern wäre sie, wie kalt?“
(Achtung: Veranstaltung in englischer Sprache! Dauer ca. 4h.)
[Dirk Wieschollek]
30. Januar
HMT Rostock: YARO on air
Samstag, 30.01.2021, 19:30 Uhr
Live-Videostream auf www.young-academy-rostock.de
Seit 2008 bietet die Young Academy Rostock der Hochschule für Musik und Theater (hmt) in Zusammenarbeit mit dem Landesverband der Musikschulen in Mecklenburg-Vorpommern dem hochbegabten Nachwuchs der Region die Möglichkeit eines Frühstudiums. Das partnerschaftliche, sich nicht als Konkurrenz zur Musikschulausbildung verstehende Konzept gilt als wegweisend für die Frühförderung. Einen Einblick in die Bandbreite der Talentschmiede gibt ein Konzert, das am Samstag live aus dem Katharinensaal der hmt Rostock übertragen wird. Auf dem erfreulich originellen und zeitgenössischen Programm stehen u.a Werke von Gabriel Fauré, Keiko Abe und Alyssa Morris. Der Pianist Toby Olias Brechler (*2005) präsentiert eine selbst komponierte Etüde, die Sängerin Liv Jantje Fischer einen eigenen Song.
[Juan Martin Koch]
Ensemble Modern: „Remix“
Samstag, 30.01.2021, 20.00 Uhr (Wiederholung, Der Ticketverkauf mit solidarischem Preissystem – 5/10/30 Euro – schließt jeweils spätestens 1 Stunde vor Beginn der digitalen Vorstellung. Der Link zur digitalen Veranstaltung steht auf dem Ticket.)
Videostream auf der Ensemblewebseite
Ursprünglich hätte das erste Konzert des Ensemble Modern im 41. Jahr seines Bestehens in der Alten Oper Frankfurt stattfinden sollen. Als Beitrag zur Reihe „On Air“ wurde es in das Haus der Deutschen Ensemble Akademie verlegt. Der Livestream unter Leitung von Sylvain Cambreling fand am 26. Januar statt, die zweite der beiden Wiederholungen folgt am 30. Januar.
Die Uraufführung „em 40“ hatte Manfred Stahnke dem Ensemble Modern zum 40. Geburtstag gewidmet. Der Italiener Pierluigi Billone nutzt in „Ebe und Anders“ die expressiven Möglichkeiten der Kombination von Trompete und Posaune. Georg Friedrich Haas setzte in „Remix“ auf die sinnliche Kraft instrumentaler Klänge. Eine Woche später, am 6. Februar 2021, streamt das Ensemble Modern „Schuberts ‚Winterreise‘ – Eine komponierte Interpretation“ von Hans Zender live aus dem Schauspielhaus Frankfurt (Dirigent: Daniel Cohen, Tenor: Julian Prégardien). Am 10. und 13. Februar wird die Aufzeichnung als Wiederholung gezeigt.
[Roland H. Dippel]
Bis 31. Januar
Deutsche Oper Berlin: Alexander von Zemlinsky – „Der Zwerg“
Bis Sonntag, 31.01.2021, 15.00 Uhr
Video on demand auf www.deutscheoperberlin.de
Regisseur Tobias Kratzer und der GMD der Deutschen Oper Berlin Donald Runnicles haben den Zwerg von Alexander von Zemlinsky selbstverständlich wie ein ausgewachsenes Opernexemplar behandelt. Was bei Einaktern wie dem 1922 in Köln uraufgeführten Werk, das es nur auf fünf Viertelstunden bringt, nicht selbstverständlich ist. Der Regisseur freilich fügt dem Stück über den kleinen, hässlichen Mann, der nicht nur sich selbst für schön hält, sondern auch glaubt, dass alle anderen es ihm gleich tun, einen Prolog hinzu. Alles beginnt in einem Musiksalon vom Beginn des 20. Jahrhunderts. In dem Klavierlehrer und seiner Schülerin sind unschwer Zemlinsky selbst und jene Frau – Everybodys-Darling Alma Mahler – zu erkennen, der er sich 1900/01 so gefährlich näherte, dass die Abfuhr ihn im Leben traf, und auf der Bühne vom Stuhl haute. Dazu Arnold Schönbergs „Begleitungsmusik zu einer Lichtspielszene“ für Orchester op. 34 (1930). Ein deutlicher Verweis, dass der folgende „Zwerg“ auch Züge einer versuchten Selbsttherapie hat…
Die Geschichte selbst verlegt Kratzer in die Gegenwart eines nüchternen, klinisch weißen Konzertsaales.Die Infantin wird zur verwöhnen Oligarchentochter. Die Differenz zwischen Selbstbild und Außenwahrnehmung um die es im Stück geht wird personifiziert durch die Verdopplung des titelgebenden Zwerges. Am Ende erwürgt das große sein kleines Alter Ego und stirbt dann auch – Selbsterkenntnis, die tödlich endet. Die Melange aus originellem Zugriff auf den Stoff und intensiver Personenführung ist das Markenzeichen für Kratzers Erfolg.
Die von Publikum und Kritik bejubelte Inszenierung ist bereits bei Naxos als DVD erschienen und wurde in der Kategorie „Best Opera Recording“ für den GRAMMY nominiert. Die Deutsche Oper bietet diese grandiose Inszenierung als Streams on Demand vom 28. Januar 15.00 Uhr bis 31. Januar 2021 15.00 Uhr. Auch die Texte des Programmhefts stehen auf der Landing Page in Deutsch und Englisch zur Verfügung.
[Joachim Lange]
2. Februar
Live aus dem Ausland, Berlin: P.O.P. – Psychology of Perception
Dienstag: 2.2.2021, 19:30 Uhr
Livestream via YouTube
Da kann man nur sagen: Überraschen lassen! Das Quartett mit Nora Krahl: violoncello, Elena Kakaliagou: french horn & Stimme, Reinhold Friedl: piano und Hannes Strobl: electric bass wird sicher wieder an die Grenzen aller Klangwelten stoßen. Experimentelle neue improvisierte Musik. „They love the sensual quality of music and sound“ heißt es dazu im Beilagentext der Musiker*innen auf ihrer CD „Ikebana“ beim Label monotype (Hörbeispiele finden sich dort für einen ersten Eindruck). Diese häufig sich langsam umwälzende Musik übt einen Reiz aus, den ich kurzbündig mit Avantgarde-Trance bezeichnen möchte. Vielleicht kommt aber auch alles ganz anders.
[Martin Hufner]