Ein Korngold-Wunder – ein Flügel-Wunder: Zwischen Berliner Opern-Extase und Hamburger Klangfarben-Dramaturgie tummeln sich diese Woche weitere Musiktheater-Streams von Verdi über Ravel bis Laure Hiendl. Eine engagierte evangelische Kirchengemeinde liefert elektrischen Kontrapunkt à la Steve Reich. Wunderbar. [jmk]
20. Februar
Ev. Kirchengemeinde Stolberg: #coronawinter Nr. 3 – Suleman Taufiq und Vicente Bögeholz
Samstag 20.2.2021, 19:00 Uhr
Live-Videostream via YouTube
Das dritte Streaming-Live-Event im Rahmen der Reihe #coronawinter 2020/21 aus der evangelischen Finkenbergkirche in der Stolberger Altstadt hat den deutsch-syrischen Schriftsteller Suleman Taufiq und den deutsch-chilenischen Gitarristen Vicente Bögeholz zu Gast. Vicente Bögeholz spielt unter anderem Steve Reichs „Electric Counterpoint” (1987) für E-Gitarre und Zuspielband. Zusammen mit dem in Aachen lebenden Autor Suleman Taufiq wird der Konzert-Gitarrist u. a. mit Werken von Astor Piazzolla die subtil-fragilen Gedichte des Schriftstellers musikalisch ‚untermalen‘ – so der Plan.
Das #coronawinter-live-streaming-Projekt wird ermöglicht durch Pfarrer Axel Neudorf (Streaming-Technik), Kantor Gunther Antensteiner und den Musiker und Komponisten Norbert Walter Peters (Initiator/Organisator). Das Eventprojekt kommt dank großer Spendenbereitschaft von Privatleuten, Firmen und Institutionen ausschließlich Künstlern der Region Aachen zugute.
[Martin Hufner]
Bis 21. Februar
Deutsche Oper Berlin: Erich Wolfgang Korngold – „Das Wunder der Heliane“
Video on demand bis 21.2.2021, 15.00 Uhr, auf der Theaterwebseite
Leider gibt es dieses (Opern-) Wunder der Heliane nur vom 18. bis 21. Februar 2021 als Video on demand auf der Homepage der Deutschen Oper. Aber es lohnt! Das Haus avisiert das, was Dirigent Marc Albrecht und Regisseur Christof Loy da im März 2018 auf die Bühne brachten ganz zu Recht als Sensation (Premierenkritik auf nmz Online). So etwas lässt sich ja heutzutage immer noch ganz gut mit Meisterwerken des 20. Jahrhunderts erzielen, denen ein Kulturbruch wie der Rassenwahn der Nazis nachhaltig geschadet hat. In diesem Fall geht es um Erich Wolfgang Korngold und seine Oper „Das Wunder der Heliane“. Deren Wiederentdeckung profitiert von der Korngold-Renaissance, die vor allem sein bekanntestes Werk, „Die tote Stadt“ in den letzten Jahren erlebte, zurück ins Repertoire führte. Damit war Korngold 1920 auf einen Schlag zum Star geworden. 1927 dann versuchte sich der damals, neben Richard Strauss, meist gespielte Komponist mit dem „Wunder der Helena" selbst zu übertreffen. Für den exzessiven Orchesterklangrausch und das vokale Sichverströmen, die Korngold hier entfesselt erweist sich Marc Albrecht am Pult als genau der Richtige.
Die Oper spielt in einem Reich, in dem den Untertanen jede Freude und Lust verboten sind. Aber auch der Herrscher ist frustriert, weil sich seine Gattin, die schöne Königin Heliane ihrem Mann verweigert. Zugleich wird ein charismatischer Fremder als personifiziertes Gegenteil dieser Askese eingesperrt und zum Tode verurteilt. Als die mitfühlende Königin ihn vor seiner Hinrichtung besucht, wird es auch für sie lebensgefährlich… Am Ende wird der König nach einem veritablen Eklat und einem Gottesurteil samt Auferstehung selbst zum Mörder.
Christof Loy, Johannes Leiacker (Bühne) und Barbara Drosihn (Kostüme) habe diese krude Story in eine unbestimmte Gegenwartsnähe verlegt. Ihre Hoffnung auf die Wucht des Grundsätzlichen geht auf. Josef Wagner (König), Brian Jagde (der Fremde) vor allem aber Sara Jakubiak (Heliane) spielen und singen auf Ausnahmeniveau. Auch Chöre und Orchester liefern musikalischen Hochgenuss.
In der Videoregie von Götz Filenius ist diese Produktion aufgezeichnet worden und bei Naxos als DVD erschienen (siehe nmz 11/2019). Vom 18. Februar 15.00 Uhr bis zum 21. Februar 15.00 Uhr ist diese Aufzeichnung unter www.deutscheoperberlin.de abrufbar.
[Joachim Lange]
Bis 28. Februar
Radialsystem: Laure M. Hiendl – Songs for Captured Voices
Video on demand via Radialsystem
Laure M. Hiendl ist momentan eine der auffälligsten Figuren einer gesellschaftskritischen Einbindung queerer Sprachformen auf dem politisierten Feld zeitgenössischer Komposition und wurde kürzlich beim Festival ECLAT für „Ten Bullets Through One Hole“ mit dem Stuttgarter Kompositionspreis bedacht. Das narrative Zentrum des aktuellen Bühnen-Projektes „Songs for Captured Voices“ bilden Audio-Aufnahmen menschlicher Stimmen, die in den verschiedensten historisch-politischen Zusammenhängen instrumentalisiert und „zum Gegenstand asymmetrischer Machtverhandlungen“ wurden: Darin O-Töne aus Kriegsgefangenenlagern beider Weltkriege sowie von Beteiligten gegenwärtiger Asylverfahren. Das dokumentarische Material wird aber nicht, so verkünden die Verantwortlichen, im Sinne der Collage einfach nur re-kontextualisiert, sondern transformiert in eine komponierte Musik für Stimme und Ensemble, die es sich zur Aufgabe gesetzt hat, „erklingen zu lassen, was unausgesprochen und im Verborgenen bleibt“.
Eigentlich war „Songs for Captured Voices“ als multimediale Musiktheaterproduktion gedacht, die am 5. Februar im Radialsystem Premiere haben sollte. Nun wird sie als „Albumversion“ präsentiert, die auf der Radialsystem-Website zehn Tage lang abrufbar ist. Die enthält aber nicht allein akustisches Material, sondern auch ein Booklet mit dem kompletten Libretto (Göksu Kunak a.k.a. Gucci Chunk) und Fotografien der geplanten szenischen Einrichtung (Regie: Philipp Bergmann und Thea Reifler). Es spielen, singen und sprechen das Ensemble KNM Berlin und die britische Sängerin, Komponistin und Aktivistin Elaine Mitchener!
[Dirk Wieschollek]
Bis 5. März
Staatsoper Stuttgart: Maurice Ravel – „Die verzauberte Welt“
Video on demand vom 19.2.2021, 19.00 Uhr, bis 5.3.2021 auf der Theaterwebseite; Watchparty am 19.2.2021, 19:00 Uhr; Nachgespräch am 5.3.2021, 20:00 Uhr
Eintritt frei – Anmeldung für Watchparty und Nachgespräch erforderlich; Preview via YouTube
Altersempfehlung ab Klasse 4
Die Staatsoper Stuttgart gibt eine digitale Vorpremiere zum Opernabend „Die verzauberte Welt“. Das Musiktheater beruht auf Maurice Ravels Werken „L’enfant et les sortilèges“, „Ma Mère L’Oye“ und Liedern von Schorsch Kamerun. Letzterer ist auch Regisseur und steht zugleich als Schauspieler auf der Bühne. In „L’enfant et les sortilèges“, nach dem Libretto der französischen Dichterin Colette, widersetzt sich ein Kind aufs Äußerste den Erwachsenen und ihren Erwartungen. Wütend und zornig zerlegt es das eigene Kinderzimmer und foltert seine Haustiere. Es ist ein eindeutiges Postulat: „Ich will nicht“. Kamerun übernimmt in seiner Neuinszenierung den Plot um das trotzige Kind und inszeniert eine Welt, die zeigt, wie aus Widerspruch und Verweigerung Leistungsdruck entsteht. Schüler*innen aus Schulklassen verschiedener Stufen spielen und singen die Auseinandersetzung mit Systemsprengern, der Jugend und ihrer Zukunft.
Zum Start des Streams wird es eine sogenannte ‚Watchparty‘ geben, wo gemeinsam ein „Best of“ geschaut wird. Kommentiert wird es von den mitwirkenden Künstler*innen. Mit der Dramaturgie gibt es am 3. März um 20:00 Uhr ein digitales Nachgespräch.
[Juana Zimmermann]
Bis auf weiteres verfügbar
Symphoniker Hamburg/Argerich/Cambreling: Beethoven und Ravel
Video on demand ab Freitag, 19.2.2021, 19:00 Uhr, auf der Orchesterwebseite
Zugegeben, das Repertoire dieses Konzerts – Beethovens Achte sowie von Maurice Ravel „Le tombeau de Couperin“ und das G-Dur-Klavierkonzert – ist nicht sonderlich spektakulär. Doch wenn Martha Argerich eines ihrer Paradestücke spielt, darf man sich wohl getrost zuschalten. Hinzu kommt, dass dabei erstmals ein neu restauriertes Instrument zum Einsatz kommt: „Das blaue Wunder“ wird der 1925 in Hamburg gebaute Steinway-Flügel wegen seiner Mattierung in Dunkelblau genannt. Klangfarbe garantiert.
[Juan Martin Koch]
Opernfestspiele Heidenheim: Giuseppe Verdi – „Ernani“
Video on demand via Opera on Video
Immer wieder gab es im deutschen Sprachraum hochklassige Verdi-Ballungsgebiete an unerwarteten Orten wie in Dessau unter den Dirigenten Daniel Lipton und Golo Berg oder die Produktionen des Aalto-Theaters mit Stefan Soltesz und Dietrich Hilsdorf. Seit einigen Jahren etabliert Marcus Bosch die Opernfestspiele Heidenheim als Verdi-Hotspot, vor allem mit dessen seltener gespielten Frühwerken („Oberto“ 2016, „Un giorno di regno“ 2017, „I Lombardi alle prima crociata“ 2018). Die Festspielproduktion 2019 kam bereits auf CD heraus. Jetzt zeigt auch der Stream des Melodramma „Ernani“, mit dem Verdi 1844 in Hinblick auf die gesanglichen Anforderungen und die Werkarchitektur viele in „Il trovatore“ genutzte Mittel vorwegnahm, die hohen Eigenqualitäten des Festivals: Die brillante Cappella Aquileia, die zwischen forscher Dramatik und rassigem Federn angesiedelte Klangkultur, individuelle Sängerbesetzungen und eher drastische als dekorative Szenographien. Nur die in mehreren Musiknummern gestrichenen Wiederholungen gemahnen an sonst überwundene Aufführungstraditionen.
[Roland H. Dippel]