Unsere Kandidaten stehen schon fest: Mythisches von Jean Sibelius, Loriots Kurz-„Ring“, die Fortsetzung der Hellerauer „Tonlagen“, Bergs „Lulu“ in einer besonderen Fassung und ein „Brückenrockdown“ von Bernd Begemann. Wählen Sie – die Richtlinienkompetenz liegt unübersehbar bei Ihnen! [jmk]
16. April
Staatstheater Hannover: MYTHOS
Freitag, 16.4.2021, 19:30 Uhr
Live-Videostream auf der Theaterwebseite (kostenpflichtig)
Die Staatsoper Hannover startet eine neue Reihe ‚More than music‘: Aus einer Verbindung von klassischem Konzert mit Tanz, Video, Bühnenbild oder Performance sollen neue Kunstformen entstehen. Den Auftakt macht mit ‚MYTHOS‘ ein Visual Concert mit Musik von Jean Sibelius und Bildern des Videokünstlers Tal Rosner. Rosner lebt in London und arbeitet mit Künstler*innen unterschiedlichster Sparten zusammen. So hat er bereits mit den New York Philharmonic und dem BBC Symphony Orchestra gemeinsam Projekte, Modenschauen von Louis Vuitton und Konzerttourneen der Rolling Stones realisiert. Der Komponist Sibelius, der Namenspate für das Notensatzprogramm stand, ist einer der wenigen klassischen Komponisten Finnlands, die über die Nationalgrenzen hinweg bekannt ist. Deshalb wird er auch als der finnische Nationalkomponist beschrieben, was dem zwischenzeitlichen Sympathisanten faschistischer Bewegungen wohl gefallen hätte. Seine Musik zeichnet sich durch tiefe Tonlagen und mystische Klangfarben aus. Das Visual Concert wird eine Rundschau auf sein Werk, u.a. mit „En Saga“ op. 9, Arioso op. 3 für Sopran und Streicher und „Nächtlicher Ritt und Sonnenaufgang“ op. 55. Es spielt das Niedersächsische Staatsorchester unter der Leitung von Ari Rasilainen.
[Juana Zimmermann]
17. April
Oper Leipzig: Wagner Loriot – „Der Ring an einem Abend“
Samstag, 17.4.2021, ab 18:00 Uhr 48 Stunden lang verfügbar
Video on demand über die Theaterwebseite
Die Idee Richard Wagners vierteiligen „Ring des Nibelungen“ zusammenzustreichen, liegt zugegebenermaßen irgendwie in der Luft. Entsprechende Versuche führen bei der eingeschworenen Gemeinde aber wohl doch eher zur Skepsis. Es gibt ganz ernsthafte Versuche. Vor neun Jahren hätte es beinahe sogar mal Wagners Urenkelin Katharina im Teatro Colón in Buenos Aires gewagt. Und dann doch einer argentinischen Kollegin überlassen. Im Theater an der Wien hat Tatjana Gürbaca vor vier Jahren aus dem Vier- einen Dreiteiler gemacht. Als diskursive Bereicherung der Rezeptionsgeschichte waren beide Versuche respektabel. Wobei sich die Mehrheit der Fans dann doch wieder nach der vollen Dosis der Nibelungensaga sehnen dürfte. Wenn es geht, sogar unter den authentisch unbequemen Bedingungen in Bayreuth.
Eine Ausnahme unter der Zusammenfassungen lieferte 1992 die Ausnahmeerscheinung der deutschen Humoristen: Vico von Bülow (1923–2011) alias Loriot hat aus seiner Vorliebe für Wagner einen Loriot-Ring an einem Abend gemacht, dem man sich als Kenner der Materie mit ungetrübtem Vergnügen hingeben kann und der für Ring-Neulinge zugleich als Einführung taugt, die Lust aufs Ganze macht. 1992 hatte Loriot aus dem Sechzehnstünder für das Nationaltheater Mannheim einen reichlichen Dreistünder gemacht.
Da die Oper Leipzig für das nächste Jahr ohnehin den ultimativen Wagner-Event mit sämtlichen 13 Wagneropern plant, liegt die Idee, das nicht allzu üppige Online-Angebot der Leipziger Oper mit einer gestreamten Liveproduktion von Loriots Ringversion zu schmücken. Als kleine Entschädigung für die in Leipzig in diesen Tagen eigentlich vorgesehen Tetralogie.
TV-Moderator Axel Bulthaupt übernimmt die Postion von Loriot und führt durch den Stream des Rings an einem Abend. Das Gewandhausorchester spielt unter der Leitung von Ulf Schirmer in voller Besetzung. Die Aufführung wird am Abend vorher live gefilmt und steht ab dem 17.4.21, 18 Uhr, online 48 Stunden unter www.oper-leipzig.de zur Verfügung.
Mit von der Partie sind Solisten, die für Wagner 22 vorgesehen sind: Daniela Köhler ist die „Siegfried“-Brünnhilde, Lise Lindstrom „Walküre“-Brünnhilde und Iréne Theorin die Wotanstochter der „Götterdämmerung“. Iain Paterson ist der Wotan in der „Walküre“. Elisabet Strid und Magnus Wigilius sind die Sieglinde und Siegmund und Michael Weinius ihr Sprößling Siegfried.
Ein Satz wie: „Die Täter im gewaltigsten Drama der Musikgeschichte sind eigentlich ganz nette Leute.“ ist so ein Satz, den man sich unwillkürlich in Loriots eigenem Tonfall vorstellt. Und wenn der feine Humor Lords auf die unfreiwillige Komik von Wagners stabgereimter Dichtung trifft, schlägt das Zusammentreffen Funken. Und tauchen Wagner mit Humor in ein liebevolles Licht.
[Joachim Lange]
Bridge Over Troubled Water – der Brückenlockdown – Rockdown mit BERND BEGEMANN & DIE BEFREIUNG
Samstag, 17.4.2021, 18:30 Uhr @ KNUST via dringeblieben.de
Die Supersause mit digitaler Brause von „Bernd Begemann und die Befreiung“ mit Stargästen! Dringeblieben.de wird das Konzert live streamen. Man kann sich sogar über den Live-Chat Lieder wünschen. PUNKT! Also, ich werde den Termin nutzen, diesen legendären Sänger, der einfach nur Lieder macht, endlich live, wenn auch aus der Ferne zu erleben. Der gebürtige Ostwestfale Bernd Begemann, dessen Lebensmittelpunkt seit Jahrzehnten in Hamburg ist, gilt als Frauenversteher Numero 1 in Deutschland. Wenn jemand die Seele dieses Landes begriffen hat und in Worte und Töne zu fassen versteht, dann ist es Bernd Begemann.
[Martin Hufner]
Theater Heidelberg: Alban Berg – „Lulu“
Live-Videostream via dringeblieben.de, Infos auf der Theaterwebseite
Axel Vornam, Intendant des Theaters Heilbronn, inszeniert die gern von Schauspielregisseuren übernommene Zwölftonoper „Lulu“ von Alban Berg nach Frank Wedekinds Doppeltragödie „Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“ im Marguerre-Saal des Theaters Heidelberg. Ein dem Corona-Ausnahmezustand geschuldeter Sonderfall ist die Aufführung der zweiaktigen Fassung in einer Gesamtbearbeitung von Eberhard Kloke für Soli und Kammerorchester, weil auch mittelgroße Theater für die kürzere Fassung meistens Bergs originale Instrumentation verwenden. Neben der von Friedrich Cerha nach dem Tod von Bergs Witwe Helene vollendeten und ergänzten Bearbeitung des dritten Aktes erstellte Kloke eine modulare Bearbeitung, die nur originales Material von Berg verwendet und verschiedene Einrichtungen für den Theatergebrauch ermöglicht. In der einmaligen Live-Übertragung des Theaters Heidelberg, die danach nicht in Mediatheken verfügbar sein wird, dirigiert GMD Elias Grandy. Die musikalisch anspruchsvolle und darstellerisch fordernde Titelpartie singt Jenifer Lary. Der Dirigent Hartmut Haenchen nannte „Lulu“ eine „Oper über die Scheinmoral sich in Sicherheit wiegender Bürger“.
[Roland H. Dippel]
Bis 2. Mai
Tonlagen – 30. Dresdner Festival für zeitgenössische Musik
Videostreams live und on demand auf der Festivalwebseite
Auch das Dresdner Tonlagen-Festival bewegt sich als Mix aus Livestreams, online-Diskussionen, Filmdokus, Konzert-Aufzeichnungen und verheißungsvollen Verschiebungen im COVID-19-Modus. Drei große Blöcke präsentieren im April, November und Februar 2022 das Programm. Spektakuläre Produktionen wie die „Ø-Trilogie“ von Trond Reinholdtsen, ein neues Musiktheater von Helmut Oehring oder das Musical der Punk-Poeten PISSE warten noch auf eine Normalisierung der Rezeptionsbedingungen.
Nachdem es in der ersten Festivalwoche noch relativ klanglos zuging, geht es nun musikalisch in die Vollen: Zunächst am 17.4. (sowie am 25.4.) um 20:30 Uhr mit dem Konzert von Ensemble Modern und Carsten Nicolai aka Alva Noto und der Live-UA von „Xerrox Vol. 4“. Nicolai hatte bereits 2007 in „utp_“ mit dem Ensemble Modern zusammengearbeitet, um Elektronik und progressiven Instrumentalklang zu mischen. Im vierten Teil seiner „Xerrox“-Reihe, die sich mit den strukturellen Möglichkeiten und ästhetischen Konsequenzen eines prinzipiell unendlichen Reproduzierens und Kopierens von musikalischem Daten-Material auseinandersetzt, wurde das elektronische Setting komplett ins Ensemble transformiert. Das Auftragswerk der Frankfurter Positionen wird im Rahmen einer Video- und Lichtinstallation zunächst aus Frankfurt gesendet.
Ein Schwerpunkt des Festivals in diesem Jahr liegt auf der Musik der ehemaligen DDR und deren sträflich vernachlässigten Komponisten: Am 18.4. (20:00 Uhr) gibt es live über YouTube die Uraufführung (!) von Paul-Heinz Dittrichs „Memento Malum“ (1985–98), eine Adaption von Paul Celans „Todesfuge“ für zwei 16-stimmige Vokalgruppen seitens AuditivVokal Dresden, die in Dittrichs lange vergessener Auseinandersetzung mit der Shoa alle Register avancierter Vokalpraxis ziehen müssen.
Soweit die Höhepunkte im Zeitraum vom 16. bis 22. April. Nicht zu vergessen natürlich, die tägliche Realisierung von Cages 4’33’’ als klang-konzeptueller ‚Frühsport’ (stets um 10:00 Uhr).
[Dirk Wieschollek]