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„Der Sturz des Antichrist“ an der Oper Leipzig. Foto: Kirsten Nijhof/Oper Leipzig
„Der Sturz des Antichrist“ an der Oper Leipzig. Foto: Kirsten Nijhof/Oper Leipzig
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Vom Ich zum Wir? Viktor Ullmanns „Der Sturz des Antichrist“ an der Oper Leipzig

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Die Zeile unter dem Titel aufhorchen: „Bühnenweihfestspiel in drei Aufzügen, Text von Albert Steffen“. Was da unter dem Titel von Viktor Ullmanns „Der Sturz des Antichrist“ zu lesen ist, erweist sich als ein Versprechen und eine Warnung (oder Drohung) zugleich. Die Oper Leipzig hat mit diesem Werk eine Spielzeit eröffnet, die es - neben allen Jonglierkünsten um die Hygienemaßnahmen herum - auch so schon in sich hat.

Es ist die Spielzeit, mit der Ulf Schirmer sein großes Wagner-Finale zelebrieren, mit dem er sich aus Leipzig verabschieden und seinem Nachfolger Tobias Wolff die Verantwortung fürs Leipziger Opernhaus übergeben will. Das Bühnenweihfestspiel schlechthin ist bekanntlich Wagners „Parsifal“. Sehr getragen und reflektiert, auf seine ganz eigene Art mit religiösem Anspruch, mit gewaltigen Chorszenen und aus der christlichen Überlieferung erwachsen, als eine Erlösungsgeschichte, die heutzutage in vielerlei Hinsicht interpretierbar ist.

Ullmanns Werk stammt aus dem Jahre 1935. Dass es erst 50 Jahre später in Bielefeld uraufgeführt wurde, ist eine Folge des Zivilisationsbruchs durch die Nazis. Das Leben des auf Erfolgskurs komponierenden, 1898 geborenen österreich-ungarischen Juden endete 1944 mit seiner Ermordung in Auschwitz. Vor allem durch seine 1942 im KZ Theresienstadt entstanden Oper „Der Kaiser von Atlantis“ ist er auf den Opernbühnen präsent. Dass sich die Oper Leipzig jetzt seines großformatigen Hauptwerkes annimmt, ist schon dieser Historie wegen, ein Verdienst (eins, das sogar an die Ambitionen der Nachwendeintendanz von Udo Zimmermann anknüpft!).

Musikalisch ist es eine Entdeckung, die das Gewandhausorchester unter der Leitung von Matthias Foremny großformatig und mit Hingabe zelebriert. Wie eine  gerade noch erkennbare Spiegelung von Wagners „Parsifal“ wälzt sich das Parlando, türmen sich die Klanggebirge. Es scheinen aber auch Bezüge und Inspirationen der Musikgeschichte und von Ullmanns Zeitgenossen auf. Da auch exzellente Protagonisten beisammen sind, hilft diese ja fürs Gesamtkunstwerk wesentliche Seite des Abends über den mit herber Poesie versetzten Aufguss eines krude anthroposophischen Textes von Albert Steffen (1884-1963) hinweg. Wer mit gängigen Maßstäben von Rationalität oder traditionell christlicher Metaphorik an den Text im Einzelnen herangeht, mag sich fragen, ob er mehr verstanden hat, als wenn in einer Fremdsprache ohne Übertitel gesungen worden wäre.

Davon abgesehen, was im Detail nachvollziehbar ist, verweigert sich die Hauptlinie des Plots einem Zugang dennoch nicht. Für einen tyrannischen Regenten mit Allmachtsfantasien gab es damals wie heute Entsprechungen in der Wirklichkeit. Dass Thomas Mohr verletzungsbedingt vom Rollstuhl aus singt und der Regisseur in auf der Bühne vertritt, fügt sich problemlos ein. Der Versuch des Herrschers, einen Techniker (Kay Stiefermann), einen Priester (Dan Karlström) und einen Künstler (Stephan Rügamer) in seinen Dienst zu zwingen, ist ja keineswegs aus der Luft gegriffen. Dass der Techniker mit einer Raumkapsel die Schwerkraft überwinden, der Priester - wie Jesus - per Wunder den Hunger abschaffen und der Künstler den Regenten verherrlichen sollen, und damit scheitern müssen, ist durchaus auch ein Fazit des zwanzigsten Jahrhunderts. Am Ende stürzt der zum Antichristen gewordene Regent selbst in die Tiefe. Das Ensemble ergänzen Sebastian Pilgrim als sonorer Wärter und Martin Petzold als Ausrufer und der von Alexander Stessin einstudierte Chor.

Regisseur Balázs Kovalik und sein Ausstatter Stephan Mannteuffel sparen nicht an Weite und Futurismus für die Inszenierung. Der Rundhorizont imaginiert einen Tagebau – die Hebe- und die Drehbühne leisten ihre Dienste und wenn sich eine gewaltige Bodenplatte Richtung Schnürboden abhebt oder sich senkt, mutet das Ganze wie eine unheimliche Begegnung der Dritten Art an. Wenn man sich nicht an der kruden Wortakrobatik des Textes verhakt, ist es eine mit einer hellsichtigen Vision und der Kraft eines Komponisten, dem der Weg in seine Zukunft brutal verbaut wurde.  Viel anerkennender Beifall für alle Beteiligten!

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