Sucht man im Internet nach Definitionen für „Kulturaustausch“, stößt man relativ schnell auf eine Webseite mit dem klingenden Namen „www.blutgraetsche.de“, die sich mit großem Einsatz dem Fußballgeschehen der Republik widmet. Dort erfährt man unter dem Stichwort „Kulturaustausch“ von einer merkwürdigen Begegnung eines HSV-Anhängers in der Gästekurve des Kaiserslauterner Stadions mit drei Japanern, die stolz ihre T-Shirts mit dem Aufdruck „Miro Klose Fußballgott“ vor sich her tragen. Auf den verdatterten Hinweis, dass dies das falsche Hemd sei, zumal beim HSV doch Naohiro Takahara, Japans berühmtester Fußballexport, spiele, nicken und lachen die drei Japaner nur, ihr Unverständnis auf sympathische Weise verbergend. Dabei hatte der Hamburger Fan gar nicht so Unrecht.
Takahara löste bei seiner Ankunft in Hamburg ein mindestens ebenso großes Medieninteresse in Japan aus wie der heutige Bundestrainer Jürgen Klinsmann bei seinen Auftritten für die Tottenham Hotspurs Mitte der neunziger Jahre in England. Damals hatte der blonde Stürmer solch ungeahnte Sympathie-Wellen ausgelöst, dass selbst erfahrene deutsche Kulturmittler sich fragten, wozu ihre Arbeit eigentlich diene, wenn ihnen in Jahrzehnten nicht gelänge, was ein Fußballer binnen weniger Wochen schaffe: Emotionen entfachen.
Inzwischen zeigt sich allerdings, dass Stereotype doch hartnäckiger sind als kurzfristige Sympathiewogen. Eine Umfrage in England ergab in diesem Sommer, dass die überwiegende Mehrheit der Briten trotz aller entgegengesetzter Nachrichten Deutschland immer noch mit Autobau und einer florierenden Wirtschaft assoziiere. Und auf der Beliebtheitsskala landet Deutschland – Klinsmann hin, Kulturaustausch her – immer noch zuverlässig auf dem letzten Platz. Eingefahrene Wahrnehmungsmuster lassen sich eben nur sehr schwer beeinflussen.
Aber die Sympathiewerbung ist auch gar nicht die vorrangige Aufgabe von Kulturaustausch. Wie könnte es andernfalls zusammenpassen, dass Deutschland, einerseits, wie die amerikanische „Newsweek“ kürzlich vermeldete, der weltweit beliebteste Wirkungsort junger, aufstrebender Künstler ist, andererseits immer noch mit einem biederen Image zu kämpfen hat? „New German Art“ verkauft sich zur Zeit bestens in den USA und ändert doch nichts daran, dass Amerikaner nach wie vor Adolf Hitler für den berühmtesten Deutschen halten.
Seit den siebziger Jahren, als die erste Phase bundesdeutscher Auswärtiger Kulturpolitik, die bis dato ganz im Zeichen der Versöhnung und Vertrauensbildung im Ausland stand, zu Ende ging, steht der Kulturaustausch in erster Linie im Dienste einer besseren Völkerverständigung. Die staatliche Selbstdarstellung, also die Vermittlung eines positiven, vielfältigen Deutschlandsbildes, ist dagegen in den Hintergrund getreten und macht vor allem im vereinten Europa nur noch wenig Sinn. Weder braucht man deutsche Kulturorganisationen für den Deutschunterricht (dafür können die überall vorhandenen Schulen schon selbst sorgen), noch bedarf es an inhaltlicher Aufklärung durch staatliche Mittlerorganisationen.
Das heißt aber längst nicht, dass Kulturaustausch überflüssig geworden ist. Ganz im Gegenteil. Aller wirtschaftlichen Vernetzungen zum Trotz ist man sich in Europa kulturell längst nicht so nahe gekommen, wie die europäische Anfangseuphorie in den fünfziger Jahren hätte vermuten lassen. So ist der Anteil französischer Filme in deutschen Kinos seit den achtziger Jahren von fast 20 Prozent auf 1,7 Prozent gesunken. Um den deutschen Film ist es in Europa, abgesehen vom Erfolgsfilm „Good Bye, Lenin“, nicht besser bestellt. Sein Anteil an französischen Kinokassen ging in den vergangenen Jahren gegen Null. Ein Trend, der sich für ganz Europa feststellen lässt: Fast nur Hollywoodproduktionen locken die Zuschauer grenzüberschreitend vom Fernsehschirm zur Kinoleinwand. Die Zeiten, als halb Europa auf „den neuen Chabrol“ wartete, sind vorbei, und somit auch die Zeiten, als europäische Filme den Europäern Geschichten aus dem Nachbarland nahe brachten – in den Augen des deutschen Regisseurs Volker Schlöndorff geradezu eine „zivilisatorische Katastrophe“.
Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auf dem Musikmarkt feststellen. Der „Figaro“ unkte gar angesichts der bevorstehenden Verschmelzung der Musikkonzerne BMG und Sony, dass es bald überhaupt keine deutschen Sänger mehr im Ausland zu hören geben werde, wenn sich Deutschland nicht zu einer ähnlichen Quote durchringen würde wie Frankreich, wo 40 Prozent der im Radio gespielten Songs nationaler Herkunft sein müssen. Eine Schutzmaßnahme, die sich natürlich auch gegen deutsche Produktionen richtet.
Auch beim Literaturaustausch und sogar bei den gegenseitigen Sprachkenntnissen sieht die Lage ähnlich aus – vom Englischen einmal abgesehen. Wir brauchen also auch innerhalb Europas nicht weniger, sondern mehr Kulturaustausch. Wir brauchen keinen Euro-Film, sondern mehr Aufmerksamkeit für die kulturellen Produktionen der Nachbarländer. Das ist nicht nur eine Frage des Marketings und des Vertriebs, sondern auch eine Frage der Information über die Medien.
Grenzüberschreitende Fernsehsender gibt es, abgesehen von Arte, Eurosport und einigen Erotiksendern, kaum. Auch europäische Koproduktionen wie „Napoleon“, die ein großes Publikum finden, bilden aus Kostengründen eine Ausnahme. Und was Tageszeitungen und Wochenzeitschriften angeht, so sind sämtliche Versuche, europaweit publizierende Medien ins Leben zu rufen, gescheitert. „Die Europäer reden viel übereinander, aber wenig miteinander“ beklagt der ehemalige Chefredakteur des Londoner „Guardian“, Peter Preston, die fehlende Dialogkultur. Ein Mangel, der auch eine gravierende politische Glaubwürdigkeitslücke nach sich ziehe: „Die Union wächst, doch wo bleibt die Presse, die sie zur Verantwortung zieht?“
Jeder weiß: Ein europäisches Publikum kann man genauso wenig wie den europäischen Film im Labor kreieren. Aber das erfolgreiche Erasmus-Programm – über eine Million Austauschstudenten haben an diesem Hochschulprogramm teilgenommen – zeigt, wie wirkungsvoll Kulturaustausch sein kann. Wenn es gelingt, Europa in Schule und Hochschule durch integrierte Auslandsaufenthalte und vielleicht auch etwas mehr Landeskunde im Fremdsprachenunterricht erfahrbarer zu machen, sind wir schon ein ganzes Stück weiter.
Sebastian Körber ist Chefredakteur der Zeitschrift für Kulturaustausch, www.ifa.de/zfk/