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Festival-Glanz und Musik-Alltag – taktlos 166. Foto: Martin Hufner
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Wagner-Jahr abgebrochen, Festspielhaus Baden-Baden wird Luxus-Factory-Outlet: taktlos 166 – die Nachrichten

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Dresden: Das sogenannte „Tal der Ahnungslosen“ wird von der UNESCO zum musikalischen Weltkulturerbe erhoben. Nur wenige Voraussetzungen sind noch zu erfüllen. Die Semperoper ist komplett mit Blattgold zu ummanteln. In der Frauenkirche muss dank Akustik-Segeln ein trockenes Renaissance-Klangbild generiert werden. Und selbstverständlich wird jede Darbietung von Musik, die nach 1890 komponiert wurde, im gesamten Dresdner Raum strengstens verboten.

Berlin: Athen. Das Urheberrecht wird komplett außer Kraft gesetzt. Grund: Arbeitslose griechische Finanztheoretiker haben bewiesen, dass die Zahl „Pi“ jede nur denkbare Content-Kombination enthält. Übertragen in international gültige Maschinensprache bedeutet dies: jedes bislang denkbare künstlerische Produkt der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sei es Text, Bild oder Musik, war und ist bereits vorhanden – und wird es immer sein. „Sogenannte Kreativität – eine Chimäre, ein wertloses läppisches „Pi“-Teilchen“ – jammerte GEMA-Chef Harald Heker – und zog sich auf seine kürzlich günstig erworbene Privatinsel Zypern zurück.

taktlos 166 - die nachrichten from Martin Hufner on Vimeo.

Leipzig: Das Richard-Wagner-Jahr wird abgebrochen. Grund dafür sind Erkenntnisse eines Leipziger Brahmsforschers, der die Geburts- und Taufdokumente Wagners mit den neuesten Analysemethoden untersuchte: Das Geburtsdatum ist offensichtlich gefälscht. Wagner kam nicht am 22. Mai 1813 sondern am 29. Februar 1812 auf die Welt. Die durch Rasuren in den Dokumenten entstandenen Fehlinformationen stammen von seinem Vater, dem Polizei-Aktuarius Carl Friedrich Wagner selbst. Über die Motivation der Fälschung gibt es nur Spekulationen: Betreuungsgeld, Kindergartenplatz, steuerliche Vorteile. Oder einfach die Tatsache, dass der 29. Februar die Ausrichtung von Kindergeburtstags-Parties zu einem logistischen Problem werden ließ. Sender, Verlage CD- und DVD-Produzenten rechnen nun verzweifelt nach, wie und wann sie ihre üppigen Wagner-Erzeugnisse noch loswerden. Der nächste schlüssige Termin läge im Jahr 2312…

Berlin: Der Deutsche Städtetag beschloss soeben die Auflösung sämtlicher Stadttheater-Klangkörper. „Orchester mit festangestellten Musikern passen weder künstlerisch noch finanziell in unsere Zeit“ - so der Chef des Deutschen Bühnenvereins Rolf Bolwin. Da die Probenzeiten für Aufführungen gewerkschaftsbedingt ohnedies schon wegfallen, müsse man auf ein einheitlich gewachsenes Klangbild von Orchestern auch keine Rücksicht mehr nehmen: Ein Orchester klänge in seinen Ohren wie das andere. –. Folglich reiche es aus, den Spielbetrieb mit Aushilfen zu bestreiten, die sich spontan zu kollektiven musikalischen Ich-AGs ergänzen. Vorbildlich und erfolgreich sei das Modell am Stadttheater Wolfsburg umgesetzt, wo man mittlerweile ganz ohne Orchester und Publikum auskommt und damit eine schwarze Null schreibt.

Baden-Baden: Mit einer kultur-kommerziell sensationellen Neuerung wartet der Intendant des Kurstadt-Festspielhauses Andreas Möhlich-Zebhauser auf: Weil sein konzertpädagogisch über Jahre konsequent geprägtes Publikum nach jüngsten Umfragen viel lieber shoppen geht als Musik zu hören, wandelt er das dafür ohnedies bestens geeignete Gebäude in ein Luxus-Factory-Outlet um. Das Sortiment reicht vom Krüger-Rand bis zum Baby-Robben-Paletot, von der Gänse-Stopfleber bis zur Vermittlung bulgarischer Adoptivkinder. „Natürlich kommt die Musik nicht zu kurz“ – so Möhlich-Zebhauser. „Für unser exquisites Publikum dirigiert als Hintergrund-Klanglieferant Christian Thielemann ein Streichquartett, das dezente Transkriptionen aller Wagner-Opern darbietet“.

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