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Sarah Maria Sun, Boris Grappe und die Schola Heidelberg in „Wasser“ von Arnulf Herrmann bei der Münchener Biennale. Foto: Regine Körner
Sarah Maria Sun, Boris Grappe und die Schola Heidelberg in „Wasser“ von Arnulf Herrmann bei der Münchener Biennale. Foto: Regine Körner
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Widergänger im Hotel, Dellen im Soundtrack: „Wasser“ von Arnulf Herrmann bei der Münchener Biennale

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Ein verwunschenes Hotel, ein leckes Aquarium, eine dezentrierte Schallplatte: das sind einige der Elemente, aus denen Komponist Arnulf Herrmann, Librettist Nico Bleutge und Regisseurin Florentine Klepper mit „Wasser“, der letzten Münchener Biennale-Uraufführung, eine atmosphärische, filmnahe Studie über Identitätsverlust entstehen lassen.

Ein Mann namens Robert erwacht in einem Hotelzimmer, um sich kurz darauf – angelockt von einer Kinderstimme – in einem nicht minder traumverlorenen Szenario wiederzufinden. In der Lobby trifft er auf nicht weniger als vier Widergänger und auf eine zwischenzeitlich zum Zimmermädchen camouflierte Frau (Katja), mit der ihn eine vage angedeutete Beziehung zu verbinden scheint.

So wenig äußere Handlung sich abspielt, so wenig Text zu hören ist, so prägnant charakterisiert Komponist Arnulf Herrmann doch die 13 Stationen dieses somnanbulen Bewusstseinsstroms, in dem das Wasser als Chiffre für die versunkenen Bindeglieder zwischen Vergangenheit und Gegenwart sowie zwischen den Protagonisten steht. Spätestens als ein Mitglied der vierköpfigen „Ich-Truppe“ (O-Ton Florentine Klepper) eine Vinylscheibe auflegt und eine Tenorarie dazu anstimmt, gerät man in den Sog seiner immer wieder spriralartig wuchernden Sequenzbildungen. Denn diese LP läuft nicht rund; jaulend verzerrt sie das aufgezeichnete Material zu einem deformierten Klangband, in dessen Dellen sich nach und nach die live gespielte Musik festsetzt.

Die strenge Sonettform, die Herrmann seinem Textdichter, dem Lyriker Nico Bleutge, hier vorgegeben hat und die dieser mit einer Heiner-Müller-Überschreibung eingelöst hat, bildet das Rückgrat eines verstörenden, gleichzeitig aber mit seiner nostalgischen Färbung merkwürdig tröstlichen Zustands.

Ähnliches gilt für die folgende Tanzmusik, bei der die eiernde Platte nunmehr in Gestalt eines herrlich hinkenden Schlagzeugrhythmus weiterwirkt, während die Blechbläser nicht minder verkorkste Swingeinwürfe beisteuern. Weitere Elemente, mit denen Herrmann einzelnen Szenen eine charakteristische Färbung verleiht, sind die abgrundtiefen, dabei aber erstaunlich distinkt bleibenden Töne des Kontraforte, die mit Wasser gefüllten Klangschalen, deren dumpfes Flirren von der Live-Elektronik in den Raum hinein vergrößert wird, und vier riesenhafte Klaviersaiten: Von der Decke senkrecht nach unten gespannt, werden sie von den vier Doubles des Protagonisten vor allem in den drei instrumentalen „Wassermusiken“ gezupft. Als überlebensgroße Tropfen landen diese Töne – ähnlich der schwarzen Tinte, die das Aquarium färbt – im Klangtümpel und lösen konzentrische Kreise aus.

Dass einige der vom links auf der Bühne postierten Ensemble Modern unter Hartmut Keil bravourös servierten Klangkonstellationen den variiert wiederkehrenden Szenen entsprechend mehrmals wirksam werden, sorgt für einen Zusammenhalt innerhalb der gut einstündigen Großform. Als übergreifendes musikalisches Gestaltungsmerkmal ist darüber hinaus der Umgang mit Vierteltönen von entscheidender Bedeutung, ein Prinzip, dem auch die Gesangslinien unterworfen sind. Oft instrumental gestützt, steuern die Sänger auch größere Intervalle inklusive einer Vierteltonabweichung an. Die durchaus kantable Stimmführung gerät so ebenfalls in den für die ganze Partitur kennzeichnenden Sog des Uneigentlichen. Überragendes leistet hierbei das Ensemble mit Boris Grappe, Sarah Maria Sun und den Mitgliedern der Schola Heidelberg Sebastian Hübner, Jörg Deutschwitz, Georg Gädker und Tobias Schlierf.

Regisseurin Florentine Klepper verwandelt die abstrakte Vorlage, durchaus nicht unpassend zu Herrmanns immer wieder zupackender Musik, in ein recht handfestes Bühnentableau. Adriane Westerbarkey hat ihr dafür ein Interieur entworfen, das so wirkt, als hätte Anna Viebrock einen Job bei David Lynch angenommen. Das aus den 50er- oder 60-Jahren übriggebliebene Hotel – einzig die Münzfernsprecher mit Wähltasten sind etwas jüngeren Datums – schafft eine angemessen unbehagliche Atmosphäre. Die Nähe zu einer Filmkulisse wird durch die handwerklich beeindruckenden, dramaturgisch aber wohl entbehrlichen Videosequenzen (Heta Multanen) unterstrichen: In Schwarz-Weiß-Ästhetik wandeln wir durch das hier noch surrealer (unter anderem mit Man Rays Metronom) bestückte Hotel, folgen dem musikalisch nur per Einspielung präsenten Kind, nachdem es vom Plattenteller aufblickt, und sehen das Paar in der im hinteren Bühnenbereich auch szenisch angedeuteten Tiefgarage in einer Pose inniger Zweisamkeit.

Auf der Bühne geschieht nichts dergleichen. Während Katja zu ohrenzerfetzenden Piccolotönen nach vorne in Roberts Zimmer abtritt, legt dieser sich, nach einer zu einem zertrümmerten Blech-Choral abgelieferten Schlussszene im Hotelfoyer auf der ausgezogenen Couch schlafen. Als Grableuchten stellen ihm seine Doubles Lampen ans Kopf- und ans Fußende.

Auf eine überraschende Wendung, einen vielleicht auch ironischen, wiederum filmisch gedachten „Twist“, auf den nicht nur die Regie, sondern vor allem auch Arnulf Herrmanns Musik lange Zeit neugierig macht, wartet man somit vergebens. Der Großteil des Publikums in der Muffatthalle schien diesen aber nicht zu vermissen. Die Zustimmung war entsprechend.

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