Jetzt stehe ich schon seit drei Wochen im Vernehmungs-Kokon der CIA in Berlin-Dahlem, Tiefgeschoß. Direkt unter dem sogenannten Institut für Friedensforschung der Freien Universität. Kokon ist ziemlich wörtlich zu nehmen. Die Zelle hat etwa einen Quadratmeter Fläche und ist ungefähr zwei Meter hoch. Das Licht brennt dauernd. Einzige – wenn man so will – Abwechslung bieten die täglichen Ausflüge in den Waterboarding-Room oder zum sogenannten „Lügen-Detektor“, der wirklich widerliche Stromschläge austeilt. Dabei bin ich natürlich völlig unschuldig. Und das Ganze begann auch noch mit einer von diesen blöden Fortbildungsveranstaltungen meines Brötchengebers, des Bundes-Innenministeriums (BMI).
Es ging da vor einem guten halben Jahr um Datensicherheit und Datenschutz. Als Hauptreferent war der Bundesbeauftragte zu solchen Sachzwängen, Peter Schaar angetreten. Ein elender Langeweiler. In einer Art historischem Rückblick nannte er das Buch „1984“ des den Älteren unter uns vielleicht noch bekannten Krypto-Kommunisten George Orwell einen längst überholten Historien-Schinken. Fanatisch warnte er dann vor der aktuellen Daten-Sammelwut von Apple, Google und Co. Diese Form von Paranoia ist grade im BI nicht gut gelitten – aber: Erkenne Deinen Feind, durchschaue ihn, stelle ihn kalt!
Ich selbst war ja seit meiner vorläufigen Beschäftigung auf Bewährung beim BI zum Fan des Bundestrojaners bekehrt worden und arbeitete grade an einer Einführungs-Strategie für die postgeburtliche Chip-Implantation. Ähnlich wie schon bei Hunden, Katzen, Ratten erfolgreich getestet, wird jedem frischen Erdenbürger ein kleiner programmierbarer Speicher unter die Fontanelle gepflanzt – samt GPS, Diagnostik- und Finanz-Modul. Das schafft unglaubliche steuersparende Verwaltungs-Vereinfachungen: Im Gesundheits-Sektor, im Sozial- und Fiskal-Wesen, von Sicherheits-Aspekten ganz zu schweigen. Jedwede Diskussion um den „Bildungs-Chip“ wäre dank dieses minimal-invasiven Eingriffes ebenso obsolet wie der kostspielige Ankauf von Bankdaten-CDs in der Schweiz, oder die komplette Krankenkassen- und Renten-Reform. Von den aufwändigen Flughafen-Kontrollen mal ganz abgesehen…
Neu war mir die Information, dass eben Apple, Google und Co sozusagen auf freiwilliger privatwirtschaftlicher Basis zumindest alle Bewegungsdaten samt den dazugehörenden Konsum-Gewohnheiten auf ihren Smartphones schon festhalten und sich zufunken. Hoppla, dachte ich – und Vorsicht: Alles brauchen die über mich, den nachweislich mündigen, freien und pflichtbewussten Bürger ja auch nicht zu wissen. Deshalb deponierte ich mein i-Phone während meiner monatlichen Wochenend-Ausflüge in die Charlottenburger Entspannungs-Oase „Mai-Lingh“ sicherheitshalber im Handschuhfach meiner Lebensgefährtin Annelie unter dem Service-Heft ihres Audi Q 7. Wir sind ein tolerantes, liberales, erwachsenes Paar, das sich bei aller Liebe viel Freiheit lässt. Und so fand ich es sehr anständig, dass sich Annelie an diesen, manchmal auch verlängerten Wochenenden immerfort rührend um ihre Mutter in einem Dorf bei Ansbach kümmerte.
Dachte ich, bis ich eben neulich nachts zuhause einen grausigen Krach hörte. Vermummte schwarze Gestalten zerrten mich aus dem Bett, warfen mich auf den Boden, stülpten mir einen Sack über den Kopf – und transportierten mich ab. Es handelte sich, wie man mir kurz darauf, da noch im Roten Rathaus in Anwesenheit meines Anwaltes mitteilte, um eine völlig legale Aktion des Bundes-Nachrichtendienstes. Bundesgesetzlich korrekte Amtshilfe für die CIA.
Im Rahmen einer Routine-Kontrolle meiner Bewegungsdaten bei Apple hatte man festgestellt, dass ich seit einem halben Jahr monatlich wenigstens ein Wochenende im geheimdienstlich bestens bekannten Al-Quaida-Trainingscamp Leutershausen (bei Ansbach) verbrächte. Und das als Geheimnisträger des Bundes-Innenministeriums. Es sei zudem nicht besonders vertrauenerweckend, dass meine Lebensgefährtin namens Annelie offensichtlich in dieser Zeit einer nicht gerade gutbürgerlichen Tätigkeit im Berliner Luxusbordell „Mai-Lingh“ nachginge. Aber das wäre als demokratisch-akzeptierte Privatangelegenheit wenigstens nicht strafbar. Sie hätte damit jedenfalls ein Alibi und wäre aus dem Schneider. (Tja, auch ich hatte nie unter das Service-Heft im Handschuhfach meines Porsche Cayenne geguckt…).
So sitze ich hier jetzt unschuldig. Mit Hinweis auf eine im Rahmen von Elektroschocks angekündigte Hafterleichterung – und/oder aus Ersparnisgründen? – hat man mir mein privates i-Phone ohne jede Anästhesie und ohne Akku tief in den Oberschenkel implantiert. Als elektronische Fußfessel, als Bewegungsmelder. Es gibt einen dünnen, unkaputtbaren Draht nach oben. Aber zu kurz zum Erhängen. Unter groben Schmerzen konnte ich immerhin das Touch-Pad knapp über dem Knochen freikratzen. Und ich hoffe jetzt, dass irgendjemand diese SMS doch noch empfängt. Bitte helfen Sie mir. Ich bin unschuldig. Dies ist ein Notruf. Holt mich hier raus. Ich habe ein oranges Nachthemd an…
Theo Geißler