Eigentlich müsste man sich freuen, wenn mehr Geld in der Kasse ist. Man gewinnt dadurch Gestaltungsspielraum – kann Dinge überdenken, korrigieren, neu gewichten. Die am 1. Januar 2013 erfolgte Umstellung von geräteabhängiger Rundfunkgebühr zu haushaltsgebundenem Rundfunkbeitrag hat entgegen aller Erwartungen nicht Mindereinnahmen, sondern ein deutliches Plus von 1,146 Milliarden Euro gebracht.
Die Ministerpräsidentenkonferenz, die am 13. März 2014 unter dem Vorsitz von Winfried Kretschmann in Berlin tagt, muss nun entscheiden, was man mit dem großen Überschuss macht. Die KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten) schlägt vor, die Hälfte der Summe durch eine Senkung des Rundfunkbeitrags um 73 Cent ab 1.1.2015 an die Beitragszahler zurückzugeben, die andere Hälfte als Rücklage zu behalten.
Der Südwestrundfunk hat sich dabei im Vorfeld besonders laut verrechnet. Im Januar 2013 kritisierte SWR-Justiziar Hermann Eicher einen Bericht der Bild-Zeitung, in dem Mehreinnahmen prognostiziert wurden, als „grob falsch und irreführend“. Im November des gleichen Jahres hat SWR-Intendant Peter Boudgoust Spekulationen über hohe Mehreinnahmen in einem Brief an seinen Rundfunkrat klar zurückgewiesen. Nun sind die Mehreinnahmen da. Boudgoust freut sich aber immer noch nicht darüber, sondern ändert blitzartig seine Argumentation und lässt verlauten, dass man auf dieses Geld gar keinen Zugriff habe. Das ist allerdings nur halb richtig, weil dies nicht von ihm, sondern von der Ministerpräsidentenkonferenz entschieden wird. Ab 2017 kann der SWR ohnehin einen neuen Bedarf bei der KEF anmelden.
Das seltsame Verhalten des Intendanten
Das seltsame Verhalten des Intendanten erklärt sich aus der Vorgeschichte. Die prognostizierten Mindereinnahmen und der damit in Zusammenhang stehende Spardruck auf den Sender waren das wichtigste Argument für Boudgoust, im Jahr 2012 die heftig kritisierte Fusion des SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart innerhalb weniger Monate senderintern durchzusetzen. Geplant ist ab Herbst 2016 ein gut ausgestattetes Sinfonieorchester mit Sitz in Stuttgart, das „eine große Bandbreite der Interpretation pflegen“, einen Schwerpunkt auf Neue Musik setzen und „in ein, zwei Jahren an der Spitze ankommen soll“, wie Johannes Bultmann, der neu engagierte SWR-Gesamtleiter für Klangkörper und Festivals, beim Amtsantritt versprach. Erstaunlich, dass Bultmann ernsthaft der Überzeugung ist, aus zwei sehr guten, annähernd gleich großen Orchestern in kurzer Zeit ein noch Besseres machen zu können. Größe allein schafft noch keine Qualität, sondern bringt in dieser Konstellation im Gegenteil viele Probleme mit sich, wenn beispielsweise vier Solobläser ständig um zwei Stellen konkurrieren. „Wir kennen kein Orchester von Rang, das seinen Ursprung in einer Fusion hat“, schrieb Simon Rattle, Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, an SWR-Intendant Peter Boudgoust. Da man beim Sender betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen hat, muss die Reduzierung der Stellenzahl von gegenwärtig rund 200 auf die angestrebten 119 durch natürliche Fluktuation erreicht werden. Junge Musikerinnen und Musiker werden auf Jahre hinaus nicht mehr eingestellt, es sei denn, die Stimmgruppen sind nicht ausreichend besetzt. Mit dem Überangebot von Orchestermitgliedern möchte Bultmann, so ist aus Orchesterkreisen zu hören, neben dem großen Sinfonieorchester zwei Ensembles einsetzen, die auf Alte beziehungsweise Neue Musik spezialisiert sind – was nach dem gegenwärtigen Tarifvertrag gar nicht geht, weil das Orchester höchstens zweimal pro Saison geteilt werden darf. Das Ganze erinnert mehr an eine ABM-Maßnahme als an ein schlüssiges Konzept.
Unsinnige Konkurrenz
Man stünde dann in direkter Konkurrenz zu Spezialisten wie dem Freiburger Barockorchester, obwohl die meisten SWR-Musiker kaum Erfahrung in historischer Aufführungspraxis haben und auch nicht die passenden Instrumente dafür besitzen. Ein Profil des geplanten Fusionsorchesters ist nicht zu erkennen. Die anvisierte Zahl von 90 Konzerten pro Saison, die dem Rundfunkrat für den Fusionsbeschluss am 28. September 2012 vorgelegt wurde, würde sich eher auf 70 einpendeln anstatt der rund 130, die von beiden Orchestern gegenwärtig pro Saison gespielt werden. Von diesen 70 sind bereits rund 40 durch die Abonnementreihen in Stuttgart und Freiburg sowie den garantierten Auftritten bei den Donaueschinger Musiktagen und den Schwetzinger Festspielen belegt. Da blieben nur noch circa 30 Konzerte im Jahr übrig, um sich international zu präsentieren, im Sendegebiet Präsenz zu zeigen und Jugendprojekte anzubieten. Ein viele Jahre lang aufgeblähtes, atmosphärisch belastetes Orchester, das kaum Konzertreisen machen könnte und in seiner Heimat fast nur noch in den Abonnementstädten Stuttgart und Freiburg zu hören sein würde – das ist weder künstlerisch überzeugend noch politisch vermittelbar.
Das Stiftungsmodell
Während der Orchestervorstand des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart sich schnell mit der geplanten Auflösung seines Orchesters abfand und sogar in einer den Freiburger Kollegen präsentierten Briefvorlage an den Südwestrundfunk bereits im Januar 2012 eine Vollfusion vorschlug, formierte sich beim SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg starker Widerstand. Der Verwaltungsrechtler Friedrich Schoch, Mitglied des Orchesterfreundeskreis, entwickelte nach dem Vorbild der Bamberger Symphoniker ein Stiftungsmodell, das den Fortbestand des im Bereich der Neuen Musik weltweit wichtigsten Klangkörpers unter der Einbeziehung zusätzlicher Träger wie Land und Kommunen sichern könnte. 160 Dirigenten, 148 Komponisten forderten in offenen Briefen eine Rücknahme der Fusion, was durch eine Ausstiegsklausel im damaligen Rundfunkratsbeschluss problemlos möglich wäre.
Initiative der Politik
Seit diesem Jahr haben auch Politiker ihre Stimme erhoben. Eine parteienübergreifende Initiative, die von 41 badischen Landtags- und Bundestagsabgeordneten unterschrieben wurde, setzt sich für den Erhalt des SWR-Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg ein. Am 13. Februar 2014 rief der baden-württembergische Landtagsausschuss für Wissenschaft, Forschung und Kunst den SWR dazu auf, er solle „Modelle prüfen und entwickeln, die alternativ zur geplanten Fusion der beiden Sinfonieorchester des Sendes geeignet sind, den Weiterbestand der beiden Klangkörper als eigenständigen Einrichtungen zu ermöglichen.“ Dass der angesprochene Intendant sich nur wenige Stunden danach in einer Stellungnahme dagegen verwahrte und sich dabei auf die „grundgesetzlich garantierte Rundfunkfreiheit“ und die Mehrheitsbeschlüsse seiner Gremien berief, zeugt nicht gerade von Souveränität.
Lippenbekenntnisse
Bisher sind die politischen Statements allerdings nur Lippenbekenntnisse geblieben. Die grün-rote Landesregierung unter Ministerpräsident Kretschmann hat sich bislang völlig aus der Diskussion herausgehalten, dabei hat sie den fragwürdigen Fusionsbeschluss des SWR in dessen Gremien mitgetragen. Mit den Staatsministern Silke Krebs (Bündnis 90/Die Grünen) und Peter Friedrich (SPD), der allerdings gegen die Orchesterfusion gestimmt hat, finden sich zwei Regierungsmitglieder im 15-köpfigen SWR-Verwaltungsrat. Auch im 74-köpfigen Rundfunkrat ist das Land mit zwei Staatssekretären und acht Landtagsabgeordneten vertreten, von denen Alexander Salomon und Charlotte Schneidewind-Hartnagel (beide Bündnis 90/Die Grünen) gegen die Fusion stimmten. Dass sich in der Landeshauptstadt Stuttgart ab 2016 wie bereits jetzt drei A-Orchester drängen, in Freiburg aber das einzige A-Orchester abgezogen wird, sorgt im badischen Landesteil für Missstimmung, die durch die Schieflage der Musikförderung noch verstärkt wird. Die Landesförderung musikalischer Einrichtungen liegt nämlich in Württemberg mit 1,65 Euro pro Einwohner gegenüber 0,83 Euro in Baden fast doppelt so hoch. Für seine Mitverantwortung „wesentlicher kulturpolitischer Missstände und Fehlentscheidungen“ in Baden-Württemberg erhält Ministerpräsident Kretschmann auf der kommenden Frankfurter Musikmesse den Antipreis „Musik-Gordi“ in Form einer verknoteten Blockflöte. Noch kann der gordische Knoten zerschlagen werden. Dafür müsste der seit 2011 amtierende, bedächtige Landesvater, der im Wahlkampf eine Politik des Zuhörens versprach, nur die Ohren spitzen. Und sich die mit schwammigen Zahlen begründete, künstlerisch hochproblematische Fusion einmal genauer anschauen, bevor es dafür zu spät ist.
Zu diesem Text erreichte uns eine Stellungnahme des Orchestervorstands des RSO Stuttgart, die wir hier nachfolgend veröffentlichen.
Sehr geehrter Herr Koch, sehr geehrte Herausgeber der NMZ,
es ist für uns nicht nachvollziehbar, warum wir als RSO Stuttgart in Ihrer Zeitung immer wieder Unterstellungen die Fusion betreffend ausgesetzt werden.Herr Rudiger schreibt:
„Während der Orchestervorstand des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart sich schnell mit der geplanten Auflösung seines Orchesters abfand und sogar in einer den Freiburger Kollegen präsentierten Briefvorlage an den Südwestrundfunk bereits im Januar 2012 eine Vollfusion vorschlug…“Herr Rudiger hätte den Kontakt zu uns suchen können, dann wäre eine solche Verdrehung der Tatsachen nicht passiert. Hier wird mit einem Satz unser Orchester und die gesamte Arbeit der letzten zwei Jahre unserer Unterstützer (eines immerhin über 1500 Mitglieder großen Freundeskreises) diskreditiert. Diese Berichterstattung als Folge schlechter oder voreingenommener Recherche kann nicht im Sinne einer Zeitung sein, die sich für (Musik-) Kultur engagiert. Sie entspricht schlichtweg nicht den Tatsachen. Man könnte auch von bösartigen Unterstellungen sprechen. Macht das die Situation denn besser?
Sie wissen auch, dass wir seit einiger Zeit eine realistische Einschätzung unserer Situation kommunizieren. Das hat einfach damit zu tun, dass alle Informationen, alle Äußerungen von Politikern und der SWR-Führung, aber auch die Botschaften derer, die sich gegen die Fusion engagieren, seit mittlerweile ca. 20 Monaten immer die gleichen sind. Geändert hat sich Nichts. Es ist doch Niemandem gedient - auch nicht Ihrer Leserschaft - wenn man vorgaukelt, es wäre noch Etwas in Bezug auf die Orchester zu retten. Im Gegenteil: Sollte das fusionierte Orchester zusätzlich zu den ohnehin vorhandenen Schwierigkeiten weiter belastet werden, sind nicht nur zwei hervorragende Ensembles Geschichte, sondern auch die Nachfolge-Institution nicht in der Lage das Beste aus der Situation zu machen, nämlich so viel Orchesterkultur zu repräsentieren wie möglich. In Baden-Württemberg gibt es sonst überhaupt kein Sinfonieorchester, das sich auch im Bereich der neuen Musik engagiert. Das kann doch nicht das Ziel einer Kampagne der NMZ sein, zumal alle Musiker beider Orchester in diesem Orchester spielen werden. Es ist eben nicht mehr die Frage, ob es das Orchester geben wird, sondern ob daraus ein Orchester wachsen wird, welches dem Publikum klassische Musik auf höchstem Niveau bieten kann.
Sie könnten durch eine differenziertere Darstellung der Problematik einen wichtigen Beitrag für die Orchesterkultur in Baden-Würtemberg leisten.
Dass man das Beste aus einer schwierigen Situation macht, bedeutet ja noch lange nicht, dass man mit den Ursachen die zu der Situation geführt haben, einverstanden ist.
Wir vertrauen auf Ihre Unterstützung und eine in Zukunft faire Berichterstattung.
Mit freundlichen Grüssen,
Fionn Bockemühl, Axel Schwesig, Christoph Skupin (Orchestervorstand RSO)