Gut nur, dass Carla Henius das nicht erlebt hat. Die Bühne des Kleinen Hauses am MIR hergerichtet als Talkshowstudio mit den Versatzstücken der Late Night. Sesselchen, Beistelltisch fürs Wasserglas, am Rand postiert – die „Band“. Sieben Musiker der Neuen Philharmonie Westfalen im weißen Smoking. Herzlich Willkommen zu „Feeds. Hören TV“.
Nur, dass von „Fütterung“ wie Johannes Kreidler übersetzt, keine Rede sein kann. Neugierig kommt man, hungrig geht man. Dazu um die Erkenntnis reicher, dass die Kinder, die bei RTL die Schulbank gedrückt haben, mittlerweile reif sind für den vom NRW-Kultursekerariat verwalteten „Fonds Experimentelles Musiktheater“. Mit großem Ehrgeiz hatte man diesen 2005 neu eingerichtet, nachdem sein Vorgänger, der „Fonds Neues Musiktheater“ im normalen Subventionstheateralltag an Profil verloren hatte. „Wichtige neue Impulse für die zukünftige Opern- und Theaterarbeit“ versprach man sich insbesondere von der Förderung offener Konzepte. Form sollte werden, nicht länger nur vorgegeben sein. Musik, Text, Szene sollten in wirklichem Austausch stehen. Im Horizont dieser schönen Idee die leuchtenden Vorbilder der Theater- und Operngeschichte.
So gesehen muss es das Geheimnis der Jury bleiben – Amelie Deuflhard, Paul Esterhazy, Heiner Goebbels, Hans-Peter Jahn – weshalb man schon mit der sechsten Produktion die selbst aufgestellten Regeln in den Wind schlug. Johannes Kreidler jedenfalls macht seinerseits kein Geheimnis daraus, dass er mit einer fertigen Partitur angereist ist. Dass ihn, wie er sagt, die Fexm-Vorgängerproduktionen nicht „überzeugt“ hätten, ist natürlich sein gutes Recht. Nur, inwiefern der gute Fonds-Geist die beanspruchte Ämterhäufung – Komposition, Regie, Moderation – beglaubigt, ist nur eine der offenen Fragen. Eine andere begegnet in Gestalt der gastgebenden Gelsenkirchner Bühne. Denn da auch MIR-Intendanz und Dramaturgie es vorgezogen haben, mit vornehmer, jugendfördernder Zurückhaltung zu glänzen, standen die Zeichen günstig für einen Crash. Der gelang tatsächlich. Mit viel Schwung sogar. Binnen einhundert Minuten werden in „Feeds. Hören TV“ fünf „Themen“, die Kreidler auch „Sendungen“ oder „Akte“ nennt, durchgefönt.
Liveprojizierend wird das Innenohr abgehört, Streichquartett-Partituren von Wolfgang Rihm zerrissen, mahnend Mahnkopf zitiert, eine Porno-Queen nach ihrem besonderen Klangmix befragt, Studiogäste wie im realen TV-Leben durch den Kakao gezogen und 1001 Versionen von Heavy Metal durchgenommen, was wir überzeugender auch schon bei Harald Schmidt gesehen haben. Nur eben noch nicht mit dem Moderator Johannes Kreidler auf einer realen MIR-Bühne, wobei es sich der vor Selbstbewusstsein strotzende Autor dem Programmheft zufolge allen Ernstes als Verdienst zurechnet, „dass der Komponist den ganzen Abend seine Arbeit theatralisch vertritt“. Habe es angeblich „noch nie gegeben“. Selbst wenn es stimmen würde – wo sollte der ästhetisch-sittliche Mehr- und Nährwert liegen, wenn sich ein mit 30 Jahren auch nicht mehr ganz so junger Komponist als Talkmaster durch einen Theaterabend dilletiert?
Kein Zweifel. Johannes Kreidler muss sehr oft in der ‚ersten Reihe’ gesessen sein. Bis zum heutigen Tag, so sagt er, ackert er allmorgendlich „das halbe Internet durch“, um in dasselbe besagte einhundert Minuten „Feeds“ live zu streamen, was heute auch schon jeder tut, der auf seine Modernität hält. Verständlich, dass für derartige Fütterungsaktionen natürlich kein altertümliches „Libretto“ mehr benötigt wird. Selbstredend hat Kreidler eine „Texterin“, die, wiederum laut Programmheft, als Leowee Polyester „in eigener Praxis als Bewusstseinstherapeutin“ arbeitet und „synästhetischen Kunststoff“ herstellt. Oder so ähnlich.
Alles ist Maskerade, das „Eigene“ eine Illusion von vorgestern, sagt Kreidler, um daraus sein Maskenspiel, sein Bekenntnis zur „Remix-Kultur“ abzuleiten. Nur auf den Anspruch, Musiktheater zu machen – darauf möchte und kann er dann doch nicht verzichten. Es ist die Nabelschnur, an der der auf dem Ironietrip mäandernde Künstler glücklicherweise immer noch hängt, wofür auf offener „Feeds“-Bühne die sieben Solisten der Neuen Philharmonie Westfalen stehen. Die freilich haben vor allem zwei Aufgaben. Erstens, gute Miene zum bösen Spiel zu mimen. Zweitens, auf Kreidlers Wink kreidlersche Musikhäppchen abzusondern. Mehr dürfen sie nicht. Immerhin – über den versammelten Schwachsinn davor und danach könnte man gut und gern mit einem Lächeln hinwegsehen, wenn nur die Musik an diesem quälenden MIR-Theaterabend einmal gehörig den Aufstand proben und ihre Zähne zeigen würde. Fehlanzeige. Nichts dergleichen geschieht. Peinlich vielmehr, wenn Herr Talkmaster den Geiger Wladimir Petroschenko zum verrückten Finale einen Kammerton spielen lässt, nur um dazu vollmundig die Postmoderne für „beendet“ zu erklären. Zum Schenkelklopfen.
Weitere Termine:
25.9., 20:00
26.9., 18:30