Da ist Musik drin: „Hard Working! Hard Selling!“ ist die Devise des multinationalen Konzerns „Gen & Brain“, der einen Super-Chip, vorstellt: Direkt ins Gehirn implantiert, erlaubt das Gedankenlesegerät seinem Träger, rund um die Uhr online zu sein. Alfred Zellinger, früher als Manager bei verschiedenen Konzernen tätig, konzipierte in den 80er-Jahren ein Stück über die Regelhaftigkeit von Wirtschaftskriminalität und den Eingriff in eine der intimsten menschlichen Zonen.
Das Libretto versuchte sich in einer ‚beißenden‘ Mischung aus Wirtschafts-, Werbe- und Mediensprache. Ihr gesellt sich die erklärtermaßen eklektizistische Musik von Franz Koglmann zu. „Experimentierlust“ reklamiert der Komponist für diese neue Musiktheaterarbeit, die sich zum Crossover bekennt. Das Ergebnis sei, schreiben die Veranstalter, „ein schonungsloser Wirtschaftskrimi – mit dem unwiderstehlich sinnlichen, swingenden ‚Koglmann-Touch‘“.
Das Versprechen, dass ein „Krimi“ zur Oper geadelt werde, war freilich nicht ernst gemeint. Den Auftakt der Wiener Festwochen bildete ein Schauspiel mit Musik (in der entfernten Tradition der frühen Opéra comique oder des im 18. Jahrhundert gepflegten deutschen Singspiels). Allerdings avancierte das Projekt zu einer Art Lehrstück mit einigen heiteren Komponenten. Grundlage war Zellingers Theaterstück „Das Spiel der Konzerne“ (uraufgeführt 1990): Anhand der Geschäftspraktiken im Vorstand des Konzerns „Gen & Brain“ wird die Verwerflichkeit der Global Players vor Augen und Ohren geführt. Vier Charaktere prallen bei einer speziellen Schulungssitzung der Top-Manager aufeinander: der klassische verbissene „Kämpfer“, der in militärischen Kategorien denkt und spricht; als sein Opponent ein Softie, dem als lockeren Virtuosen der Team-Arbeit und Experten der umsatzrelevanten Image-Fragen die Zukunft gehört; zwischen ihnen die dynamische und supereffiziente Frau, die aufgrund der Gattungsspezifik ganz nach oben will, sowie der Zentrist, der den Willen des Generaldirektors umsetzt. Ein wahrhaft sympathisches Kleeblatt. Die brutale Unterordnung unter das Geschäftsmodell und die Konzern-Philosophie – und konkurrierend dazu die jeweiligen Karrierehoffnungen und -maßnahmen.
Der Umzug in die Kaffeepause (d.h. auf die Hinterbühne, auf der das Orchester sitzt und wo eine lange Theke wartet) gewährte dem Publikum nicht nur eine erholsame Phase mit Möglichkeit zur Selbstdarstellung, sondern führte unter viele ovale Flachbildschirme, auf der die Protagonisten, ihre Intrigen und allzumenschlichen Bedürfnisse nun sehr nahe rücken. Aber auch das Unternehmensziel – die Durchsetzung des neuen Superchips mit all den sich daraus ergebenden Konsequenzen. Gegen die erhebt schließlich die Sprecherin einer Nichtregierungsorganisation mit dem seit den 60er-Jahren bewährten Megaphon Einspruch – und die sekundierenden Mitglieder der NGO tanzen als Affenbande um die strenggläubige Vorbeterin. Da steht sich gegenüber, so mag die Szene gedeutet werden, was im Grunde doch zusammengehört: Die siegreiche Dynamik des Menschheitsfortschritts und die Kritik am verbissenen Verbessern der Schöpfung, der auf reformistischen Pfoten gewisse Sozial- und Umweltverträglichkeiten nachbessern kann.
Das, was der Trompeter und Komponist Franz Koglmann beisteuerte, ist funktionale, in weiten Zügen tonale Schauspielmusik – dem durchmischten Realismus und „Lehrstück“-Charakter des Stücks womöglich recht angemessen. Der Instrumentalpart wurde vom Ensemble „die reihe“ unter Leitung von Carsten Paap ausgeführt. Die Musiker hatten allerdings hörbar keine Reihen zu absolvieren. Der Satz changiert zwischen Stilen aus verschiedenen Epochen und Genres von der Ars Nova im Spätmittelalter bis zur aktuellen Pop-Musik, zu Jazz, Rock und Noise. Koglmann ordnete sein Schaffen (in einem Rundfunk-Interview) vorab in die worldwide History of Music ein, verdammte das Schaffen von John Cage als Irrweg, pries Leonard Bernstein als Vorbild und damit indirekt auch die „Musical comedy“ als Form und Forum, um größere Teile der Bevölkerung zu erreichen. Von einem konsistenten Musical, wie es Bernstein z.B. mit dem aufklärerisch inspirierten „Candide“ vorgelegt hat, ist Koglmanns Theatermusik allerdings doch ein paar Seemeilen entfernt.
Wie der Text so waren auch das Gestühl und die Tische bei der Wochenendkonferenz des Konzerns „Gen & Brain“, die Kostüme und die Firmen-Embleme, die Michael und Nora Scheidl der Handlung zudachten, dem Stil und Geschmack der 80er-Jahre nachempfunden. Dies unterstrich, dass es sich um so etwas wie Retro-Science-Fiction handelte. Eine hübsche Volte entwickelt der G&B-Generaldirektor im Zuge des Kampfs um weltweite Marktführerschaft: Zur Aushebelung rechtlicher Vorbehalte gegen die Anwendung des Chips im menschlichen Gehirn erklärt er die hochsensiblen Produkte ebenso wie die Träger zu Kunstwerken und schlägt die Umwandlung des Konzerns in eine sozial und umweltpolitisch engagierte Stiftung vor.
Das Stück präsentiert – bis hin zum Ausspionieren der Mitarbeiter, zur feindlichen Übernahme und zum Insiderhandel – nichts, was man nicht aus den Zeitungen wüsste. Da man aber so vieles auch wieder vergisst oder verdrängt, ist es ja durchaus nicht deplatziert, in gefälliger Form erinnert zu werden. Laut- und bildstark belustigt sich die Produktion über die Sexualmoral der Amerikaner und signalisiert: da hat es der Österreicher besser. Das war ein Extra-Bonbon fürs Auditorium.