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Stephen Owen (Ritter Blaubart), Christopher Busietta (Werner) und Mark Bowman-Hester (Josua) in der Augsburger Reznicek-Produktion. Foto: A.T. Schaefer
Stephen Owen (Ritter Blaubart), Christopher Busietta (Werner) und Mark Bowman-Hester (Josua) in der Augsburger Reznicek-Produktion. Foto: A.T. Schaefer
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Zu wenig dunkle Faszination: Reznicek-Ausgrabung und Schreckminuten im Theater Augsburg

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Ergraute Stardirigenten liebäugeln mitunter damit, als finale Aura „am Pult zu sterben“. Schrecksekunden um Augsburgs nur rund 40jährigen Generalmusikdirektor Dirk Kaftan: Zusammenbruch im 3. Akt der Premiere „Ritter Blaubart“, Sturz vom Pult, Absterben der Musik, Vorhang. Schrecken auch im Zuschauerraum, dann relative Beruhigung durch Intendantin Juliane Votteler: Kaftan bei Bewusstsein, Theaterarzt bei ihm, Notarzt in Anfahrt. Banges Warten – schließlich Diagnose: Schwächeanfall aufgrund einer kursierenden Virus-Infektion zuhause in der Familie Kaftan, Übernahme durch den Assistenten Luigi Sgambaro. Zum Schlussapplaus kamen beide Arm in Arm auf die Bühne.

„The show must go on“ hatte in diesem Fall einen weiteren Aspekt: Emil Nikolaus von Rezniceks Musikdrama „Ritter Blaubart“ stand nach der Uraufführung 1920 bis 1931 auf etlichen Spielplänen – danach nicht mehr. Angesichts derzeit kursierender „Kulturinfarkt“-Vorwürfe à la „Zuviel vom ewig Gleichen“ lieferte das Theater Augsburg den Gegenbeleg: nach 81 Jahren das Werk auszugraben und theatralisch zu befragen. Rezniceks war von dem Schauerdrama seines Zeitgenossen Herbert Eulenberg um den seine Frauen mordenden, dennoch stets neue Kandidatinnen faszinierenden Edelmann, der seine Untaten hinter geheimnisvollen Türen verbirgt, angetan. Seine Komposition zeigt eine beeindruckende klangfarbliche Bandbreite von lyrischer Intimität und Zartheit um die beiden letzten Opfer Judith und Agnes über disharmonische Schärfen für dramatische Zuspitzungen hin zu nachwagnerianischen Ballungen – all dies glänzend musiziert.

Doch als Ganzes klingt das Musikdrama theatralisch seltsam „unökonomisch“. Mehrere orchestrale Aufschwünge und Höhepunkte finden keine Handlungsentsprechung, münden eher unmotiviert in lyrische Passagen. Um Blaubart selbst ertönt zu wenig düstere Faszination. Die langen Zwischenspiele zeigen Rezniceks kompositorisches Können parallel zu Mahler, Strauss und Wagner - aber nicht mehr - und stören eher den dramaturgischen Fluss. Aus heutigem Zeitgefühl heraus wirkt das Werk „zu lang“.

Diese Schwächen konnten Regisseur Manfred Weiß und Video-Designer Patrick Metzger nicht überwinden. Zwei kreisende Metallgerüst-Halbrunde samt wehenden Vorhängen formten kein Monstrositätenkabinett. Einem anfänglichen gelungenen Video mit gespiegelten Zimmerfluchten folgte keine kafkaeske Mörderburg, sondern viel undramatisch Banales. „Zwischen Mensch und Rätsel bin ich gestellt“ singt Blaubart, ohne dass aus den überwiegend naturalistischen Spielzügen über eine Ahnung von Stummfilm-Expressionismus hinaus eine Weitung ins schlicht Gruselige oder abgründig Symbolistische oder gar faszinierend Dämonische erfolgte.

So sang Bariton Stephen Owen einen fast gemütlichen Lustmenschen und die Gefahren für die sechste Frau, Sally du Randts klangschöne Judith, für ihre Familie und für ihre Schwester Agnes als siebentes Opfer (reizvoll Katharina von Bülow) blieben schlicht. Ausgrabungsergebnis: Wenn „Blaubart“, dann lächelnd gerne Offenbach, unbedingt Bartok und immer wieder den Ernst-Lubitsch-Film „Blaubarts achte Frau“.

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