Am vergangenen Sonntag ging MaerzMusik, das Berliner Festival für aktuelle Musik, zu Ende. Vorwiegend experimentell und interdisziplinär ging es dabei dieses Jahr unter dem Themenkomplex „Klang Bild Bewegung” zu. Dies offensichtlich zur Freude eines außergewöhnlich diversen Publikums, wenn sich auch naturgemäß nicht jedes Experiment als eindeutiger Treffer herausstellte.
Als eines der wohl gelungensten interdisziplinären Unterfangen erwies sich die Serie “Neue Musik zu alten Filmen”. Der Komponist begegnet bei dieser Aufgabe der Herausforderung, nicht nur das Filmgeschehen musikalisch zu durchleuchten, sondern auch die Distanz eines heutigen Publikums zum historischen Filmmaterial zu reflektieren und auszuloten. Die uns so ferne Theatralik des Stummfilms nicht der Lächerlichkeit preiszugeben, ist dabei eine oft fühlbare Gratwanderung, die für eine Dauerspannung sorgt. Frappant ist vor allem die Unterschiedlichkeit des Umgangs verschiedener Komponisten mit ihren Vorlagen.
Die vom Ensemble Modern gespielte Partitur von Martin Matalon zu Fritz Langs Kultfilm Metropolis (1927) präsentiert sich als Filmmusik par excellence. Der etwas absurden Situation, eine drei Generationen zurückliegende Zukunftsvision glaubwürdig in Musik umsetzen zu müssen, begegnet der Komponist mit der Flucht nach vorne und spart nicht an instrumentalen Mitteln, Stilen und Motiven jeglicher Art. Der Monumentalität des Films entsprechend baut Matalon eine bombastische, hyperpräsente zeitgenössische Klangkulisse auf, die sich wahlweise auch Elementen aus Jazz, Rock und Elektronik bedient, um auf diese Weise Effekte zu erzielen, die explizit für ein Publikum mit historischer Distanz interpretierbar sind. Solche Stil-Referenzen haben für ein heutiges Publikum zwar eine assoziativ differenzierte Aussagekraft, das Bewusstsein einer historischen Objektschau bleibt dabei aber stets erhalten.
Ganz anders der Fall von „Taki no shiraito” (Die weißen Fäden des Wasserfalls, 1933), des japanischen Regisseurs Kenji Mizoguchi: Subtil, poetisch und mit einem großen Vertauen in die Modernität ihrer Filmvorlage geht hier die Komponistin Misato Mochizuki vor. Ihr Sinn für Zeit und Stille lassen Momente im Film magisch hervortreten wie ein atmosphärisches Barometer. Es tritt eine Intimität lebendig und zerbrechlich in den Raum, die zeitliche und kulturelle Distanz streckenweise vollkommen auflöst.
Mizoguchis Film erweist sich zudem keineswegs als veraltet in seiner Thematik: eine junge Schauspielerin verliebt sich in einen armen Kutscher und stellt ihm Mittel für ein Jurastudium im fernen Tokio zur Verfügung, ohne eine Gegenleistung zu erwarten - „Nur ein bisschen Aufmerksamkeit”, wie sie sagt. Die unerwartete und doch widersprüchliche Emanzipiertheit der Protagonistin in ihrem traditionellen Umfeld macht sie zu einer Figur, die weit über die Entstehungszeit des Films von Relevanz und Interesse ist. In diesem Spannungsfeld zwischen Historizität und Aktualität öffnet die Serie „Neue Musik zu alten Filmen” der Musik hermeneutische Perspektiven und bringt wertvolle filmische Dokumente zurück ans Tageslicht – und damit in ein neues Licht.