Die Orgel ist das Instrument des Jahres 2021. Erhalt und guter Klang haben in Ostbrandenburg Tradition. Es gibt drei Orgelbaufirmen, einen Sachverständigen, 350 Instrumente sowie ein großes Interesse, die Bekanntheit in der Öffentlichkeit zu erhöhen.
Eine etwa 80 Zentimeter hohe Konstruktion aus Eichenholz steht auf dem Tisch vor Michael Schulz, das Instrument des Jahres 2021. Erst bei näherem Hinschauen lassen sich hölzerne Pfeifen, Klaviatur und Windlade entdecken. „Das ist unsere mechanische Baukastenorgel. Die lässt sich mühelos in ihre Einzelteile zerlegen, ist aber auch spielbar“, erklärt der Geschäftsführer der Orgelbaufirma Sauer aus Müllrose (Oder-Spree).
Im Sommer vergangenen Jahres hatte das Traditionsunternehmen die Mini-Orgel gebaut, um damit auf Nachwuchswerbung zu gehen. „Das Interesse an Musik und Instrumenten wird im Kindesalter geweckt. Deshalb gehen wir gezielt in Schulen“, sagt Schulz. Noch vor wenigen Jahren hatten sich Orgelbaufirmen der Region – allein im Raum Frankfurt (Oder) gibt es drei – ihre Lehrlinge unter vielen Bewerbern aussuchen können.
„Diese Zeiten sind vorbei, der Fachkräftemangel hat auch uns erreicht“, sagt Schulz, der im vergangenen Jahr keinen geeigneten Orgelbau-Azubi für die Firma gewinnen konnte. „Heute wollen junge Leute nicht mehr wochenlang auf Montage gehen, wenn die restaurierten oder neu gebauten Instrumente in Kirche oder Konzerthaus eingebaut oder vor Ort gereinigt werden“, macht er deutlich.
Um so mehr freut sich Schulz, dass die Orgel, oft auch als Königin der Instrumente bezeichnet, von der Konferenz der Landesmusikräte in Deutschland zum Instrument des Jahres 2021 ernannt wurde, um sie bekannter zu machen. „Das hat sie auch verdient. Denn sie ist nicht nur das antiquierte Kircheninstrument, sondern musikalisch so vielfältig – ein Wunderwerk aus Pfeifen und Tasten“, sagt der Sauer-Geschäftsführer.
Das Interesse für Orgeln soll mit unterschiedlichsten Projekten in diesem Jahr neu geweckt werden, einerseits für die Nachwuchsgewinnung, anderseits für den Erhalt der teilweise sehr alten Instrumente als Kulturgut, bekräftigt Konstanze Sander, Generalsekretärin des Brandenburger Landesmusikrates. Seit 2017 sind Orgelbau und -musik als immaterielles Unesco-Kulturerbe anerkannt.
Bei Konzerten könnten es aber deutlich mehr Besucher sein, sagt der Frankfurter Kantor und Orgelsachverständige Martin Schulze. „Die Musik, die auf diesem größten Instrument der Welt spielbar ist, ist alles andere als altmodisch. Das hat selbst der Nachwuchs beim Wettbewerb „Jugend musiziert“ schon bewiesen“, meint der Kirchenmusiker, der in der warmen Jahreszeit deutschlandweit per Fahrrad unterwegs ist, um Orgeln in Gegenden zu spielen, wo es keinen eigenen Organisten gibt. „Kein Instrument ist wie das andere und deshalb immer eine Herausforderung, die mich antreibt“, sagt der 53-Jährige. Insofern sei der Fokus auf das Instrument des Jahres durchaus zu begrüßen.
Natürlich sei das Erlernen des Orgelspiels etwas umständlicher als das Musizieren auf Geige oder Klavier, das Schüler zu Hause üben könnten, gibt Schulze zu. „Doch viele Organisten unterrichten gern in Kirche oder Konzertsaal.“ Und ständiges Üben sei wichtig: sowohl für den Musiker, als auch für das Instrument, spricht der gebürtige Berliner aus eigener Erfahrung.
„Die beweglichen Teile der Orgel aus Holz, Metall und Leder dürfen nicht fest werden, müssen in Bewegung bleiben“, erläutert er. Wenn er nicht gerade musiziert oder Rad fährt, ist Schulze als Orgelsachverständiger in Ostbrandenburg unterwegs, berät Kirchengemeinden oder Kommunen zwischen Oderberg und Forst. „Ich schaue mir die Instrumente an, sage was daran zu reparieren oder zu säubern wäre und schlage Werkstätten vor“, beschreibt er seine Arbeit.
Etwa 350 Orgeln gibt es laut Schulze entlang der Oder, mehr als die Hälfte davon entstand zwischen 1850 und 1900, der Hochzeit der romantischen Instrumente des bekannten Orgelbaumeisters Wilhelm Sauer aus Frankfurt (Oder). Sie klingen laut Sauer-Geschäftsführer Schulz „wie ein ganzes Orchester und gehen über das Ohr direkt ins Herz“.
„Allein in Frankfurt stehen 15 bis 20 Instrumente, die meisten sind Sauer-Orgeln. In dieser Dichte gibt es das weltweit nirgends“, meint der Orgelsachverständige Schulze. Die Müllroser Baukastenorgel hat er bereits gespielt, am 1. Januar dieses Jahres zum Auftakt des Programms „Orgelband“ der Landesmusikräte Berlin und Brandenburg. An allen 365 Tagen des Jahres 2021 soll mindestens eine Orgel erklingen.
Der Frankfurter Kantor bestritt gemeinsam mit einem Musikstudenten das Eröffnungskonzert in einer Kirche in Eisenhüttenstadt (Oder-Spree), das aufgrund der Corona-Beschränkungen ohne Publikum stattfand, aufgezeichnet wurde und bei Youtube zu sehen ist. Dabei wurde auch die Mini-Orgel aus dem Hause Sauer vorgestellt.
Die Mini-Ausgabe hat inzwischen das Interesse von Landesmusikrat und Frankfurter Handwerkskammer geweckt, die bei der Müllroser Firma ein weiteres Exemplar bestellt haben. „Der Orgelbauer ist einer der vielseitigsten Handwerksberufe überhaupt. Wir wollen mit der Baukastenorgel in fünf Gymnasien und Oberschulen gehen, das Modell auch auf Lehrberufeschauen und zum Handwerkertag zeigen, um Nachwuchs für die Orgelbaufirmen der Region zu gewinnen“, erklärt Michael Thieme, Sprecher der Frankfurter Handwerkskammer.