Der Zulauf zur jazzahead!, der im Jahr 2006 gegründeten internationalen Fachmesse für den Jazz, ist ungebrochen – und machte auch an diesem Abschlusswochenende die Hansestadt Bremen zu einem Ort fürs präsentieren, debattieren und networken. Mit 969 ausstellenden Firmen und 2.742 Fachteilnehmern ist die Zahl der Besucher aus der Branche erneut gestiegen.
Wer heute auf dem eng umkämpften Musikmarkt Fuß fassen will, braucht für eine gute Selbstvermarktung vor allem eine „optische Bewerbungsunterlage“. Die jazzahead bietet hier den in Bremen ohne Gage ausspielenden Bands und Künstlern ein aufwändig produziertes Video als „Visitenkarte“. 40 Bands waren von der Jury für Auftritte bei „Showcase“-Konzerten ausgewählt worden. In 30 Minuten, so kurz ist das verbindliche Zeitformat dieser Auftritte, muss alles gesagt sein, um bei Bookern, Labelchefs, Medienleuten und dem Publikum eine aussagekräftige Botschaft zu hinterlassen. „In einem Vorstellungsgespräch muss man auch in begrenzter Zeit sein bestes geben“, zog Uli Beckerhoff im Gespräch eine von Pragmatismus gezeichnete Parallele. Die Bedingungen, unter denen Jazz entsteht, wie seine Akteure leben und wie er sich vermarktet, wurden in Bremen gleich in zwei aktuell vorgelegten Forschungsstudien diskutiert.
Die Union Deutscher Jazzmusiker (UDJ) hat bundesweit die Lebens- und Arbeitsbedingen der Jazzer empirisch durchleuchtet. Jetzt steht schwarz auf weiß geschrieben, was sich viele schon dachten: Im Jazz wird viel zu wenig verdient. Jeder zweite ausgebildete Profimusiker muss mit weniger als 1.000 Euro brutto pro Monat über die Runden kommen. Und wo die UDJ eine Gage von circa 200 Euro pro Musiker für angemessen hält, müssen viele mit weniger als 50 Euro nach Hause gehen. Dass die Perspektive für eine Altersversorgung entsprechend düster ist, liegt auf der Hand. All dies bedarf einer schlagkräftigen politischen Debatte in Richtung einer verbesserten Spielstätten- und Musikerförderung!
Aber nicht nur Musiker haben Exis-tenzprobleme. Eine Studie des nrwjazz e.V. bezog in eigenen Erhebungen speziell für dieses Bundesland die Ebene der Konzertveranstalter und auch das Publikum mit ein. Jazz zu veranstalten verlangt nicht selten die Qualifikation eines Konzerthaus-Intendanten, aber die meisten Betreiber von Spielstätten und Clubs agieren ehrenamtlich. Die in Bremen offiziell veröffentlichte Studie zeigt viele Verbesserungspotenziale auf unterschiedlichen Ebenen auf, die auch den Aspekt der engagierten Selbsthilfe ins Zentrum rückt. Zum ersten Mal hat in NRW ein Wirtschaftsministerium eine Jazzstudie unterstützt. Dies ist ein Signal für eine Neubewertung von Kultur, die eben auch als potenter „kreativwirtschaftlicher“ Motor eine Region lebenswert und damit auch unternehmerisch investierenswert macht. Wie unterschiedlich Jazz in den einzelnen Bundesländern aufgestellt ist, wurde in Bremen an den jeweiligen Messeständen deutlich. Am höchsten auf der jazzahead baute der Stand von Baden-Württemberg. Im Musterländle herrschen besonders aufgeräumte Strukturen bei der Jazzförderung, zudem sorgt eine solide geförderte Landesarbeitsgemeinschaft (LAG Jazz) für sinnvolle Kräftebündelung.
Jazzszenen aller Länder vereinigt euch! 60 Länder schickten Vertreter und Delegationen nach Bremen, verwandelten die Messehalle in eine bunte Flaniermeile mit landestypischen Köstlichkeiten und viel Information über die Vielfalt neuer Trends und Einflüsse, die helfen, das Image des Jazz als Kulturform für Integration und Toleranz weiter zu kultivieren. Solche Imagepflege braucht Jazz mehr denn je, um aus einem viel zu oft als Naturgesetz bejammerten „Nischen-Dasein“ selbstbewusst heraus zu treten.
Die jazzahead 2016 machte eindrücklich vor, wie gute mediale Präsenz und eine Akkumulation vieler Akteure an einem Ort den Publikumszulauf in immense Höhe katapultieren kann: Über 15.000 Menschen besuchten nach Angaben der Veranstalter in zwei Messehallen und 35 weiteren Spielstätten Jazzkonzerte!
Stefan Pieper ist Mit-Autor von „Jazz we can“, einer Analyse des Jazz in Nordrhein-Westfalen. Die vom Wirtschaftsministerium NRW geförderte Studie ist beim Verein nrwjazz e.V. erhätlich, www.nrwjazz.net.