Mainz - Noch kann sich niemand den Gesamtklang vorstellen - aber die erste von drei Orgeln bespielt jetzt das romanische Kirchenschiff. Wenn alles fertig ist, sollen 206 Register dort noch nie gehörte Klänge möglich machen.
Mit dem ersten Spiel auf der neuen Orgel hat Daniel Beckmann den Auftakt zur «klanglichen Dreifaltigkeit» gesetzt. So nennt der Mainzer Domorganist das Jahrhundertprojekt einer neuen dreiteiligen Orgelanlage, das nach jahrelanger Vorbereitung nun konkrete Gestalt angenommen hat. Mit insgesamt 206 Registern, also Klangfarben, wird Musik in dem romanischen Bauwerk zu hören sein, die dort bisher noch nie so erklungen ist.
«So wie Gott vollständig Vater, Sohn und Heiliger Geist ist, so werden sich alle drei Teilwerke der Mainzer Domorgel verbinden und ergänzen», sagt der Musiker. «Jedes Teilwerk hat eigene Aufgaben.»
Weil der bisherige Orgelklang im Dom sehr lange nachhallt, sei das singende Gemeindemitglied immer etwas orientierungslos gewesen, sagt Beckmann. Er sei fest davon überzeugt, dass sich der Gemeindegesang mit dem transparenten Klang der neuen Orgel positiv entwickeln werde. Der Standort an der Marienkapelle sei ideal, weil er sich in der Mitte zwischen Westchor und Ostchor des Doms befinde, nah an den Menschen im romanischen Kirchenschiff.
Am Sonntag fand zunächst die Segnung der neuen Orgel statt. «Wenn wir sie nicht gesegnet hätten, hätten wir dem Domorganisten Fesseln anlegen müssen, damit er nicht doch spielt», sagt schmunzelnd Domdekan Heinz Heckmann. Die feierliche Orgelweihe soll erst dann stattfinden, wenn der größte Teil der neuen Orgelanlage aufgebaut ist.
Dazu gehört dann auch eine neue Orgel im Ostchor, im ältesten Teil der Kirche mit der runden Apsis - dort wo die Mainzer vor Corona-Zeiten ihr Marktfrühstück feierten. Diese Orgel, die von der österreichischen Firma Rieger in Vorarlberg gebaut wird, soll bis Sommer nächsten Jahres fertiggestellt werden. Sie steuert 95 der insgesamt 206 Orgelregister bei, an der Marienkapelle können 49 Register bespielt werden. Damit wird die Orgel im Ostchor prädestiniert für die französische Orgelsinfonik sein, etwa für die klanggewaltigen Orgelwerke von Louis Vierne (1870-1937) oder Olivier Messiaen (1908-1992).
Wiederum eine andere Stilistik wird schließlich zuletzt die Orgel im Westchor erklingen lassen, die ebenfalls von Rieger gebaut werden soll und einen Teil der 1928 dort gebauten Anlage des Bonner Orgelbauers Klais integrieren soll. Diese Orgel werde die Ästhetik der deutschen Spätromantik abbilden, erklärt Beckmann. «Ich freue mich darauf, dass man dann alles spielen kann, auch Barockmusik, die hier bisher nicht zufriedenstellend interpretiert werden konnte.»
Es sei durchaus ungewöhnlich, dass zwei Orgelbauer ihre Kräfte bündelten, sagt Goll-Geschäftsführer Simon Hebeisen. «Mit 15 Mitarbeitern wäre ein so großes Projekt wie hier für uns alleine nicht realisierbar gewesen.» Grundlage der Zusammenarbeit sei die Freundschaft mit dem Geschäftsführer des Orgelbauers Rieger in Schwarzach im Vorarlberg, Wendelin Eberle, gewesen. Rieger übernahm auch die Spieltische aller drei Orgeln und die Steuerungstechnik - über verdeckte Kabelverbindungen wird es möglich sein, dass ein Organist alle drei Orgeln gleichzeitig spielt.
Für den Bau der Goll-Orgel an der Marienkapelle fielen nach Angaben Hebeisens mehr als 20 000 Arbeitsstunden in der Luzerner Werkstatt an. «Wenn einer das alleine bauen würde, müsste er 12 oder 13 Jahre lang arbeiten», sagt Hebeisen. Der Aufbau wurde im März 2020 von der Corona-Pandemie unterbrochen - «zähneknirschend sind wir in die Schweiz zurückgefahren.» Erst im August konnte der Aufbau in Mainz fortgesetzt werden. Aber noch in der vergangenen Woche waren Anpassungen der Intonation nötig. «Die besondere Akustik hier im Dom war für uns von Anfang an eine große Herausforderung», sagt Hebeisen. «Bis zu 16 Sekunden Nachhall sind für gewisse Orgelstücke interessant und spannend, für andere eher problematisch, etwa für filigrane barocke Musik.»
Der Klang der Goll-Orgel wartet mit einigen Besonderheiten auf wie einem «Zimbelstern» mit 20 Klangstäben oder 30 Crotales-Bronzescheiben, aus Glockenbronze gegossen. Diese seien in Mainz weltweit zum ersten Mal zu hören, sagt Hebeisen.
Zur Finanzierung des Gesamtprojekts wirbt der Dombauverein noch für Patenschaften für einzelne der insgesamt 14 625 Orgelpfeifen. «Die Mainzer fühlen sich mit dem Dom verbunden, über alle konfessionellen Grenzen hinweg», sagt die Vorsitzende des Dombauvereins, Sabine Flegel. Die neue Orgel sei eine spirituelle Bereicherung - «gerade in einer Zeit, da viele nach Sinn, Lösungen und Einkehr suchen».