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In Köln will das neu gegründete Zentrum für Internationales Kunstmanagement Kultur und Mangagement auf gleicher Augenhöhe vermitteln. Kultur und Wirtschaft gelten in der Moderne als Antipoden und die wirtschaftliche Qualifizierung von Kreativen setzt sich leicht dem Verdacht der Ökonomisierung von Kultur aus:
Dem tritt das am Mittwoch in der Hochschule für Musik in Köln eröffnete Studienzentrum für Internationales Kunstmanagement (Center for International Art Management – CIAM) entgegen.Das vom Kanzler der Kunstakademie Düsseldorf, Prof. Dr. Peter Lynen, geleitete CIAM wurde von der Kunstakademie Düsseldorf, der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf, der Hochschule für Musik in Köln sowie der Kunsthochschule für Medien Köln gegründet und wird seinen Lehrbetrieb im Wintersemester 2006/2007 aufnehmen. Es will jedoch nicht bloß rechtliche Aspekte oder betriebswirtschaftliche Analysetechniken von Bilanzen und Marketing unterrichten, sondern tritt an, Kultur aus wirtschaftlicher Perspektive und Wirtschaft aus kultureller Perspektive vorzustellen. Wessen Kind das CIAM ist, offenbart die Methodik des Unterrichts. So formulierte Prof. Dr. Peter Lynen, Leiter und Gründungsdirektor CIAM, provokant wie entwaffnend: „Wir wissen nicht was Management ist, und niemand kann sagen, was Kunst ist.“ Kultur als kritische Haltung ist der Geist, den das CIAM vorantreibt, um „die Bezüge von Kultur und Wirtschaft wissenschaftlich fundiert zu erarbeiten“ – so Professor Lynen.
Die Verbindung von Wissenschaft und Anwendungsbezug ist für ihn der rote Faden, denn: „Was bisher weitgehend (Anm. des Autors: in Deutschland) gefehlt hat, war ein profiliertes und gleichzeitig wissenschafts- und praxisbezogenes Angebot hinsichtlich der Vermittlungs- und Transferaufgaben in Bezug auf Kunst.“ In der Tradition von Beuys sieht Lynen das CIAM: Der „Wirkbereich“ von Kunst wird erweitert –und damit auch die beruflichen Möglichkeit der Studenten aller vier Hochschulen.
Begriffsinflation „Kultur“
Die erste Vorlesung war sogleich Bekenntnis und Beispiel dieser Methodik: Mit einer (Selbst-)Kritik der Kultur begann Professor Dr. Hans Peter Thurn, Kunstakademie Düsseldorf. Kultur sei ein „ominöser Begriff“ geworden – von der Spaßkultur bis zur Dialog- und Esskultur. Die Inflation des Begriffes „Kultur“ sei jedoch nicht neu – schon Goethe sprach von Weltkultur. Und die Menschen haben in der Tat Kultur auch immer als etwas nicht-künstlerisches gesehen. Leichtfüßig führte Thurn die rund 80 Zuhörer der Eröffnungsvorlesung durch eine Geschichte des Begriffes „Kultur“ – fast mag man von einer Leidensgeschichte sprechen: Nicolas Luhman verbannte „Kultur“ als einen der „schlimmsten Begriffe, der je gebildet“ wurde; Flusser sah die Legitimation von Kultur durch die europäische (Kriegs-)Geschichte schlicht zerstört; George Steiner sieht einen „visual turn“ in der Gesellschaft: Bilder ersetzten Sprache und Schrift – für Flusser kommt dies dem Ende der in der Schrift angelegten Reflektion gleich. Bildkultur als Verdrängung der Kritik? Sieht Hans Peter Thurn in der (Bild-)Kultur heute die Eintrittspforte zur selbstgewollten Unmündigkeit? Doch was kann dann ein Zentrum für Kunstmanagement überhaupt noch leisten – zumal ein internationales?
Die Bildhaftigkeit der Kommunikation kritisiert Thurn nicht per se – seine These ist eine andere: Die Verwendung des Bildes entscheidet über Sinn und Unsinn von bildlicher Kommunikation. Nach Thurn hat sich in der Kulturgeschichte der Entscheider darüber, wie Bilder verwendet werden, mehrfach geändert. Wer hat die Macht über die Bildwelten der Gesellschaft?
Gesellschaftliche Herrschaft der Bilder: Das Ende der Kultur?
Der gesellschaftliche (Macht-)Träger von Kultur(-bildern) hat sich im Laufe der Geschichte mehrfach geändert – von den Kirchen, über den Adel und die Bürger als Auftraggeber für Kultur. Es sei an die Gründung der Kunstvereine im 19 Jahrhundert erinnert: Es waren Bürgervereine, für die Kultur einen aufklärerischen Anspruch hatte, dem sie in ihrer gesellschaftlicher Verantwortung selbst nachkommen wollten. Ob dies glückte, ist allerdings eine andere Frage. Doch für Thurn lassen in der Gegenwart solche „sozial formativen“ Akteure schlicht gar nicht mehr identifizieren. Kultur – also eine Jedermann Kultur! Oder ist diese nicht doch eher eine Niemand-Kultur?
Thurn erinnert an Steiners Analyse, dass die Herrschaft des Bildes zum Voyeurismus führe – als gesellschaftliche Haltung. Die Jedermann Kultur ist zwar eine Breitenkultur – aber im Modus der inneren und gesellschaftlichen Distanz. Teilhabe an Kunst ist reduziert auf Zu-schauen, Breitenkultur das Ende der Kultur als Haltung. Thurns Kulturkritik erinnert an Frederic Jamesson´s 1984 publizierte Analyse der postmodernen Kunst: Kunst wird zur Ästhetisierung der Lebens- und Warenwelt instrumentalisiert und verliert jegliche kritische Distanz: Das Ankommen in der Konsumgesellschaft macht künstlerische Kritik am Konsum unglaubwürdig. Konsum führt nach dem Soziologen Gerhard Schulze zur Aufhebung herkömmlicher sozialer Klassen und schafft eine neue Klasse: Die „Erlebnisgemeinschaft“. Diese stelle für den Einzeln in der Einsamkeit der Wirtschaftsgesellschaft durch gemeinsame Konsumerlebnisse wieder ein Gemeinschaft dar. Gekauft werde demnach, was rationalerweise zur Teilhabe an diesen durch gemeinsame Konsumerlebnisse geprägten Gruppen führt („Erlebnisrationalität“). Und Bildwelten aus der Kultur werde bevorzugt als „lifestyle“- Animation eingesetzt, um Erlebnisse zu produzieren – und so Gemeinschaft zu versinn-„bildlichen“. Der Kulturinteressierte ist Objekt des Erlebnismarktes geworden.
Jenseits des Kultur-Pessimismus
Thurn meidet diesen - in einer gewissen Kapitalismuskritik en vogue gewordenen - Pessimismus gegenüber einer angeblich durchökonomisierten, wehrlosen Kultur. Thurn glaubt an den aufrechten Gang der Kultur – trotz der gesellschaftlichen Umstände im 21. Jahrhundert, dem sog. telematischen Zeitalter: Jetzt ist Kultur im Modus des digitalen und realen Transportes in einer globalen Welt vorhanden – nicht mehr im Modus der sozial offenen Breitenkultur der 70er und 80er Jahre. „Transport-Kultur“ tauft Thurn diese Kultur. Sie hat unendliche Reichweite, sie ist durch das Internet entgrenzt wie nie zuvor und sie ist daher nicht mehr soziologisch gesellschaftlichen Schichten zu zuordnen. Insbesondere die Zeitgleichheit der Erfahrung von Ereignissen an verschiedensten Orten verändert Kultur. Kurzlebigkeit ist nur eine Erfahrung der neuen „Transport-Kultur“, Informationsflut eine andere. In der Tat scheinen sich Vermassung und Verschwinden von Informationen als zwei Seiten eines Phänomens, der Transport-Kultur, lesen zu lassen.
Wie kann Kultur als kritische Haltung im Modus der Transport-Kultur existieren?
Mit dieser Schlussfrage nach den gegenwärtigen Bedingungen von Kultur als ästhetischer Kompetenz schließt Thurn seinen Vortrag. Und eröffnet einen Studiengang dessen Vision es ist, die Frage nach den Bedingungen eines zusehends (selbstverschuldet?) in die Defensive geratenen Kulturverständnisses zu untersuchen. Mit dieser Kulturkritik baut er die Brücke zu einer – sicherlich im Studienkurs noch folgenden – Wirtschaftskritik. Denn beide Seiten der Medaille brauchen einander – jedoch nicht im Konsum gegenseitiger Klischees von Gutmenschen-Kultur und Bösewicht-Wirtschaft.
Kultur als Methode: Separatistische oder partizipatorische Kritik ?
Die selbstkritische Betrachtung von Kultur und Wirtschaft schafft eine gleichberechtigte Ausgangsbasis zum gegenseitigen Kennen lernen der Disziplinen: Unausgesprochen lässt Thurn, dass er die Kulturmission des 20. Jahrhunderts noch für möglich hält: Die Aufklärung – auch wenn sie heute der Kultur-Erlebnisgesellschaft schon als veraltet gilt. Das CIAM steht nicht für ein neues Kulturverständnis, aber für einen neuen kritischen Umgang mit Kultur und Management und deren „ominösen“ Hochzeiten. Dabei gibt sich das CIAM offensichtlich nicht mit dem Isolationismus bisheriger Ökonomismuskritik zufrieden, die nach dem Motto verfuhr: Wirtschaft hat keinen Platz in der kulturellen Bildung, da sie Kultur ökonomisiert – sprich korrumpiert. In dieser Tradition bieten die meisten Kunstakademien ihren Studenten daher keine berufsvorbereitenden Schulungen über den Kulturmarkt an. Im Gegensatz dazu verfolgt das CIAM einen partizipatorischen Kritikansatz: Das Lehrangebot „Kunstmanagement“ kann sich als Chance erweisen, in der Selbstbefragung von Kultur und Wirtschaft zu einer neuen Beziehung zukommen, die einander nicht bekämpft, sondern bei aller Divergenz der Wertsysteme von Kultur und Wirtschaft einander fördert. Denn Wirtschaft kann auch von Kultur lernen. Das CIAM entpuppt sich als Wächter der Bildungsmission der traditionellen Moderne, der den Künstler als Kritiker nach der postmodernen Distanzlosigkeit, ja Anbiederung in der Gesellschaft neu legitimieren will – ohne ihn jedoch wieder aus der Gesellschaft ausschließen zu wollen.
In Deutschland ist dies bisher ein einzigartiges Experiment, das noch viel Beachtung finden wird. Bedenkt man den Retro-Trend aller westlichen Gesellschaften in Mode, Autos, Musik und Möbeln, könnte man fast meinen, dass CIAM sei mit dem Kampf für die traditionelle Mission der Kultur „in“ – wider Willen. Kommt es erneut zu dem von Duchamp heftig beklagten „avantgardistic turn“, den bisher jede gesellschaftskritische Kulturmission im 20. Jahrhundert – von Dada bis Minimal - erdulden musste? Wird auch diese Kulturkritik nach der Postmoderne wieder gesellschaftlich assimiliert werden? Professor Lynen schließt seine Antrittsvorlesung mit dem Hinweis, dass beispielsweise „Kunst und Recht in einem fruchtbaren Spannungsverhältnis leben können …. und positive Entwicklungen in durchaus kreativen – und damit nach Beuys „künstlerischen“ – Prozessen ermöglichen. Unter anderem dies wollen wir in dem neu gegründeten Zentrum für Kunstmanagement aufgreifen und verdeutlichen“. Kunstfreiheit bedeute heute, „künstlerische und außerkünstlerische Gestaltungsprinzipien in kreativer und produktiver Weise miteinander zu verbinden“. Das CIAM sieht spannenden Zeiten entgegen.
Mehr Infos: http://www.kunstakademie-duesseldorf.de/