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Mozart, die GEMA und die bösen Bearbeiter

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Pop-Hero oder Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen? · Gedanken von Walter Thomas Heyn
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Sonderbare Sachen kommen dem wachen Zeitgenossen gelegentlich vor die nimmermüden Lauscher: Immer handeln sie von der lieben GEMA, die den Komponisten durch Anforderungen, Kontrollbescheide und sonderbare Beurteilungen das Leben schwer macht.

Dem Einen wird jäh und ohne ersichtlichen Grund die Einreichung nahezu des gesamten Werkes anbefohlen. Darunter sind eine Vielzahl von Stücken, die seit Jahrzehnten auf dem Markt sind, die bei ordentlichen Verlagen ordentlich gedruckt wurden, die auf CD vorliegen und von einigen der berühmtesten Interpreten der Welt gespielt wurden und werden – diese Stücke, die längst zum internationalen Standartrepertoire gehören, sollen auf einmal U-Musik sein. Dies geschieht einem vergrübelten, eher melancholischen Denker und Tüftler kurz vor Erreichung des Rentenalters. Anderen werden Lieder, die vor 30 Jahren zu Ost-Zeiten auf beinahe staatsfeindliche Texte dissidentischer Dichter entstanden sind, und für die es auch Knast bis zu drei Jahren hätte geben können, als Unterhaltung eingestuft. Politisch Lied – garstig Lied – was soll es anderes sein als Unterhaltung: Der Kampf gegen eine bevormundende, schier übermächtige Obrigkeit war in Deutschland ja schon immer saukomisch.

Ich rufe rund und frage vorsichtig nach. Viel schweigen. Einer sagt: „Die GEMA hat sowieso immer Recht“, der Andere ist von den ewigen Abwehrkämpfen müde, der Nächste hat einen Wortkatalog von Überschriften zusammengestellt, die zu automatischer Fehleinstufung führen. Dabei ist es vollkommen egal, wie die Musik klingt und wie ambitioniert die kompositorischen Mittel sind. Der Übernächste sagt: „Ich melde das Meiste gar nicht mehr an.“ Es grummelt im Lande, leise, aber stetig. Offenem Ärger begegnet man allerdings, wenn man das Thema „Klassik-Bearbeitungen“ anstößt.  Da hört man Einstufungs- und Rumstreit-Geschichten, die glaubt man gar nicht. Selbst betroffen, werde ich fleißig, durchforste die Sekundärliteratur und stelle fest, dass diese riesig, in den Aussagen einheitlich und in der praktischen Anwendung vollkommen klar ist. Dies geht von der musikwissenschaftlichen, über die musikhistorische bis zur urheberrechtlichen Fraktion. Hinzukommt der jahrzehntelange Alltags-Brauch der Musikverlage, die gerade auf diesem Gebiet über profundes Wissen verfügen, weil Klassik-bearbeitungen natürlich auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor sind. Nun soll alles anders sein?

Mozart – ein Pop-Hero?

Durch Zufall begegnet mir eine Persönlichkeit der allerobersten Führungsriege. „Wir sind uns doch alle einig, dass Mozart heute zum Beispiel Pop-musik schreiben würde. Diese ganze Klassik ist doch mehr oder weniger Unterhaltungsmusik. „Rondo alla turca“ zum Beispiel, das ist doch purer Pop.“

Diese Aussage interessiert mich. Ich eile an den Computer und finde heraus, dass auf dem deutschen Musikalienmarkt 41 lieferbare Kaufausgaben existieren. Die Werke sind in allen deutschen Verlagen erschienen, von den ganz großen bis zu kleinen. Und ich bin sicher, dass alle diese Bearbeitungen selbstverständlich E-Musik sind, sonst hätten die Verlage diese Bearbeitungen ja gar nicht gedruckt. Natürlich gibt es auch U-Versionen: eine CD von James Last und eine originelle Kompilation aus „Rondo alla turca“ und „Tico Tico“, eine lustige, geistvolle Arbeit, U-Musik der höheren Art. Dann finde ich ohne Mühe fünf Analysen von „Rondo alla turca“ in diversen Veröffentlichungen der letzten Zeit: Keine einzige beschreibt diese Musik auch nur in Andeutungen als unterhaltend. Im Gegenteil steht ja ein sorgenvoller historischer Moment für Mozart dahinter: die Belagerung Wiens durch die türkischen Truppen. Hunger, Angst und Verzweiflung, stilisiert in einem multikulturellen Tongemälde: „Eindeutig U-Musik“, sagt jemand aus der Kommission bei der Anhörung, guckt mich böse an und weist auf vier aufeinanderfolgende Achtel: Bass Akkord, Akkord, Akkord, hum-ta-ta-ta steht da und wird immer wieder wiederholt. Von mir ist das nicht, Mozart hat das hingeschrieben, der Schlingel, und dabei hat er bestimmt nebenbei mit dem Stubenmädchen rumgebalzt oder war frech zum Kaiser: That’s Jazz, ganz klar.

„In der Tat“, sagt eine andere, weniger hochstehende Persönlichkeit, „im Moment wird gerade die Datenbank durchforstet, was denn alles aus der E-Musik rausfliegen kann. Das ist erst der Anfang“. Ich denke an die zwei Jazz-Suiten von Schostakowitsch, die keinerlei Jazz enthalten, sondern in Form von Stilzitaten und musikalischen Parodien die Hohlheit staatlich verordneten Frohsinns vor die Ohren der Hörer führen und mir graust es. Sollte die Ballade vom Erlkönig wieder mal traurige Realität werden, dass nämlich der Vater den Hof zwar erreicht, das Kind in seinen Armen aber tot ist. Das Bild soll besagen, dass man in Deutschland als E-Komponist oder E-Bearbeiter gerade noch ein bisschen leben kann, was aber, wenn die Werke, die toten Kinder, nichts mehr wert sind?

Rechtliche Grundlagen

Ein Blick in die Geschichte zeigt: Eine Bearbeitung, wenn sie nicht auf allerunterstem Niveau als pure spielpraktische Einrichtung stattfindet, ist immer eine Auseinandersetzung mit den Bedingungen fremden oder auch eigenen Komponierens. Das Bearbeiten (aneignen) fremder Werke gab es schon in der Renaissance, damals eher im Sinne einer Selbstaneignung; das Lied, die Melodie wird der eigenen Stimme, dem eigenen Instrument angeeignet, singbar, spielbar, passend gemacht, also einem rein praktischen Bedürfnis folgend. Heute ist eine Bearbeitung in der Regel ein Blick zurück: eine Auseinandersetzung mit Stattgehabtem.

Rein rechtlich gibt es zwei Stufen, die der schutzfähigen und der nicht schutzfähigen Bearbeitung. Das Urheberrechtsgesetz sagt dazu in §3, dass Bearbeitungen eines Werkes, die persönliche geistige Schöpfungen des Bearbeiters sind, unbeschadet des Urheberrechts am bearbeiteten Werk wie selbständige Werke geschützt werden. Die nur unwesentliche Bearbeitung eines nicht geschützten Werkes der Musik wird, so der Gesetzestext, nicht als selbständiges Werk geschützt.

Auf der GEMA-Webseite kann man Folgendes nachlesen: „Eine schutzfähige Bearbeitung setzt eine erkennbare eigenständige schöpferische Leistung des Bearbeiters voraus, so dass – etwa durch die kompositorische Veränderung oder Erweiterung der musikalischen Substanz der Vorlage – ein neues selbständiges Werk entsteht. Im Gegensatz zu einer solchen schutzfähigen Bearbeitung stehen Benutzungen eines Originalwerkes, welche die musikalische Substanz der Vorlage im Wesentlichen unverändert lassen und den Notentext des Originals werkgetreu übertragen. Auch beispielsweise die Transposition in eine andere Tonart oder Stimmlage, die notengetreue Transkription vorhandener Stimmen auf ein anderes Instrument, das Ergänzen von Vortragsangaben, Verzierungen, Fingersätzen et cetera, die Verdoppelung von Stimmen beziehungsweise das Hinzufügen von Begleitstimmen in Parallelbewegung (zum Beispiel in Terz- oder Sextabstand) oder die Reduktion vorhandener Partiturstimmen zu einem Klaviersatz gilt im Regelfall nicht als schutzfähige Bearbeitung.“ Der guten Ordnung halber sollte man allerdings erwähnen, dass Klavierauszüge seit Jahrzehnten geschützt worden sind und – die richtigen Verlage im Hintergrund – auch weiter geschützt werden.

Die Meinungsverschiedenheiten entzünden sich gegenwärtig immer an dem Punkt, dass seitens des Bearbeiters kein eigenständiger künstlerischer Aspekt eingebracht, keine Hinzufügungen vorgenommen, keine Eingriffe in das Basismaterial vorgenommen wurden. Solcherlei Aussagen können eigentlich nur verstanden werden als offene Aufforderung zur Verfälschung der Originalvorlage und das ist ein starkes Stück! Was der Komponist Zeit seines Lebens mit seinem Werk mal ausdrücken wollte, wen interessiert das schon. Dabei lernt jeder Student im ersten  Studienjahr: Werktreue zuerst! Und Werktreue ist nichts anderes als Notentreue.

Kategorien von Bearbeitungen

Zur Orientierung für alle Beteiligten folgt an dieser Stelle eine Zusammenfassung der drei verschiedenen Arten von Bearbeitungen, die in ihrer Gestaltungshöhe, individuellem Ausdruck  und handwerklichen Können aufeinander aufgebaut sind und das ganze Spektrum musikalischer Bearbeitungen umfassen:

Unterstufe: Hierzu gehören alle einfachen Bearbeitungen, die gerade schon schutzfähig sind. Dazu zählen alle Reduktionen (auch Klavierauszüge), Instrumentationen (zum Beispiel Instrumentationen von Klavierstücken für ein Schulorchester), Erfinden von Begleitungssätzen (zum Beispiel für Chorsätze oder Sololieder), Veränderungen des sozialen Gebrauchs (aus Kirchenmusik wird Konzertmusik, aus Vokalmusik wird Instrumentalmusik).

Zu dieser Gruppe zählen auch bestimmte Spezialfälle, zum Beispiel Bearbeitungen der Bach’schen „Kunst der Fuge“ für ein Instrumentalensemble. Diese nur scheinbar mechanische Arbeit setzte eine Fülle von Kenntnissen und Fertigkeiten voraus. Im Gegensatz dazu wäre eine Bearbeitung der Mozart’schen „kleinen Nachtmusik“ für vier Gitarren nicht schutzfähig. Hier müsste man nur Bratsche und Cello in den Violinschlüssel übertragen und in eine brauchbare Oktavlage legen. Das kann heut zutage jeder Computer. Für diese Gruppe gilt: Werktreue zuerst! Der Bearbeiter sollte sich als treuer Diener am Werk eines Anderen verstehen.

Mittelstufe: Hierzu gehören alle Bearbeitungen, die schon Anteile eigenen schöpferischen Gestaltens tragen. Kriterien sind das Erfinden von eigenen Vorspielen, Zwischenspielen, Überleitungen, Verwendung von thematischem Material, das die Ausgangsvorlage nicht enthält, Erfinden neuer Zusammenhänge (zum Beispiel die Kombination von Themen verschiedener Komponisten). Alle Bearbeitungen für Orchester zählen in diese Gruppe, denn es ist zwingend erforderlich, bei einem Orchesterarrangement eigene Zwischenstimmen, Füllstimmen, harmonische Ergänzungen und dergleichen mehr vorzunehmen. Man denke an Ravels Bearbeitung der „Bilder einer Ausstellung“ von Mussorgski. Auch Busonis Versionen Bach’scher Werke zählen als besonders edle Beispiele in dieser Gruppe. Busoni hat den Bach’schen Metatext hörbar gemacht, melodische Linien verstärkt oder abgeschwächt, harmonische Räume geöffnet und mit allerlei klanglichen Registern gespielt. Und das alles, ohne eine Note vom Original abzuweichen! In Werken dieser Gruppe tritt der Bearbeiter gleichberechtigt neben den Originalautor.

Oberstufe: Hierzu gehören alle Bearbeitungen, die über das Original hinausgreifen. In der Regel werden sie frei Bearbeitungen genannt, und das Original ist kaum mehr als Ausgangsmaterial für ganz eigene und ganz freie Erfindungen.

Rihm, Zender, Goldmann haben in letzter Zeit bemerkenswerte Werke dieser Gattung vorgelegt. Der Bearbeiter, der hier zwingend ein schöpferischer Geist sein muss, prägt ein überkommenes Werk nach seinem Gusto stilistisch, inhaltlich und strukturell um. Es entsteht eine neue Schöpfung, ein ganz individueller Kommentar über die Zeiten hinweg.

So, liebe Leser, ehe Sie ermattet zu den Klängen der Händel’schen Pastorale, bearbeitet für sechs Blockflöten (es gibt diese Version wirklich) auf das Dienst- oder Privatsofa sinken, will ich zum guten Schluss kommen und all denen, die bei diesem Thema was zu sagen und zu entscheiden haben, zurufen: Leute, es ist doch alles ganz einfach. Komponisten, die ihr Handwerk gelernt haben, die ein Staatsexamen in der Tasche haben, muss man nicht kontrollieren; Kollegen, die seit vielen Jahren am Markt sind, muss man nicht schikanieren. Es reicht aus, Augenmaß und praktische Vernunft walten zu lassen. Kriterien, die musikwissenschaftlich und musikhistorisch auch Bestand haben, gibt es ja zur Genüge.

Und so wird dann alles gut. Bis zum nächsten Mal.

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