München - Der ARD-Musikwettbewerb gilt als einer der größten Wettbewerbe für klassische Musik weltweit. Am Montag (29. August) geht der vom Bayerischen Rundfunk ausgetragene Contest in seine 60. Runde. Anlässlich des Jubiläums sprach dapd-Korrespondentin Ursula Sommerey in München mit dem künstlerischen Leiter, Axel Linstädt, über Neuerungen, Wettbewerbstypen und darüber, was ein solcher Wettbewerb mit dem Leben eines Winzers gemeinsam hat.
dapd: Herr Linstädt, was bedeutet das Jubiläum für Sie?
Linstädt: Es ist für mich mehr als nur ein gewöhnlicher Geburtstag, wir feiern eine runde Zahl, eine schöne Zahl. Und ich freue mich, dass der Wettbewerb mit 60 Jahren höchst lebendig ist und nach wie vor attraktiv für die Teilnehmer, aber auch für die Juroren. Denn der Wert des Wettbewerbs steht und fällt natürlich nicht nur mit der Qualität der Teilnehmer, sondern auch mit der der Juroren.
dapd: Gibt es im Jubiläumsjahr etwas Besonderes?
Linstädt: Das Besondere ist, dass erstmals nach zwölf Jahren das Fach Orgel wieder aufgenommen wurde. Ich dachte, beim Jubiläum darf die Königin der Instrumente nicht fehlen. Erstmalig wird es eine Exkursion nach Ottobeuren geben, damit auch auf einer historischen Orgel, dazu noch auf einer ganz berühmten, eine Prüfung abgehalten werden kann.
dapd: Wie erklären Sie sich die Popularität des Wettbewerbs?
Linstädt: Das Spezifische am ARD-Musikwettbewerb ist, dass es sich eben um keinen Spezial-Wettbewerb handelt. Spezial-Wettbewerbe gibt es wie Sand am Meer. Der ARD-Wettbewerb hat jährlich vier Fächer zur Auswahl und eigentlich sind es vier gleichzeitig stattfindende Wettbewerbe, die alljährlich neu zusammengewürfelt werden. Das macht die Attraktivität aus, dass man immer wieder gespannt sein kann: Was bringt der aktuelle Jahrgang uns Neues? Da geht es uns wie einem Winzer - wobei der vorher immer mal einen Blick zum Himmel schicken kann.
dapd: Der Wettbewerb gilt als sehr streng, nicht zwangsläufig werden alle Preise auch vergeben...
Linstädt: Ja, wir sind streng. So haben wir zum Beispiel im letzten Jahr im Fach Klavierduo keinen ersten Preis vergeben, und zwei Jahre vorher, im Fach Viola, gab es auch keinen ersten Preis. Bei den Schlagzeugern gab's mal einen ersten Preis, keinen zweiten, einen dritten jedoch sehr wohl. Man muss streng sein, sonst werden die Maßstäbe nach unten verschoben. Die Auszeichnung soll auch etwas bewirken. Wenn ich einen Preis beim ARD-Wettbewerb gewonnen habe, dann habe ich einen Türöffner oder einen Schlüssel für Konzertsäle und, wenn man so will, auch zu den Medien. Das ist ein Gütesiegel, dies ist vielleicht der eigentliche Wert des Wettbewerbs.
dapd: Allein heuer haben sieben ehemalige Preisträger auch den Echo Klassik gewonnen...
Linstädt: Das ist eine tolle Geschichte und bestätigt voll und ganz die Linie des ARD-Musikwettbewerbs.
dapd: Bisher gab es insgesamt 810 Preisträger. Besteht da nicht die Gefahr, dass die Gewinner vielleicht doch irgendwann in der Masse untergehen?
Linstädt: Schauen Sie, die 810 Preisträger, die verteilen sich auf 60 Jahre. Wir haben in einem Jahr bei den offiziellen Preisen vielleicht zwölf Hauptpreise zu vergeben. Die ersten Preisträger, die merkt man sich mit hoher Wahrscheinlichkeit. Ich will das aber nicht beschönigen: Es hat sicher auch schon den Fall gegeben, dass ein Wettbewerbsgewinner nicht nachhaltig reüssieren, also nicht die erwartete Erfolgslaufbahn einschlagen konnte. Und selbstverständlich gibt es Musiker, die an keinem Wettbewerb teilnehmen und trotzdem erstklassig sind. Es gibt eben Leute, die nicht die geborenen Wettbewerbstypen sind, sie haben mehr Lampenfieber, neigen dazu, Nerven zu zeigen, oder wollen kein Eingezwängtsein in einen schematischen Ablauf.
dapd: Muss man ein exotischeres Instrument spielen, um im Musikbetrieb überhaupt noch aufzufallen?
Linstädt: Das ist eine gute Frage. Natürlich gibt es Pianisten wie Sand am Meer, und deshalb droht der einzelne leicht unterzugehen in der Masse. Aber letzten Endes kommt es darauf an, dass man, ganz gleich in welchem Fach, Bestleistung bringt. Im oberen Leistungsbereich wird's halt schwierig. Denn die Konkurrenz schläft ja nicht, sondern sie übt.
dapd: Wenn man so zurückblickt auf die vergangenen 60 Jahre: Welche Highlights fallen Ihnen ein?
Linstädt: Es gab natürlich immer ganz große Entdeckungen wie Jessye Norman, Heinz Holliger oder Maurice André. Aber es müssen nicht Namen aus typischen Solo-Fächern sein, sondern es begeistert einen genau so, wenn ein Kontrabassist so spielt wie Gunars Upatnieks beim vorletzten Wettbewerb. Fasziniert hat mich zum Beispiel Ramón Ortega Quero, ein Oboist der Sonderklasse. Wie der gespielt hat, war schon sensationell. Oder Sebastian Manz, ein wunderbarer Klarinettist: Der kriegt in diesem Jahr auch den Echo und zwar mit der Aufnahme, die wir damals beim Preisträgerkonzert gemacht haben. Das ist eine Momentaufnahme, bei der nichts geschnitten oder geschönt wurde, da stimmt eben alles. Einfach großartig.
dapd: Welche Ziele haben Sie für die Zukunft?
Linstädt: Man kann den Wettbewerb nicht jedes Jahr neu erfinden. Unser Ziel ist, optimale Voraussetzungen für die Teilnehmer zu schaffen. Besonders am Herz liegt mir das - immer im Jahr darauf stattfindende - Festival der ARD-Preisträger. Ich finde die Idee sehr schön, dass die Gegner von gestern dann gemeinsam miteinander musizieren. So lange wir das finanziell darstellen können, möchten wir das weiter machen.
Der ARD-Musikwettbewerb in zehn Daten
- Der ARD-Musikwettbewerb gilt als einer der größten Wettbewerbe für klassische Musik weltweit.
- Zum ersten Mal fand der Wettbewerb 1952 in München statt.
- Dort wird er bis heute vom Bayerischen Rundfunk ausgerichtet.
- 810 Preisträger gingen bislang aus dem Wettbewerb hervor, darunter Jessye Norman, Thomas Quasthoff und Sol Gabetta.
- Jedes Jahr sind vier Fächer aufgerufen.
- In diesem Jahr werden Preise für Klavier, Oboe, Orgel und Trompete vergeben.
- Der Wettbewerb richtet sich an junge Musiker, die eine internationale Karriere anstreben.
- Teilnehmen dürfen Musiker aller Nationen der Jahrgänge 1982 bis 1994; Anmeldeschluss war Ende März.
- Die Preisträgerkonzerte finden vom 14. bis 16. September statt.
- Künstlerischer Leiter ist seit 2006 Axel Linstädt, organisatorische Leiterin ist seit 2009 Elisabeth Kozik.