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Martina Taubenberger bei den Proben mit den Trondheim Voices. Foto: © Ida Eilertsen

Martina Taubenberger bei den Proben mit den Trondheim Voices. Foto: © Ida Eilertsen

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Ausgangspunkt Konzerthaus – Die bayernweite Produktion „The Resonance of Time“ erkundet die Gegenwart unseres kulturellen Erbes

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Martina Taubenberger ist Konzeptentwicklerin, Kuratorin und Kulturberaterin und unter anderem künstlerische Leiterin des Festivals Out Of The Box in München, das sie 2019 gründete. Ihr Schwerpunkt ist die Konzeption, Produktion und Inszenierung experimenteller interdisziplinärer Formate mit musikalischem Fokus, die die Schnittstellen zwischen den Künsten ausloten und auflösen. Jetzt präsentiert sie ihre jüngste Produktion, das Festival The Resonance of Time, das vom  10. Januar bis 2. Februar 2025 im Münchner Werksviertel und bayernweit stattfinden wird. Der Slogan des Festivals lautet: „Ein Festival, 39 Veranstaltungen, 14 Orte, mehr als 60 Künstlerinnen und Künstler aus über 25 Nationen.“ Diese beeindruckenden Zahlen wecken Interesse, doch was genau steckt hinter diesem umfassenden Konzept? Im Gespräch mit Andreas Kolb, Chefredakteur der neuen musikzeitung, gibt die Initiatorin und Kuratorin Martina Taubenberger tiefere Einblicke.

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neue musikzeitung: Was ist das Besondere an diesem Festival?

Martina Taubenberger: Es war schon immer mein Traum, dass nicht nur einzelne Programme und Konzerte stattfinden, sondern auch Begegnungen zwischen den Künstlern, die sich aktiv zuhören. Typischerweise läuft es bei Festivals oft so ab, dass die Künstler kommen, ihre Stücke spielen und dann wieder gehen. Dieses Mal hingegen entsteht eine kreative Gemeinschaft. Das  Besondere an dem Festival ist, dass die etwa 60 Künstlerinnen und Künstler - wie ein Pool an künstlerischen Persönlichkeiten- sich dort begegnen und miteinander in unterschiedlichen Konstellationen in verschiedenen Programmen auftreten. Das verleiht der Produktion The Resonance of Time einen einzigartigen Charakter.

nmz: Wie würden Sie die Philosophie des Festivals beschreiben? 

Taubenberger: Das Thema in diesem Jahr lautet kulturelles Erbe. Es geht um die Beziehung zwischen Erinnerung und Geschichte sowie um den direkten emotionalen Erlebnishorizont, aus dem unsere Erinnerungen entstehen. Dabei betrachte ich die Vielfalt der Perspektiven auf kulturelles Erbe, die über den eurozentrischen Ansatz hinausgehen. Langsam entfernen wir uns von diesem eurozentrischen Begriff des kulturellen Erbes und stellen fest, dass links und rechts von dem Bekannten noch unendlich viel Raum existiert, den wir sehr viele Jahrzehnte, ja Jahrhunderte nicht wahrgenommen haben, nicht wahrnehmen konnten und den man jetzt erst anfängt zu  entdecken. Genau das interessiert mich. Unser Festival lädt dazu ein, neue Räume des kulturellen Erbes zu erkunden und neue Facetten zu entdecken.

nmz: Welche Höhepunkte können wir in der Künstlerauswahl erwarten?

Taubenberger: Die Trondheim Voices sind ein bekanntes Gesangsensemble, mit dem ich intensiv eine gemeinsame Produktion entwickle. Diese Zusammenarbeit ist besonders aufregend, da wir eine Struktur erarbeiten, die viel Raum für Improvisation lässt. 

Die Produktion mit den Trondheim Voices ist für mich auch deshalb sehr besonders, weil sie mich gefragt haben, ob ich mit ihnen direkt das Stück erarbeiten könnte – also ohne einen Komponisten oder Komponistin dazwischen zu schalten.

Auf der anderen Seite haben wir das Munich Composers Collective, das von der ganzen Besetzung her schon sehr spannend ist, weil das eine Big Band mit einem eingebetteten Streichquartett ist. Da entsteht ein sehr besonderer, mitreißender Sound. Gregor Hübner, der künstlerische Leiter, wird ein Stück auf der Grundlage von Sufi-Gesängen für dieses Ensemble komponieren. Der Eröffnungsabend mit dem Munich Composers Collective wird ein Blast.

nmz: Wie funktioniert das mit den 14 Veranstaltungsorten?

Taubenberger: Wir haben Shuttle-Busse organisiert, die es den Besuchern ermöglichen, einfach zwischen den verschiedenen Orten zu pendeln. Ich fände es toll, wenn Leute aus München andere Orte entdecken und umgekehrt – vielleicht führt das dazu, dass die Festivalbesucher neue musikalische Inspirationen mitbringen.

nmz: Was ist die Bedeutung der verschiedenen Veranstaltungsorte?

Taubenberger: Jeder Ort hat eine eigene geschichtliche Schicht und Bedeutung. Der Heilstollen in Berchtesgaden, der einmal eine Salzmine war, vereint Natur und Industriegeschichte. In Regensburg, einem archäologischen Schatz, fließen verschiedene geschichtliche Epochen zusammen. Die Wahl der Orte beeinflusst die Art und Weise, wie die Musik wahrgenommen und interpretiert wird. Ich fände es schön, wenn aus München Leute vielleicht an andere Konzertorte fahren oder jemand aus dem Umland was bei uns entdeckt und dann nach München kommt. Schauen wir mal, wie sich das ausgeht.

nmz: Wie finanzieren Sie dieses einzigartige Festivalkonzept? 

Taubenberger: Die Finanzierung war in diesem Jahr besonders herausfordernd. Wir haben Unterstützung vom Kulturfonds Bayern sowie Sponsoring aus dem Werksviertel erhalten. Es ist ein Flickenteppich an finanziellen Mitteln, da die Eintrittsgelder nur etwa zehn Prozent des Budgets ausmachen. Selbst mit einem kreativen Finanzmanagement mussten wir an vielen Stellen Abstriche machen.

nmz: Wie sieht der Bezug zum seit Jahren im Werksviertel geplanten Konzerthaus aus? 

Taubenberger: Das Konzerthaus, das nun um zwölf Jahre verschoben wurde, war ursprünglich der Ausgangspunkt für alles. Ich wollte untersuchen, wie ein solches Konzept für ganz Bayern konkret leben kann. Mein Ziel war es, die hervorragenden musikalischen Angebote vom Land in die Stadt zu bringen und somit eine direkte Verbindung zwischen ländlichen und urbanen Räumen zu schaffen.

nmz: Welche Rolle spielt die künstlerische Begegnung in der heutigen Zeit?

Taubenberger: Gerade in Zeiten politischer Polarisierung sehe ich die Kunst als Ort der Begegnung und des menschlichen Ausdrucks. Unsere Festivalphilosophie orientiert sich daran, diese Trennungen zu überwinden. Daher veröffentlichen wir keine Herkünfte der Künstler in ihren Biografien, um die künstlerische Identität unabhängig von nationalen oder ethnischen Zuschreibungen zu betonen. Das Festival The Resonance of Time verspricht also nicht nur eine Vielzahl an Veranstaltungen, sondern auch einen Raum für kreative und kulturelle Dialoge, die über Grenzen hinweg wirken.

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