Gelsenkirchen/Mendig - «Rock am Ring» ohne den Nürburgring, ein neues «Rock im Revier» im Ruhrpott-Stadion: Zum Start der Saison ändert sich einiges in der Festivalszene. Die Querelen an der Rennstrecke Nürburgring haben dafür gesorgt, dass die deutsche Rockfestival-Szene um einen Traditionsstandort ärmer ist. Allerdings gibt es ein neues Drei-Tage-Event im Ruhrgebiet. Gerockt wird also immer noch - aber unter neuen Vorzeichen.
«Rock am Ring», «Grüne Hölle Rock», «Rock im Revier»: Es blickt wohl kaum einer mehr durch, welches Festival wo über die Bühne geht. Was genau ist eigentlich passiert?
Es gibt «Rock am Ring» noch, allerdings nicht am Nürburgring. Veranstalter Marek Lieberberg ist samt Namen an den etwa 30 Kilometer entfernten Eifel-Flugplatz Mendig umgezogen. Die Premiere am neuen Ort (5. bis 7. Juni) mit knapp 90 000 Tickets ist ausverkauft. Am Ring selbst sollte zunächst die «Grüne Hölle Rock» über die Bühne gehen, der Vorverkauf hatte bereits begonnen. Aber nach einem Streit mit den Ring-Verantwortlichen wechselte die Konzertagentur Deag ins Ruhrgebiet. Dort wird nun Ende Mai unter dem neuen Namen «Rock im Revier» in der Veltins-Arena auf Schalke gerockt. Deag-Chef Peter Schwenkow rechnet mit rund 45 000 verkauften Karten, Platz wäre für 48 000 Fans. Zusätzlich gibt es noch die jeweiligen «Zwillings»-Festivals «Rock im Park» in Nürnberg und «Rockavaria» in München.
«Rock am Ring» gilt als das Traditions-Festival in Deutschland. 29 Jahre lang war es fest mit dem Nürburgring verknüpft. Worauf beruht der Mythos?
Zum Start 1985 ging es noch kuscheliger zu - damals traten 17 Künstler auf, darunter Chris de Burgh, Joe Cocker und Marius Müller-Westernhagen. Die Liste derer, die am Ring dabei waren, liest sich inzwischen wie ein «Who is Who» der Musikgeschichte: David Bowie, Udo Lindenberg, Bryan Adams und Bob Dylan, Elton John, Bon Jovi, Guns N'Roses, Rammstein und die Toten Hosen, die stets betonten, dass Ring-Auftritte etwas Besonderes seien.
Was bleibt in Erinnerung?
Vieles, sicherlich vor allem die eine oder andere Anekdote: 1997 etwa schlug während eines Gewitters beim Auftritt von Chris Rea ein Blitz in eine Trafostation ein, der Strom fiel aus. Oder: Leonard Cohen erntete Pfiffe aus dem Publikum, Lieberberg kam auf die Bühne und befriedete die Situation. 2008 kletterte Hosen-Sänger Campino mit gebrochenem Bein auf das Dach der großen Bühne. Was dem Festival trotz Umzug erhalten bleibt, ist das berüchtigte Eifel-Wetter, das oft binnen kurzer Zeit das ganze Spektrum von Sonnenschein über Nebel bis zu Wolkenbrüchen parat hat und bisweilen für die typisch schlammige Festival-Optik sorgt.
Was bedeutet das ganze Hickhack für den Nürburgring - immerhin ein Ort mit großer Tradition und eine starke Marke?
«Der Nürburgring hat massiv an Glaubwürdigkeit verloren. Er hat deutlich an Attraktivität verloren», sagt der Experte für Populäre Medienkulturen, Marcus S. Kleiner. «Dadurch, dass er sich auch mit der «Grünen Hölle» nicht einigen konnte, ist eine große Musikmarke endgültig verloren.» Abgesehen von der Musik allerdings - da mag der Marketing-Experte Martin Fassnacht nicht ganz so schwarz malen: ««Rock am Ring» verknüpft mit dem Nürburgring - das war natürlich eine gute Sache für beide. Dass das Festival weggegangen ist, ist nicht zum Vorteil der Marke Nürburgring - aber es ist keine ganz große Sache», urteilt der Professor an der WHU - Otto Beisheim School of Management. Starke Marken seien meist sehr krisenfest.
Kann ein «Rock am Ring» ohne Ring funktionieren? Eigentlich wäre ja «Rock am Flugplatz» passender ...
Es müsse sich erst noch zeigen, ob der Name zur neuen Lokation in Mendig passt, erklärt Kleiner. «Ich sehe für «Rock am Ring» auf dem Flugplatz in Mendig definitiv bessere Chancen als für «Rock im Revier», denn es gibt die bekannte Wortmarke, ein offenes Gelände und es gibt ein gutes Programm», sagt der Professor für Medienmanagement an der Hochschule Macromedia am Campus Stuttgart. Der Nürburgring habe sich durch seine einmalige Location und unvergleichbare Atmosphäre ausgezeichnet. «Jedes Festival lebt davon, dass der Ort, an dem es stattfindet, einen hohen Erinnerungswert hat und Atmosphären schafft, die mich emotional überzeugen, dass ich etwas Außergewöhnliches erlebe.»
Und ein Festival im Stadion. Kann das die Menschen begeistern?
«Stadien sind sehr undynamisch. Der Raum lässt wenig Erkundungsmöglichkeit. Das ist was ganz anderes als ein offenes Gelände», sagt Kleiner. Ein Festival sei nur zur Hälfte Musik, die anderen 50 Prozent seien gemeinschaftliches Erleben etwa auf dem Zeltplatz. «Drei Tage im Stadion - ich habe meine Zweifel, dass das funktionieren wird.» Aber der Experte gibt auch zu bedenken: «Wenn es jetzt in diesem Jahr nicht klappt bei «Rock im Revier», dann heißt das nicht, dass es im nächsten Jahr vor dem Aus steht.» Man sollte dem Festival zwei, drei Jahre Zeit geben. Deag-Chef Schwenkow hält dagegen, dass seine Standorte große Vorteile hätten: So gebe es hervorragende sanitäre Anlagen und Verpflegung. Wer keine Lust auf Zelten hat, könne mit der U-Bahn an- und abreisen.
Redaktionelle Hinweise - dpa hat auch Marek Lieberberg für ein Statement angefragt. Er lehnte dies ab, falls sein Festival in einem Kontext mit «Rock im Revier» genannt werde. dpa verzichtete daraufhin auf das Statement.