Schwetzingen - Bei den Schwetzinger Festspielen wollte Georges Delnon in diesem Jahr aus dem eng begrenzten Bereich bekannter Opern der klassischen Epoche ausbrechen. Der Künstlerische Leiter des Musiktheaters der Festspiele wählte deshalb zur Eröffnung am Freitag (23. April) eine Oper des französischen Komponisten André-Ernest-Modeste Grétry und nicht etwa ein Werk von Haydn oder Mozart.
Grétry, ein Zeitgenosse von Mozart und Beethoven, erlebt in Frankreich gerade eine Renaissance, berichtet Georges Lavaudant. Er setzt Grétrys einzige tragische Oper, «Andromaque», im Rokokotheater des Schwetzinger Schlosses in Szene.
«Es handelt sich um eine Art Kammerspiel. Vier Personen sind in emotionale Verwicklungen verstrickt, für die es keine Lösung gibt», fasst Lavaudant die Handlung zusammen. «Die entscheidende Person ist bereits tot. Aber der im Trojanischen Krieg getötete Hektor dominiert das Geschehen, weil seine Witwe Andromaque ihm über den Tod hinaus treu bleibt», erklärt der Regisseur. Er lässt die Oper deshalb vor einer halbrunden, hohen, silbergrauen Wand spielen, die das Innere von Hektors Grab symbolisiert. Die Asche des gefallenen trojanischen Prinzen soll ebenfalls auf der Bühne zu sehen sein.
Die Kostüme unterstreichen den symbolisch-abstrakten Charakter von Lavaudants Inszenierung. Sie sind stark stilisiert und erinnern von fern an Japan. Der Regisseur spricht von einer «recréation à la japonaise». Bühne und Zuschauerraum der einstigen fürstlichen Sommerresidenz sind überschaubar, sodass der Regisseur entschied, den Chor im Orchestergraben unterzubringen. Grétrys «Andromaque» geht auf die gleichnamige Tragödie des französischen Autors Jean Racine zurück, der sich wiederum an der antiken griechischen Vorlage orientierte.
Der Chor kommentiert die Handlung, statt in sie einzugreifen. Alles konzentriert sich auf die vier Solisten. «Aber wir sind nie alle gleichzeitig auf der Bühne», sagt Judith van Wanroij. Die holländische Sopranistin singt die Titelpartie. «Ich bin die einzige überlebende Figur», verrät sie. Warum Grétrys «Andromaque» seit 1781 von den Spielplänen verschwunden war, kann sie sich ebenso wenig erklären wie der Regisseur. «Die Musik ist von französischer Eleganz. Man hört das barocke Erbe heraus, aber auch schon romantische Züge wie später bei Berlioz», beschreibt die Sängerin den Klang dieser Oper. Im Gegensatz zu Mozarts zeitgleich entstandenen Opern gibt es in «Andromaque» wenig Ziergesang.
Andromaque, die trauernde Witwe etwa, hat gar keinen Ziergesang zu singen. «Sie ist sehr lyrisch angelegt», sagt Judith van Wanroij, die viel mit den Koryphäen der französischen Barockmusik-Szene wie William Christie und Christophe Rousset zusammenarbeitet. Auch in Schwetzingen ist diese Szene präsent: Hervé Niquet dirigiert «Andromaque», Le Concert Spirituel musiziert. Niquet und das Orchester haben «Andromaque» bereits als CD aufgenommen. Das SWR Vokalensemble übernimmt die Chorpartie. Nach der Premiere am Freitag (23. April) wird «Andromaque» am 25., 27. und 28. April gespielt. Im Juli ist das Stück an der Opéra de Montpellier zu sehen, am 20. Juli gastiert die Produktion bei den Gluck-Opernfestspielen Nürnberg.
Neben einer Opern-Wiederentdeckung steht bei den Schwetzinger Festspielen alljährlich eine Opern-Uraufführung an. Am 3. Juni ist im Rokoko-Theater «Le Père» erstmals zu sehen. Der Text stammt von Heiner Müller, die Musik von Michael Jarrell. Thema der Festivalkonzerte ist «Mare Nostrum - Klangraum Mittelmeer». In 17 Konzerten wird dieser Klangraum erkundet, von der Musik des Mittelalters bis zur italienischen Moderne. Den italienischen Komponisten Salvatore Sciarrino stellen die Schwetzinger Festspiele in der mehrtägigen Konzertreihe «Der andere Klang» vor. Am 13. Juni klingen die Festspiele mit der Cena Ultima aus.