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Mit Wagners "Meistersingern" begann vor 21 Jahren die Ära Harry Kupfers an Berlins Komischer Oper. Mit einer Meisterinszenierung von Benjamin Brittens Kammeroper "The Turn of the Screw" endet sie nun.
Berlin (ddp). Einen gültigen, bewegenden Schlusspunkt hat Kupfer mit dieser Abschiedsarbeit gesetzt. Das Publikum feierte die Premiere am Sonntag in seltener Einmütigkeit.Kupfer und sein Bühnenbildner Frank Philipp Schlößmann (Kostüme im Stile der Handlung Ende des 19. Jahrhunderts in England) geben keine eindeutige Lesart der Oper um den Psychoterror vermeintlicher Gespenster in einem einsamen Landhaus. Wörtliche Übersetzung des Titels: "Die Drehung der Schraube". Das trifft es genau. Immer mehr zieht die gutmütige, hilfreiche, aber auch unerfahrene neue Gouvernante die Schraube an, um bei dem ihr anvertrauten Knaben Miles hinter das Geister-Geheimnis - die Art seiner Beziehung zu dem toten, aber spukenden einstigen Diener Quint - zu kommen. Ergebnis: Schließlich liegt der Junge tot in ihren Armen. Hat nicht auch sie ihn, in bester Absicht, drangsaliert?
Deutsche Aufführungen liefen unter dem Titel "Die Besessenen" oder - wie nun auch in der Komischen Oper - "Die sündigen Engel". Das legt eine eindeutige Lesart nahe, die aber nicht der differenzierten, ambivalenten Kupfers entspricht. Darin ist vielleicht das einzige Manko dieser Produktion zu sehen.
Schlößmanns vieltüriges, vielzimmriges Bühnenbild rotiert ständig. Es gibt Verdunklungen und Aufhellungen. Die Gestalten sind permanent sichtbar, nicht selten auch die beiden "Untoten": die frühere Gouvernante Miss Jessel (Hanna Dóra Sturludóttir) und der Diener Quint (Andreas Conrad). Dämonie wird der Klarheit der Betrachtung entgegen gesetzt. Zwei Lesarten sind möglich: Übersensibilität, Geisterseherei der neuen Gouvernante (lyrisch timbriert Gun-Brit Barkmin) oder aber Leid, das den Kindern einst zugefügt wurde, etwa sexueller Missbrauch. Aber: "sündige Engel"?!
Das kammermusikalisch besetzte Orchester, unter anderem mit Harfen-Poesie, ist unter Matthias Foremny adäquat dezent. Erstaunlich wirkt vor allem die vokale und spielerische Prägnanz des Knabensoprans Philipp Mosch vom Tölzer Knabenchor an der Seite von Anna Prohaska als seine nicht minder überzeugende Schwester.
Es ist eine der dichtesten, psychologisch feinfühligsten Inszenierungen Kupfers, der bislang insgesamt 190 Aufführungen heraus gebracht hat. Schon jetzt sind sechs weitere angekündigt, allerdings nicht an dem Haus, das zwei Jahrzehnte seine Heimat war: die vier Teile vom Wagner- "Ring" für Barcelona, Pendereckis "Die Teufel von Loudon" an Dresdens Semperoper und in Sydney Verdis "Otello". Kupfer will vor "im Prinzip nur noch Neues machen". Für diese zweite Karriere darf man ihm, den sein derzeitiger Noch-Intendant Albert Kost einen "ewigen Studenten" nennt, viel Kraft und neue Ideen wünschen.
Mit Andreas Homoki, am Premierenabend in der Mittelloge, ist ein würdiger Nachfolger als Chefregisseur gefunden. Homoki war einst Kupfers Assistent, der aber - wie seine ersten eigenen Arbeiten zeigen - bei ihm durchaus nicht "abkupfert".
Klaus Klingbeil