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Jelineks verstörendes Stück «Rechnitz (Der Würgeengel)» über ein NS-Massaker in München uraufgeführt

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München (ddp-bay). Der Ortsname steht für ein brutales Massaker, genauso aber auch für eine konsequente Verschleierung des Grauens. Knapp 200 jüdische Zwangarbeiter wurden kurz von Kriegsende 1945 in Rechnitz an der österreichisch-ungarischen Grenze am Rande eines NS-Festes brutal ermordetet.

Das Massengrab wurde nie gefunden, die Täter nie zur Rechenschaft gezogen. In ihrem neuen Stück «Rechnitz (Der Würgeengel)», das am Freitagabend in den Münchner Kammerspielen uraufgeführt und mit langanhaltendem Applaus gefeiert wurde, reflektiert Elfriede Jelinek in einem assoziativen Redeschwall den heutigen Umgang mit den Schrecken des Nationalsozialismus.

   Wortreich und sprachgewaltig erforscht die österreichische Literaturnobelpreisträgerin das Unsägliche, lotet die Möglichkeiten und die Grenzen der Sprache aus. Das Stück hat keine Handlung und keine Dialoge. Es ist - in Anlehnung an die griechische Tragödie - ein Botenbericht. Regisseur Jossi Wieler hat den 100 Seiten umfassenden Monolog gekürzt und auf fünf Schauspieler verteilt. Er inszeniert das Stück in einem leichten Plauderton, der Jelineks zuweilen bitterbösen bis makabren Sprachwitz stützt. Immer wieder erwischt man sich als Zuschauer beim Lachen - einem Lachen, bei dem es einem selbst kalt den Rücken herunterläuft.

   Historischer Hintergrund des Stücks, dessen Untertitel auf den Film «Der Würgeengel» (1962) von Luis Bunuel anspielt, ist die Nacht zum 25. März 1945. Damals feierten auf Schloss Rechnitz SS-Offiziere, Gestapo-Führer und Anhänger des NS-Regimes ein Kameradschaftsfest. Etwa zehn der Gäste ermordeten in dieser Nacht knapp 200 völlig erschöpfte ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter.

   Auf der Bühne wird das Massaker nicht chronologisch erzählt, sondern immer wieder bruchstückhaft aus zynischer Täter- und Mitwisserperspektive geschildert: «Geschrei Geschrei, furchtbare Schreie, können die denn keine Rücksicht nehmen, um diese Zeit wollen wir schlafen.» Wielers Inszenierung schafft größtmögliche Diskrepanz zwischen dem Verhalten der Boten und ihren Schilderungen des Grauens. Während sie über die nackten, ausgemergelten und hilflosen Opfer sprechen, über Massengräber und Gaskammern schwadronieren, essen sie Pizza und Hühnchenschenkel oder schlecken sich Sahnetorte von den Fingern. «Sie hörten soeben unsere tägliche Sendung von der Banalität des Bösen», heißt es dazu im Stück.

   Eine zentrale Rolle nimmt das Schweigen über die Tat ein: «Wir leugnen alles. Wenn Sie uns fragen, leugnen wir schon, bevor Sie die Frage fertiggestellt haben.» Über diese Verschleierung kommt Jelinek zur Grundsatzfrage der Geschichtsverarbeitung. Rechnitz wird zum Symbol für den Umgang mit den NS-Verbrechen vom Kriegsende bis heute.

   So sagt einer der Boten: «Sie verlangen, dass wir sagen, so und so war es, aber wenn das, was war, heute wäre, würden wir von uns sagen können, wir hätten, wir würden ganz bestimmt verfolgte Menschen oder ähnliches Gesindel verstecken. (...) Wir werden gewusst haben, wie sich Eltern und Großeltern verhalten sollen.» Und an anderer Stelle mahnt ein Bote: «Wir haben heute doch eine kognitive Distanz zu dieser Zeit der Extreme gewonnen, und diese Distanz sollten Sie nicht einfach so im Casino des Denkens aufs Spiel setzen.»

   Zu sehen bekommen die Zuschauer das Grauen nicht. Nur einmal sind Schüsse zu hören und unterbrechen den Redeschwall der Boten. Und an einer Stelle purzelt ein Haufen Gewehre auf die Bühne - unmittelbar, nachdem ein Bote gesagt hat: «Ich stelle nur mal mein schweres historisches Gepäck hier irgendwo ab, wo es nicht im Weg steht, haben Sie vielleicht ein Kämmerchen dafür, ein kleines genügt?» Jelineks verstörendes Stück ist ein Beitrag dazu, das «historische Gepäck» nicht einfach verschwinden zu lassen.



 

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