Noch vor Beginn des Richard-Wagner-Jahres 2013 werden sich am 25. und 26. November drei Kölner Künstlerinnen verschiedener Genres, Angelika Niescier, NIOBE und Maria Jonas, mit dem Komponisten auseinandersetzen. Während drei hintereinander stattfindender Konzerte werden sie an drei verschiedenen Spielorten ihre musikalische Interpretation der Figur der Kundry aus der Oper Parsifal vorstellen.
Angelika Niescier, Initiatorin des Kundry-Projektes, zu ihrer Idee: „Der Komponist Richard Wagner ist ein sehr wichtiger und geradezu unausweichlicher Teil unserer kulturellen und musikalischen Bildung. Seine Werke und sein Leben inspirieren und faszinieren in ihrer Komplexität und zweifelloser Kontroverse seit jeher Künstler verschiedenster Genres. Im vorliegenden Projekt sind Wagners Musik und seine Person nicht nur Ideengeber, sondern fachen eine (erneute) künstlerische Auseinandersetzung an. Ich habe zwei weitere Komponistinnen der Jetzt-Zeit eingeladen sich mit der Figur der Kundry, der komplexesten Frauenfigur Wagners, aus seinem Bühnenweihfestspiel ‚Parsifal’ musikalisch auseinanderzusetzen. Das Ergebnis ist quasi die ‚Entfesselung’ Wagners. Es entsteht Neues aus der ungewöhnlichen Perspektive von ‚genrefremden’ Komponistinnen. Wagners Werkrezeption wird eine weitere Dimension hinzufügt. Wagners Musik, sein leitmotivisches Gewebe, dient als Inspiration zum Experiment. Es liegt geradezu auf der Hand, das Material, das in seiner Komplexität auf Veränderlichkeit und Prozesshaftigkeit angelegt ist, als Ausgangspunkt zur kompositorischen und improvisatorischen Arbeit in der Idiomatik des zeitgenössischen Jazz zu verwenden.“
Angelika Niescier ist Echo Jazz Preisträgerin 2010, Komponistin und Saxophonistin sowie Ausrichterin des Kölner Festivals Winterjazz 2012.
Zeiten und Orte am 25. und 26. November:
18.45-19:30 Part I - Maria Jonas - alte Musik
Kirche St. Michael, Brüsseler Platz 1, 50674 Köln
20.30 Part II - Angelika Niescier - zeitgenössischer Jazz,
STADTGARTEN, Venloer Straße 40, 50672 Köln
21.30 Part III – Niobe - avancierter Pop
GEWÖLBE Hans-Böckler-Platz 2 50672 Köln
zu den Konzerten im Einzelnen:
Part I - Maria Jonas, alte Musik
CUNDRIË LA SURCIERE - Eine mittelalterliche Spurensuche bei Chrétien de Troyes (um 1140 - ca. 1190), Wolfram von Eschenbach (um 1160/80 - nach 1220) und Albert von Scharfenberg (um 1270)
Cundrië, eine Art Hexe, Botin des Grals, beherrschte alle Wissenschaften und Sprachen der Alten Welt; hässlich, schwarz, Eberzähne, Wimpern so lang, dass sie geflochten als Zöpfe herunter hingen - keine äußerliche Schönheit, eher ein Monster. Ihre Rede war unhöfisch und direkt. Ihr Name bedeutet: die Geschmückte. Sie erscheint imposant in feiner französischer Kleidung, schreibt Wolfram von Eschenbach in seinem „Parzival“. Eine Mittlerin zwischen Orient und Okzident. Ihre Botschaft lautet: Caritas - Nächstenliebe. Diese urchristliche Botschaft findet in der christlichen Artusrunde nur durch sie Gehör - sie, die halbe Heidin. Sie vertritt nicht nur den Gral - sie verkörpert ihn auch
Zur Musik: von den drei überlieferten epischen Erzählungen des Parzival ist uns eine einzige Melodie überliefert von Albert von Scharfenberg. Jonas findet sämtliche Stücke und Lieder ganz in mittelalterlicher Manier. Der ausgewählte Text unterlegt oder wird assoziativ mit ähnlichen Texten mit überlieferten Melodien verarbeitet. Drei Musiker improvisieren ihre Begleitungen zum Gesungenen. Hier stellt sich die Frage: was ist Alte Musik? Machen wir mit unseren Rekonstruktionen nicht eigentlich Neue Musik?
Besetzung:
Maria Jonas: Gesang,
Elisabeth Seitz: Hackbrett,
Susanne Ansorg: Fideln/Glocken,
Fabio Accurso: Quinterne/Laute/Flöte,
Rolf Zavelberg: Licht
Part II - Angelika Niescier, zeitgenössischer Jazz
Kundry, die Wissende, die mehrmals Inkarnierte, die Sehende.
Kundry, die Sinnliche, die Schöne, die schon so lange in dieser Welt, in dieser Wirklichkeit verstickt ist, dass ihr ihre eigene Weiterreise verwehrt bleibt.
Sie ist das ganzheitliche Wesen, das wie ein Orakel bei der Wahrheits- und Sinnsuche begleitet und führt, dem Suchenden aktiv die Augen öffnet.
Kundry als Synonym für den Zyklus des Lebens und das Irdische, jedoch mit einer klaren Verbindung zum Höheren, zum Übergeordneten.
Niescier erforscht in ihrem Part außerdem die metaphysische Bedeutung der männlichen Figuren des Dramas und Kundrys komplexes mehrdimensionales Beziehungsnetz zu ebendiesen. Welche übergeordnete zeitlose Aussage treffen die Figuren, weit jenseits des eigentlichen Werkes? Und welche inhaltliche und musikalische Rückkopplung ergibt sich daraus für die Bedeutung der Figur Kundry?
Besetzung:
Aglaja Camphausen: voc, sopran
, Michael Schiefel: voc, tenor
, Angelika Niescier: saxes,
Jörg Brinkmann: cello
, Florian Weber: piano
, Matthais Nowak: bass
, Christoph Hillmann: drums
Part III - NIOBE, avancierter Pop
Kundry: Dr. Jekyll und Mr. Hyde.
Man kann Wagner nicht vorwerfen er verliere in seiner Kunst das Ganze aus dem Auge. Alle Details sind textlich wie musikalisch auf den Gesamtzusammenhang ausgerichtet. Dennoch konzentrieren sich die musikalische Neuinterpretation von NIOBE aka Yvonne Cornelius nur auf den Text der geheimnisvollen Kundry. Genauer auf die zwei Kundrys in Wagners Oper Parsifal. Die atemberaubend Schöne, die beauftragte Verführerin entgegen der unglücklich Unsterblichen, die wild, zerrüttete Heidin, die erniedrigt von Wagner dargestellt wird.
„Sagte ich ihnen schon einmal, dass die fabelhafte wilde Gralsbotin eine und dasselbe Wesen mit dem verführerischen Weib des zweiten Aktes sein soll? Seit dem mir dieses aufgegangen, ist mir fast alles an diesem Stoffe klar geworden.“ (Wagner Brief 1860).
NIOBE greift die Polarität der Kundry auf, zwischen leidenschaftlicher Schönheit und tierischer Grausamkeit. Es entsteht ein Musik zwischen Zartheit und harten Rhythmen.
Besetzung:
Bonny Leyser: Gesang,
Bernd Deus: Kontrabass
, Christian Thomé: Schlagzeug
, Marc Matter (Institut für Feinmotorik): Turntables
, Yvonne Cornelius (Niobe): Gesang & Elektronik