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Kunstmessen: Internationaler Boom birgt Gefahren

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Die Messeneugründungen lösen Bedenken aus, denn schon heute sind Besucher und Aussteller häufig einem Terminmarathon ausgesetzt: So startete die Art Cologne im vergangenen Jahr einen Tag nach Ende der FIAC in Paris.

Außerdem stellt sich für Aussteller angesichts des Messebooms die Frage nach der Wirtschaftlichkeit.

Hilft der Messeboom wirklich, neue Interessierte für Kunst und den Kunstkauf zu gewinnen?

Die erste Kunstmesse der Welt fand 1967 mit 18 Ausstellern in Köln statt. Sie etablierte sich 1975 als Art Cologne als ein Flagschiff internationaler Kunstmessen. Seitdem ist der Markt für Kunstmessen stark gewachsen: In den neunziger Jahren hat sich die Ausstellungsfläche in Deutschland durch die Gründung der Art Frankfurt und des Art Forums Berlin fast verdoppelt. Damals räumten Fachleute diesen Neugründungen nur geringe Überlebenschancen ein, zumal der Kunstmarkt heftige Konjunktureinbrüche verzeichnete.

Im vergangenen Jahr stand der internationale Kunstmarkt im Zeichen der deutschen und amerikanischen Konjunkturkrisen ? und wieder erhöhte sich die Zahl der Kunstmessen und somit Ausstellungsfläche für Galerien zeitgenössischer Kunst. So wurden 2002 allein in den Vereinigten Staaten drei neue Kunstmessen (Art Basel Miami Beach, The Armory Photography Show, The Affordable Art Fair New York) ins Leben gerufen. Im Frühjahr 2003 wird die Art New York, und im Herbst 2003 soll eine weitere Messe in London eröffnet werden ? zusätzlich zu der vor 15 Jahren gegründeten London Art Fair, die im Januar 2003 stattfindet.

Jede dieser Messen zählt 80 bis 250 Aussteller, die rund 1250 Künstler und bis zu 6000 Kunstwerke präsentieren: Dies gilt als die maximale Größe für eine renommierte Kunstmesse, die jedoch nur zu erreichen ist, wenn Messeveranstalter zum Teil bis zu 50 Prozent der Bewerber ablehnen. Hier offenbart sich der Unterschied zu den Konsum- und Industriemessen: Jede Kunstmesse muß nach Qualität auswählen und ist daher per se im Wachstum begrenzt. Kunstmessen können sich ?nur? vermehren.

Außerdem stellt sich für Aussteller angesichts des Messebooms die Frage nach der Wirtschaftlichkeit. Schon heute machen Messekosten laut einer Umfrage im Jahr 2000 durchschnittlich rund 15 Prozent des Jahresumsatzes einer Galerie in Deutschland aus. Um sich immer mehr Messeauftritte leisten zu können, müßten die Galerien entweder mehr verkaufen oder die Kosten einer Messebeteiligung senken. Verkaufssteigerungen ? analog zum Anstieg der Messekosten um bis zu 50 Prozent ? sind jedoch unrealistisch, auch deshalb weil Messeveranstalter zur Zeit oft die immer gleiche TOP-100-Sammlerschaft ansprechen. Daher erreichen Galerien mit den neuen Messen nicht unbedingt neues Publikum, sondern die ihnen schon bekannten Käufer ? jedoch zu höheren Kosten. Und die Standmieten auf Kunstmessen sind seit Jahren angesichts des enormen Bewerbungsdrucks weitgehend unverändert und könnten sogar noch steigen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum es einen solchen Messeboom gibt. Der europäische Kunstmarkt ist laut einem Bericht der EU-Kommission in den Jahren 1993 bis 1997 in England um bis 50 Prozent, in Frankreich um 23 Prozent und in Deutschland immerhin noch um 11 Prozent gewachsen. Während der Umsatz des Galerienmarktes für zeitgenössische Kunst allein in Deutschland insgesamt von rund 50 Millionen Euro im Jahr 1970 auf 350 Millionen Euro im Jahr 2002, von 100 Galerien 1970 auf 800 Galerien 2000 gewachsen ist, konnten Galerien sich bis vor wenigen Jahren in Deutschland ausschließlich bei einer internationalen Leitmesse für zeitgenössische Kunst bewerben, bei der Art Cologne. Als diese Mitte der neunziger Jahre ihre Ausstellerzahl in einem Prozeß der qualitativen Konzentration reduzierte, verschärfte dies den ohnehin vorhandenen Trend: Der Gesamtbranche stand prozentual pro Galerie immer weniger Messe-Ausstellungsfläche zur Verfügung.

Der Messemarkt für zeitgenössische Kunst hatte daher im Vergleich zum Wachstum des gesamten Kunstmarktes großen Nachholbedarf: Der aktuelle Messeboom in Amerika und England ist das Resultat des großen Erfolges des Kunstmarktes in den neunziger Jahren. Doch ob dies auch den Erfolg im 21. Jahrhundert sichern kann, ist fraglich.
Galerien bewerten die neuen Kunstmessen nicht allein quantitativ und wirtschaftlich. Vielmehr sind diese wie ein neues öffentliches Schaufenster für Kunden, Künstler, Museen und die Presse: Wer in der Messeliga mitspielt, dem öffnen sich zum Beispiel Kooperationsmöglichkeiten im Ausland oder auch Einkaufsquellen. So investieren Galerien selbst dann noch in Kunstmessen, wenn die Erträge über Jahre hinweg negativ sind. Doch für wie viele neue Messe geht dies noch gut?

Außerdem bieten neue Kunstmessen Galerien die Möglichkeit, ihnen bis dato unbekannte Sammler kennenzulernen oder sogar neue Käuferkreise aufzubauen ? ein wichtiger Aspekt, zumal die Besucherzahlen in Galerien stagnieren oder zurückgehen.

Doch diese Hoffnung auf Neukunden könnte eine Fehlwahrnehmung der Aussteller sein: Umfragen auf Messen zeigen, daß nur rund ein Drittel der Messebesucher ?Neulinge? sind, zwei Drittel sind Stammkunden, die Galerien ohnehin bis zu zehn Mal im Jahr besuchen. Ob der Boom an Kunstmessen angesichts dieser Strukturprobleme ein Aufbruchssignal oder eine wirtschaftliche Gefahr für Galerien darstellt, wird sich zeigen. Auch könnten amerikanische Kunstmessen die dreißigjährige weltweite Führungsrolle des europäischen Messemarktes zeitgenössischer Kunst in Frage stellen: Dies bliebe nicht ohne Folgen für den deutschen Kunstmarkt ? und den Kulturstaat Deutschland.
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