Hamburg - Georges Delnon, Intendant der Staatsoper Hamburg, hat dort bei der Neuproduktion von Beethovens «Fidelio» Regie geführt. Die Arbeit bleibt szenisch wie musikalisch im Diesseitigen verhaftet. Beim Premierenpublikum stieß sie auf gemischte Reaktionen.
Welche Oper passte besser zur von Gewalt und Grausamkeit geprägten Weltlage als Beethovens «Fidelio»? Eine Frau verschafft sich in Männerkleidern Zugang zu einem Gefängnis, um ihren Mann vor dem Tod zu retten, und setzt dabei ihr eigenes Leben aufs Spiel: Die Geschichte ist ein Manifest der Freiheit. Höher könnte der moralische Anspruch kaum sein - und mit ihm der Druck, bei einer Inszenierung das Allgemeingültige des Werks zur Geltung zu bringen.
Georges Delnon geht bei der Neuproduktion an der Staatsoper Hamburg, deren Intendant er auch ist, einen anderen Weg. Er wirft einen sehr persönlichen Blick auf die Figuren. Kaspar Zwimpfer hat ihm dafür ein recht heruntergekommenes Wohnzimmer im Stile der 50er-Jahre auf die Bühne gebaut. Die Gefangenen lagern zwischen Akten in Apothekenschränken, die Auszüge werden bei Bedarf aus der Wand und wieder hineingerollt. So trägt sich die gesamte Handlung in dem kleinbürgerlichen Ambiente zwischen Musikbox und Sitzecke zu. Dort sitzt der Kerkermeister Rocco an der Schreibmaschine oder versucht seine in Fidelio verliebte Tochter Marzelline zu bändigen, dort will Marzellines unglücklicher Bräutigam Jaquino wenn schon nicht ihre Liebe, so doch ihren sexuellen Gehorsam erzwingen. In Delnons Lesart des Stücks verschränkt sich persönliche Gewalt mit politischer von der Art, wie sie der Gouverneur Don Pizarro seinem Gegner Florestan antut.
Beethoven hat die Figur des Florestan widersprüchlich angelegt: Nach Monaten der Haft und Folter soll der Mann gleich eine wahre Heldentenorpartie singen. Christopher Ventris gerät mit ihr hörbar an seine Grenzen. Der Bassbariton Werner Van Mechelen gibt einen agilen, zynischen Don Pizarro. Falk Struckmann, ebenfalls Bassbariton, gelingt ein anrührendes Rollenporträt des zwischen Mitläufertum und Rechtschaffenheit schwankenden Rocco. Stimmlich ragt die Sopranistin Simone Schneider heraus. Sie verleiht der Leonore mit vollem, dunklem Timbre Präsenz und Dramatik, und dank Delnons präziser Personenregie braucht sie nur den Blick zu senken, um die Qualen ihrer heimlichen Angst um Florestan anzudeuten.
Jede Geste spricht bei Delnon, er hat nichts überinszeniert. Im zweiten Aufzug war er allerdings etwas zu sparsam, da stehen die Beteiligten öfter einfach nur da, obwohl es doch um Leben und Tod geht. Nirgends weitet Delnon den Blick in Richtung Utopie.
Generalmusikdirektor Kent Nagano am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg unterstreicht eher den überpersönlichen Charakter der Musik. Das Klangbild ist durchweg klassisch schlank und transparent, ekstatische Aufgipfelungen, die die Partitur ja auch verlangt, bleiben aus. Gelegentlich hapert es bei der Abstimmung zwischen Bühne und Graben, dafür entschädigen erschütternde Momente wie der hauchzart und zugleich eindringlich gesungene Gefangenenchor.
Ob sich Leonore und Florestan als Paar wieder finden können? Delnon gibt keine Prognose ab. Stattdessen erzählt er im Schlussbild leise von den inneren Kämpfen des Jaquino. So als wäre der Irrsinn der Welt überhaupt nur durch den Blick auf das private Leid zu begreifen. Für die Regie erntete Delnon bei der Premiere kräftige Buhs, während das Publikum Nagano, die Sänger und die Musiker mit freundlichem Beifall bedachte.