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Pflegeheim statt Konzertsaal - Orchester musizieren für Hochbetagte

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Saalfeld/Duisburg - Kaffeetassen klappern, und manch ergrauter Gast wippt mit der Hand im Rhythmus der Musik: Zehn Musiker der Thüringer Symphoniker haben an diesem Nachmittag ihren Konzertsaal gegen den Speisesaal des Saalfelder Krankenhauses getauscht - und spielen als Salonorchester zu Kaffee und Kuchen. Nach Konzerten für Babys und Kleinkinder entdecken deutsche Orchester nun Hochbetagte und Demenzkranke als Publikum. Manch Zuhörer findet gar erst jenseits der 80 zur klassischen Musik.

 

«Wenn die Menschen nicht mehr zu uns kommen können, gehen wir zu ihnen», beschreibt Musikdirektor Oliver Weder die Konzertreihe. Die Musiker waren schon in einem Pflegeheim zu Gast, im Frühjahr spielen sie in Psychiatrie und Geriatrie.

Seit vielen Jahren bemühen sich die deutschen Orchester um Kinder und Jugendliche, haben Babykonzerte, Musik mit Videoanimation oder das Weihnachtsoratorium für Kinder im Programm. Angesichts einer wachsenden Zahl hochbetagter oder gar dementer Menschen entdecken sie nun das andere Ende der Alterspyramide. 

Zwar ist das Publikum bei Sinfoniekonzerten nach Erfahrung der Organisatoren meist im Schnitt zwischen 50 und 60 Jahre alt. Doch mit zunehmendem Alter wachse die Scheu. Einige Ältere reagierten ängstlich, wenn sie mit fremden Menschen oder einer unbekannten Umgebung im Konzert konfrontiert seien. Andere gingen abends nur noch ungern aus dem Haus. Manche Angehörige fürchteten, dass die dementen Eltern im Konzert anfingen zu sprechen oder mitten im Musikstück zur Toilette müssten. 

Ziel sei es, Brücken zu eingeschränkt mobilen oder dementen Menschen und ihren Angehörigen zu bauen, sagt der Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung, Gerald Mertens. Dazu gab es zuletzt ein Pilotprojekt in Nordrhein-Westfalen, das unter dem Titel «Auf Flügeln der Musik» Konzertangebote für Menschen mit Demenz entwickelte. Mitgewirkt haben etwa die Duisburger Philharmoniker, das WDR-Sinfonieorchester und die Jazzschmiede Düsseldorf. Viele der Angebote laufen weiter.

Die Philharmonie Duisburg etwa bietet mehrmals im Jahr eine besondere Betreuung für Demente bei sonntäglichen Matineekonzerten. Neben dem Musikprogramm erfordere es viel Aufwand, einen passenden Rahmen für die Besucher zu schaffen, damit sich die Senioren auf das Konzert einlassen könnten, erklärt Projektbetreuerin Anja Renczikowski. Die Betreuung beginne schon etwa eine Stunde vor Konzertbeginn und umfasse eine Nachbereitung etwa in Form von Gesprächen mit den Musikern. «Die Rahmenbedingungen machen 60, 70 Prozent der ganzen Veranstaltung aus.»

Ins Pflegeheim gehen die Duisburger Philharmoniker allerdings nicht, sie spielen im Theaterfoyer. «Das ist ein großer Aufwand auch für die Pfleger und Betreuer, aber so hat das Konzert eine ganz andere Anmutung», erläutert die Expertin. «Und die Senioren haben die Gelegenheit, wieder einmal rauszukommen und sich schick zu machen - schließlich geht man ins Theater.» 

Die Thüringer Symphoniker fahren dagegen zweigleisig: Für die Kaffeekonzerte spielen sie sowohl auf der kleinen Bühne des Rudolstädter Theaters, als auch im Krankenhaus oder Pflegeheim. «Wir experimentieren noch», sagt Chefdirigent Weder. Während beim ersten Konzert in einem Pflegeheim fast 100 Besucher gekommen seien, verlieren sich dieses Mal nur etwas mehr als ein Dutzend im großen Saal des Saalfelder Krankenhauses. «Das ist Neuland für uns, und das Konzert hätte stärker außerhalb der Klinik beworben werden müssen.»

Davon entmutigen lässt er sich aber nicht, die Angebote würden fortgeführt. «Das ist die Zukunft», erklärt er. Für Renczikowski geht es dabei auch um Respekt vor betagten und dementen Menschen. Auch ihnen müsse es möglich sein, am kulturellen Leben teilzuhaben. «Nichts wirkt so unmittelbar wie die Musik.» Manche blühten bei den Konzerten geradezu auf. «Wir haben Menschen gehabt, die erst mit Anfang 80 und beginnender Demenz die klassische Musik für sich entdeckt haben.» 

Andreas Hummel

 

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