Salzburg - Die Scharen von Opernfans, die vor der Salzburger Felsenreitschule noch eine Karte für die Festspiel-Neuinszenierung von Giuseppe Verdis "Macbeth" suchten, sprachen Bände. Jedenfalls, was das Auseinanderklaffen von Publikumsgeschmack und Kritikermeinung anbelangt. Bei bei den Rezensenten war Peter Steins realistische Deutung des blutrünstigen Shakespeare-Stoffs fast komplett durchgefallen, doch das Publikum war schon bei der Premiere ganz aus dem Häuschen.
So wurde die erste Zusammenarbeit von Regie-Altmeister Stein und Dirigentenstar Riccardo Muti zum größten Publikumserfolg der diesjährigen Salzburger Festspiele, die am Dienstag (30. August) zu Ende gehen. Die einzige Spielzeit unter der Leitung von Interimschef Markus Hinterhäuser lässt sich als tendenziell gelungen charakterisieren.
Weitgehend einig waren sich Publikum und Kritik in der Beurteilung der Neuinszenierung von Leos Janáceks Oper "Die Sache Makropulos". Zwar gelang es dem genialen Schweizer Regisseur Christoph Marthaler und seiner nicht minder genialen Bühnenbildnerin Anna Viebrock nicht ganz, an den "klaustrophobischen Coup" ("Die Zeit") ihrer Inszenierung von Janáceks "Katia Kabanova" bei den Salzburger Festspielen 1998 anzuknüpfen.
Doch Marthalers Witz und Einfallsreichtum, mit der er die Geschichte einer untoten Operndiva in eine Parabel auf würdevolles Altern verwandelte, verfehlten ihre Wirkung nicht. Das war auch dem musikalischen Drive des finnischen Dirigenten Esa-Pekka Salonen zu verdanken.
Jubel für Handke
"Auf hohem Niveau gescheitert" - so könnte das Resümee zur Eröffnungspremiere, der Neuinszenierung von Richard Strauss' "Die Frau ohne Schatten" lauten. Während sich Dirigent Christian Thielemann einmal mehr als würdiger und frenetisch umjubelter Nachfolger Herbert von Karajans empfahl, blies Regisseur Christof Loy ein Buh-Bravo-Sturm ins Gesicht. Seine Deutung verweigerte sich der etwas kruden Geschichte Hugo von Hofmannsthals vollständig, was manche Kritiker als Kapitulation vor dem Stück empfanden.
Nicolas Stegmanns mit Spannung erwarteter Faust-Marathon auf der Perner-Insel in Hallein war wohl schon allein deswegen ein Erfolg, weil das Publikum das siebenstündige Spektakel aufmerksam und ohne Murren durchstand. Zum größten Erfolg der in diesem Jahr zu Ende gehenden Ära von Thomas Oberender, Theaterchef der Festspiele, wurde jedoch die Uraufführung des neuesten Stückes von Peter Handke, "Immer noch Sturm". Das Publikumwar begeistert. Die Kritiken reichten von "Handkes bestem Stück" bis "langweilig".
Hinterhäuser wechselt nach Wien
Natürlich durfte auch in diesem Festspielsommer die russische Diva Anna Netrebko nicht fehlen. Sie war gleich in zwei konzertanten Produktionen zu erleben: Gioachino Rossinis "Stabat mater" und Peter Tschaikowskys Oper "Iolanta". An der nach wie vor bravourösen Stimme der in Wien lebenden Russin konnten die Kritiker wenig mäkeln; das Publikum tobte wie gewohnt. Netrebkos Lebenspartner Erich Schrott war in zwei Wiederaufnahmen von Mozart-Opern zu hören: "Don Giovanni" und "Le nozze di Figaro".
Vielfältig und intelligent komponiert war wie immer das vom bisherigen Konzertchef Hinterhäuser gestaltete Konzertprogramm. Hinterhäuser darf es sich als Verdienst anrechnen, die zeitgenössische Musik in der Mitte des Festivals verankert zu haben. Vom nächstem Jahr an werden die Konzerte von Intendant Alexander Pereira höchstpersönlich programmiert. Hinterhäuser wechselt zu den Wiener Festwochen.
Bliebe noch der "Jedermann": Der Dauerbrenner der Festspiele erfreut sich weiterhin größter Beliebtheit; sämtliche Vorstellungen mit Nicholas Ofczarek als Titelfigur und mit Birgit Minichmayr als Buhlschaft waren ausverkauft. Möglicherweise wird Christian Stückls erfolgreiche und mehrere Male erneuerte Inszenierung auch im kommenden Jahr noch einmal gegeben. Doch der künftige Theaterdirektor Sven-Eric Bechtolf hat schon durchblicken lassen, dass er sich eine neue Inszenierung wünscht. Wer dann den "Jedermann" und seine Geliebte verkörpern wird, ist eines der am besten gehüteten Geheimnisse der Festspielstadt.