Zuerst die gute Nachricht. Schneiders „Salome-Prinzip”, zwanzig Jahre nach seiner Entstehung jetzt im Musiktheater Gelsenkirchen uraufgeführt, ist ein Stück, in dem klare Verhältnisse herrschen. Carolyn Sittigs Inszenierung operiert mit einfachen Bildern. Das klein besetzte Kammerorchester bewegt sich beinahe brechtisch mit den Akteuren auf ein- und demselben Bretterboden. Beim Szenenwechsel schiebt der musikalische Leiter Kai Tietje – wie seine Kollegen im Partylook sein Notenpult über die Bühne, um den nächsten Einsatz zu geben.
Zuerst die gute Nachricht. Schneiders „Salome-Prinzip”, zwanzig Jahre nach seiner Entstehung jetzt im Musiktheater Gelsenkirchen uraufgeführt, ist ein Stück, in dem klare Verhältnisse herrschen. Carolyn Sittigs Inszenierung operiert mit einfachen Bildern. Das klein besetzte Kammerorchester bewegt sich beinahe brechtisch mit den Akteuren auf ein- und demselben Bretterboden. Beim Szenenwechsel schiebt der musikalische Leiter Kai Tietje – wie seine Kollegen im Partylook sein Notenpult über die Bühne, um den nächsten Einsatz zu geben. Mit den Instrumentalisten der „Neuen Philharmonie Westfalen“ hat der Dirigent wenig Mühe und diese ebensowenig mit Schneiders Partitur. Der ins ernste Fach „reingeschmeckte“ Filmkomponist (Lehrstuhlinhaber in München) serviert eine Musik, die zu keinem Zeitpunkt stört.Zumutungsfrei. Nichts, woran sich einer mit gutem Willen für die moderne Kunst stoßen könnte. Kammeroper auf der Grenze zur Schauspielmusik. Mit nachvollziehbaren Gesten agierende Schauspieler-Sänger bleiben so auch in gesungenen Passagen stets textverständlich. Zudem geht das Ganze in neunzig Minuten äußerst zeitökonomisch über die Bühne. Und selbst das Gruselbedürfnis wird bedient. Am Ende fließt reichlich Theaterblut in die Silberschale, worin Salome (Regine Hermann) ein triumphierendes Unterarmbad nimmt.
Musiktheater, das etwas los und ein Plot, der jedem „Tatort“ Ehre macht: Salome, fast noch ein Kind, möchte ganz schnell erwachsen werden. Angewidert vom ewigen Partyeinerlei ihrer Eltern Herodes (Erin Caves) und Herodias (Richetta Manager), verguckt (besser: verhört) sich das Simpel in einen Gefangenen ihres herrschsüchtigen Vaters: Jochanaan. Der Unglückliche sitzt während des ganzen Stücks im Kerker und meldet sich auf der Bühne des „Kleinen Hauses“ immer mal wieder mit Lautsprecher-Botschaften zu Wort: „Einer wird nach mir kommen, der ist mächtiger als ich ...“
Jochanaan ist Johannes, der Prophet aus der Wüste. Im Unterschied zur Vorlage von Oscar Wilde ist Jochanaan nur als Tonbandstimme präsent. Immer wenn er kündet, dreht sich – ein schöner Einfall der Regie – ein überdimensionierter Lautsprecher um die eigene Achse.
Alle erstarren, nur Salome ist verzückt. Diese Stimme! Doch der Prophet zeigt kein Interesse. Im Gegenteil. Seine Tiraden gegen die Welt im allgemeinen und gegen die Verbindung Herodes/Herodias im Besonderen (im Prinzip inzestuös!), machen auch vor der Tochter nicht Halt. Gekränkt durch die Abweisung, fordert diese den Kopf des Glaubenseiferers. Die Bitte wird – nach Salomes Tanz zur großen Trommel – gewährt. Es fließt Prophetenblut. Salome küsst das abgetrennte Haupt und wird darüber, wie könnte es anders sein, einigermaßen irre – was nun aber Vater Herodes zu bunt wird: „Man töte dieses Weib!“ Ende des grausamen Spiels.
Enjott (eigentlich: Norbert Jürgen) Schneider sieht darin insofern ein „Prinzip“ am Werk, als die reine Unschuld in der Spaßgesellschaft grundsätzlich untergehen muss. Inwieweit darin eine lokale Anspielung steckt, bleibt unklar. Auch die Regie wollte sich hier nicht festlegen. Andererseits ist Schneiders Theaterstück mit Musik durchaus ein Münchner Kindl – gezeugt bereits zu Anfang der 80er-Jahre. Ob die lange Lagerfrist – vordringlich waren Filmmusiken – dem Werk gutgetan hat, darf indes bezweifelt werden.
Schneiders Musik zum „Salome-Prinzip“ entwickelt keine eigene Stilistik. Im Unterschied zu seinen mit dem Quast aufgetragenen Filmvertonungen schraffiert er als Komponist von E-Musik mit dem Fineliner. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn diese nicht nur grundieren und illustrieren, sondern gegen das neurotische Bühnengeschehen einmal kräftig den Aufstand proben würde.
Doch der gekränkte, gewalttätige Narzissmus der Salome und ihr pubertärer Spleen – Geist pur gegen pure Körperlichkeit – bleiben wie die Gewaltphantasien des Fundamentalisten Jochanaan unkommentiert. Elfter September? Das muss voriges Jahr gewesen sein.